Zwischen Main und Donau
Tag 9
Von Tauberbischofsheim bis Gemünden
Nach einer langen Nacht wache ich ausgeschlafen und fit auf. Ich bin voller Energie. Meine Waden haben neue Kraft getankt. Die Flaute von gestern ist vergessen, die Bedenken sind in der Nacht mit den Träumen ins Nirwana geflogen. Wir starten früh, um den kühlen Morgen zu nutzen. Ein strahlend blauer Himmel spannt sich über das Taubertal.
Einige Kilometer hinter Tauberbischofsheim engt sich das Tal wieder ein, die Berge rücken näher. Schließlich drängen sie sich bis ans Ufer. Für uns heißt dies, Rampen hoch und Rampen runterzufahren. Ich fühle mich wie auf einer Achterbahn. In großen Schleifen hat sich die Tauber ihr Bett gegraben. Graureiher haben uns fest im Blick, lassen uns nicht zu nahekommen. Auch heute sind wir nicht alleine unterwegs. Viele andere Radwanderer sind schon früh unterwegs. Das Taubertal zählt halt zu den Klassikern der Flussradwege in Deutschland. Ich bedauere insgeheim die Familien, die mit Kindern unterwegs sind. Für die Kleinen sind die steilen Rampen wie kurz hinter dem Kloster Brombach wahrlich keine Freude.
Einige Kilometer hinter Tauberbischofsheim engt sich das Tal wieder ein, die Berge rücken näher. Schließlich drängen sie sich bis ans Ufer. Für uns heißt dies, Rampen hoch und Rampen runterzufahren. Ich fühle mich wie auf einer Achterbahn. In großen Schleifen hat sich die Tauber ihr Bett gegraben. Graureiher haben uns fest im Blick, lassen uns nicht zu nahekommen. Auch heute sind wir nicht alleine unterwegs. Viele andere Radwanderer sind schon früh unterwegs. Das Taubertal zählt halt zu den Klassikern der Flussradwege in Deutschland. Ich bedauere insgeheim die Familien, die mit Kindern unterwegs sind. Für die Kleinen sind die steilen Rampen wie kurz hinter dem Kloster Brombach wahrlich keine Freude.

Wow, welch ein Blick. Vor uns taucht eine Burg auf. Wir nähern uns der Mündung und damit Wertheim. Über die Tauberbrücke kommen wir in die historische Altstadt. Zeit für eine erste Rast mit warmem Getränk auf dem Marktplatz. Die Sonne steht schon recht hoch und beleuchtet die Fassaden. Auf dem Marktplatz herrscht reges Treiben. Wir sind froh, den letzten Schattenplatz in einem Café zu finden.
Gut gestärkt geht es auf den nächsten Abschnitt. Ab Wertheim folgen wir dem Main. Die Ausschilderung des Radweges ist perfekt. Das hat leider keinen Einfluss auf die Witterung. Ein heftiger Gegenwind macht uns zu schaffen. Bewölkung zieht auf. Das Wasser des Flusses schimmert in grünen Farbnuancen. Über uns spannt sich die gewaltige Autobahnbrücke über dem Main. Kurz dahinter ragt eine große Sandsteinnadel hoch. Wir erfahren, dass wir Baden-Württemberg verlassen und wieder nach Bayern kommen. Hier werden wir ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, obwohl wir seit Rothenburg ob der Tauber immer wieder Grenzübertritte zwischen Bayern und dem Ländle hatten. Immerhin gibt es jetzt ein schönes Erinnerungsfoto.
Buon Giorno – am Wegesrand begrüßt mich Isalle. Sie sieht gar nicht glücklich aus. Der Sensenmann sitzt ihr im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken. Nun ja, sie ist schon in die Jahre gekommen. An der Scheune nebenan hat sie ihre Wanderschuhe angenagelt, war in ihrem Leben viel unterwegs, wie ich an der Zahl der Schuhe erkenne. Cafer hält den Sensenmann zurück. Vielleicht gibt er Isalle ja noch einige Tage.
Schön ruhig war es bislang in den Ortschaften entlang des Mains. Doch in Marktheidenfeld ist Schluss damit. Heuer ist wieder Laurenzi-Messe, ein Jahrmarkt, auf dem es ein wahres Potpourri an Waren gibt. Menschen drängen sich zwischen den einhundert vierundzwanzig Ständen. Hier gibt es alles von der Bettwäsche bis zum neuesten Vorwerksortiment, vom Allesschneider bis zum Trapezblech. Es gibt einfach alles für den Bauer und die Winzerin, wozu sie sonst in die Großstadt fahren müssten. Auch fürs Vergnügen ist gesorgt. Die Autoscooter krachen ineinander und die ganz Mutigen trauen sich aufs Riesenrad, um die Welt von oben zu betrachten.
Wir machen am Rand des Jahrmarktes Mittagspause. Ein schönes Schinkenbrot liegt auf dem Teller. Und wer beißt als erste zu? Lisbeth! Wir einigen uns, dass sie ein kleines Stück haben darf und ich das größere.
Wir machen am Rand des Jahrmarktes Mittagspause. Ein schönes Schinkenbrot liegt auf dem Teller. Und wer beißt als erste zu? Lisbeth! Wir einigen uns, dass sie ein kleines Stück haben darf und ich das größere.
Graugänse fliegen im Keilflug über den Main. Ich wundere mich. Es ist doch erst Mitte August. Hoffentlich ist es kein Zeichen für einen frühen Winter. Es rollt sich locker auf dem Mainradweg und bald erreichen wir Lohr. Die Schneewittchenstadt haben Cafer und ich vor zwei Jahren erkundet. Heute lassen wir sie sprichwörtlich links liegen.
Es dauert einen Moment, bis ich den Sinn der Markierung erkenne. Ein weißer Strich zieht sich quer über den Radweg und die Ruhebank, dazu die Zahl 50. Wir überschreiten den 50. Längengrad. Mainz liegt ebenso wie Kiew und die Südspitze Englands auf dieser Linie. Nach einer Fotopause radeln wir weiter.
Es dauert einen Moment, bis ich den Sinn der Markierung erkenne. Ein weißer Strich zieht sich quer über den Radweg und die Ruhebank, dazu die Zahl 50. Wir überschreiten den 50. Längengrad. Mainz liegt ebenso wie Kiew und die Südspitze Englands auf dieser Linie. Nach einer Fotopause radeln wir weiter.
Das Tagesziel liegt vor uns: Gemünden am Main. Trotz elektrischer Unterstützung kämpfe ich gegen den heftigen, teils böigen Wind an. Da es noch relativ früh ist, genehmigen wir uns auf dem Marktplatz ein Eis. Bei 29 Grad Celsius darf man das. Das Eis ist noch nicht am Tisch, da begrüßt uns schon Lisbeth mit einem Freudentanz. Was soll ich sagen, das Eis schmeckt nicht nur uns.
Tag 10
Von Gemünden bis Neustadt an der Saale
Unsere Unterkunft liegt in der Altstadt. Die Eisenbahnstrecke liegt auf dem schmalen Streifen zwischen dem Main und dem Hotel. Fast minütlich rauschen die Güterzüge vorbei, ab und zu mal ein ICE. Nach einem fulminanten Frühstück starten wir. Die Innenstadt ist so früh noch verödet, doch ein erster Gast sitzt jetzt schon mit seinem Espresso vor der Eisdiele. In Gemünden vereinigen sich die Flüsse Sinn und Fränkische Saale, um die letzten hundert Meter zum Main gemeinsam zurückzulegen. Über die Saalebrücke erreichen wir den Radweg. Heute wollen wir nach Bad Neustadt an der Saale. Am Ortsende von Gemünden tauchen wir in einen Wald ein. Er schluckt alle Geräusche, die von den Güterzügen kommen. Es geht immer am Fluss entlang. Ab und zu durchqueren wir ein kleines Dörfchen. Die Häuser unterscheiden sich deutlich von denen in Mittelfranken und an der Romantischen Straße.
Am gegenüberliegenden Hang taucht ein Gebäude in Weiß auf. Es sieht aus wie ein Schlösschen. Ich halte für ein Foto an. Dabei fällt mir eine große Informationstafel auf. Nicht das Gebäude ist das Besondere an dieser Stelle, sondern die „Vergessene Autobahn“. Ich schaue mich um und suche die Autobahn. Nur ein breiter Pfeiler steht, etwas versteckt hinter Büschen, im Talgrund. Also wende ich mich der Infotafel zu. Die „Strecke 46“, wie die geplante Autobahn zwischen Bad Hersfeld und Würzburg offiziell hieß, sollte „dem Autofahrer ein Erleben und Genießen der `Schönheiten der deutschen Landschaft` ... ermöglichen. Aussichten auf die Burgruine Homburg, den Spessart und die Rhön waren daher wichtiger als eine direkte Streckenführung.“ 1937 wurde der Bau begonnen, 1939 wurde er eingestellt, weil die Arbeiter zum Bau des Westwalls abgezogen oder zur Wehrmacht einberufen wurden. Zurück blieb ein Torso, der nach 1945 erst geplündert und dann der Natur überlassen wurde. Bislang hat sich auch bei mir das Gerücht gehalten, dass der Autobahnbau in Deutschland von Hitler zur Vorbereitung des Krieges ins Leben gerufen wurde. Dem ist nicht so. Bereits in den 1920er Jahren forderten schon Wirtschaft und Handel moderne und leistungsfähige Verkehrswege. Private Vereine entwickelten bereits konkrete Autobahnpläne. Die erste Autobahn war die AVUS in Berlin, die 1921 für den Verkehr freigegeben wurde. 1932 wurde eine Autobahn zwischen Köln und Bonn eröffnet. Auch wurde schon eine Autobahn von den norddeutschen Hansestädten über Frankfurt bis Basel und sogar eine solche von Deutschland nach Italien diskutiert. Wie sagt man? Reisen bildet! Gilt auch für mich.
Viele Sonnenblumenfelder begleiten uns auf dem weiteren Weg. An einer Mühle müssen wir wieder die Saale überqueren. Während ich auf der schmalen Brücke stehe und die Holzskulpturen im Garten der Mühle bewundere, kommt ein Radwanderer aus der Gegenrichtung. Aber statt unwirsch Durchlass zu begehren, sucht er das Gespräch. Er will wissen, wie der Weg bis Gemünden ausgebaut ist, woher wir kommen, wohin wir wollen und ja, ob die Reichweite meines Akkus bei den vielen Tageskilometern reicht (natürlich nicht). Er ist im Thüringischen gestartet, kommt gerade die Rhön runter und weiß noch nicht so recht, ob er bei Gemünden die Kurve zurückkriegt oder noch weiter ins Taubertal will. Wir geben uns einander wichtige Tipps, dann fährt er weiter und ich auch.
„Manfred! Rechts!“, ruft mir Cafer zu. Ich folgte in Gedanken blind dem geteerten Weg und habe das Schild übersehen, das nach rechts weist. Geradeaus wäre ich nach kurzer Strecke auf einer schönen grünen Wiese gelandet. So geht es erst mal eine Rampe hoch, die in einen Singletrail mündet. Rechts geht es steil den Hang hoch, links unten rauscht die Saale. Der Weg ist schmal und ausgetreten. Ich muss mich auf die Spur konzentrieren, um nicht im Fluss baden zu gehen. Hoffentlich kommt mir niemand entgegen. Einen Vorteil hat der Singletrail im tiefen Wald: Der heftige Gegenwind, der uns seit Gemünden ins Gesicht weht, lässt uns in Ruhe.
„Manfred! Rechts!“, ruft mir Cafer zu. Ich folgte in Gedanken blind dem geteerten Weg und habe das Schild übersehen, das nach rechts weist. Geradeaus wäre ich nach kurzer Strecke auf einer schönen grünen Wiese gelandet. So geht es erst mal eine Rampe hoch, die in einen Singletrail mündet. Rechts geht es steil den Hang hoch, links unten rauscht die Saale. Der Weg ist schmal und ausgetreten. Ich muss mich auf die Spur konzentrieren, um nicht im Fluss baden zu gehen. Hoffentlich kommt mir niemand entgegen. Einen Vorteil hat der Singletrail im tiefen Wald: Der heftige Gegenwind, der uns seit Gemünden ins Gesicht weht, lässt uns in Ruhe.
Am späten Vormittag erreichen wir Hammelburg. Auf dem großen Marktplatz machen wir Rast. Vor der Eisdiele steht ein Stuhl mit einer Tasse. Da setze ich mich lieber nicht hin. Dutzende Wespen erfreuen sich an einem süßen Saft, nicht jedoch Lisbeth. Kaum sitzen wir, abseits des Wespentrubels, vor unserem Apfelstrudel, da ist sie auch schon da und beißt kräftig rein. Na ja. Ich bin ja schon gewohnt, dass sie sich ungefragt bedient. Aber kann sie sich heute nicht mal zu ihren Artgenossinnen gesellen? Nein, kann sie nicht, wie sie mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen gibt. Sie ist so eifrig bei der Sache, dass sie nicht merkt, wie sie sich ihr Hinterteil in Puderzucker badet. Die Eisdiele war übrigens die bei weitem teuerste, die ich in diesem Sommer besucht habe. Da werde ich nicht mehr einkehren.
Was um alles in der Welt baut sich da vor uns auf? Riesige Parabolspiegel stehen auf einem Feld. Ob von hier aus E.T. nach Hause telefoniert? Erst sehe ich ein halbes Dutzend, dann werden es immer mehr. Bis zu zweiunddreißig Meter betragen die Spiegeldurchmesser. Ich vermute eine Hinterlassenschaft der US Army. Doch ein Passant, den ich anspreche, gibt mir einen ersten Hinweis. Während der Olympischen Sommerspiele im Jahr 2000 wurden von hier die Sportereignisse in alle Welt übertragen. Insgesamt umfasst die Anlage heute mehr als fünfzig Parabolantennen. Sie kommunizieren mit geostationären Satelliten in 36.000 Kilometer Entfernung und verbinden Flugzeuge und Schiffe jeder Art mit dem Internet, leiten Datenpakete von Mobilfunkanbietern und großen Firmen weiter, und versorgen den Kontinent Afrika mit Internet, Radio- und Fernsehsendungen. So gesehen stehen wir hier vor einem Knotenpunkt digitaler Informationstechnologie. Unterfranken ist also gar nicht so provinziell, wie man manchmal glauben könnte.
Vorbei an der markanten Trimburg erreichen wir Aura. Der Ort ist eigentlich nicht erwähnenswert, wäre da nicht jener Eisenbahnverrückte, wie er sich selbst bezeichnet, der seinen Vorgarten in ein Eisenbahnmuseum verwandelt hat. Heute fahren keine Züge. Die Schienen sind mit Platten abgedeckt, wohl, damit sie sich in der Hitze nicht verbiegen. Immerhin darf sich ein immergrüner Baum im Garten aufhalten.
Vorbei an der markanten Trimburg erreichen wir Aura. Der Ort ist eigentlich nicht erwähnenswert, wäre da nicht jener Eisenbahnverrückte, wie er sich selbst bezeichnet, der seinen Vorgarten in ein Eisenbahnmuseum verwandelt hat. Heute fahren keine Züge. Die Schienen sind mit Platten abgedeckt, wohl, damit sie sich in der Hitze nicht verbiegen. Immerhin darf sich ein immergrüner Baum im Garten aufhalten.
Vor so vielen Schildern habe ich die Qual der Wahl. Wir wollen nach Bad Kissingen. Nach der langen Strecke über freies Feld wäre ein kühler Weg, wie der Tunnel vor mir, schon etwas Schönes. Ich höre Echorufe anderer Radwanderer aus dem Tunnel kommen. Doch dieser führt nach Schweinfurt. Also folgen wir dem Wegweiser und biegen scharf nach links ab. In einer großen Schleife geht es um die Eiringsburg, die sich im tiefen Wald versteckt. Der Rhönradweg, wie die Strecke jetzt heißt, führt uns auf einer Nebenstraße elegant am Kurzentrum von Bad Kissingen vorbei. Ein großer Springbrunnen vor dem Kurhaus wirft sein Wasser hoch in die Luft. Uns zieht es weiter.
Auf einer verkehrsarmen Landstraße verlassen wir Bad Kissingen. Ortschaften folgen in rascher Folge: Hausen, Kleinbrach, Großbrach, Aschach, Bad Bocklet. So wie die Saale mäandert, so mäandert auch der Radweg mit uns. Ein Traktor zieht hinter einer dieser Dörfer eine Staubfahne hinter sich her. Der Boden ist staubtrocken, der Mais ist verdorrt, Sonnenblumen lassen vor Durst ihre Köpfe hängen. Der heiße Sommer hat seine Spuren hinterlassen und ein Ende ist nicht in Sicht.
Vor Bad Neustadt an der Saale wird das Tal enger. Fünfundachtzig Kilometer liegen hinter uns. Um 17:15 Uhr erreichen wir bei 30 Grad Celsius das Hotel Residenz, unsere Unterkunft. So schnell wie heute war ich noch nie unter der kalten Dusche. Der Hotelier ist selbst ein begeisterter Radsportler. So können wir uns ausgiebig austauschen. Da ist es auch keine Frage, dass unsere Fahrräder einen sicheren Abstellplatz bekommen. Seine Frau empfiehlt uns fürs Abendessen den Marktplatz. Dort findet das Stadtfest statt. Gesagt, getan. Der Platz ist voll. Es scheint, dass halb Unterfranken hier seine Coronafesseln der vergangenen 18 Monate abschütteln will. Es gibt den schönen Spruch „Musik wird oft als störend empfunden, weil es stets mit Lärm verbunden.“ Der trifft heute Abend zu. Wir verziehen uns ans äußerste Ende des Platzes und finden tatsächlich einen halbwegs ruhigen Tisch. Zurück im Hotel falle ich in einen tiefen Schlaf und träume, dass mich morgen der Wind in die Rhön hochschiebt.
Tag 11
Von Bad Neustadt an der Saale bis nach Mernes im Spessart
Die Sonne lacht schon am frühen Morgen. Auf dem Marktplatz lässt sie die Fassaden und Marktstände strahlen. Alle Zelte, Biertische und Stände des Festes sind über Nacht verschwunden, die Stadtreinigung putzt den Belag und beseitigt den letzten Müll. Nächsten Donnerstag ist wieder Musikabend. Solange haben die Marktbeschicker freie Hand, ihre Waren den Kunden anzubieten.
Unter der Bundesstraße hindurch, über die Brend hinweg und wieder unter einer Straße hindurch werden wir kreuzungsfrei aus dem Zentrum herausgeführt.
Unter der Bundesstraße hindurch, über die Brend hinweg und wieder unter einer Straße hindurch werden wir kreuzungsfrei aus dem Zentrum herausgeführt.
„Hallo, ich bin wieder da“, begrüßt uns hinter den letzten Häusern der Ostwind. Fünf Kilometer weit drückt er von der Seite her, als hätte er uns gestern nicht genug das Radeln schwer gemacht. Dann tauchen wir in den Wald ein. „Tschüss Ostwind“, rufe ich ihm noch zu. Es rollt sich herrlich auf der Trasse der ehemaligen Brendbahn. Rund einhundert Jahre verband die Bahn Bischofsheim mit Bad Neustadt. 1989 wurde der Bahnverkehr eingestellt. Schon wenige Jahre später rollten hier die Fahrräder. Obwohl auf den zwanzig Kilometern bis Bischofsheim rund zweihundert Höhenmeter zu überwinden sind, spüre ich die Steigung kaum. Die Strecke verläuft entlang der Bundesstraße. Büsche und Bäume dämpfen angenehm den Verkehrslärm. Nervig ist, dass jeder Feldweg, der den Radweg kreuzt und auf die Bundesstraße mündet, Vorfahrt hat.
In Bischofsheim müssen wir wieder auf die Straße. Auf dem Marktplatz werden die Tische für die Mittagsgäste hergerichtet. Wir dürfen aber nicht Platz nehmen. „Wenn Sie nur etwas trinken wollen, müssen Sie drüben ins Café gehen“, bekommen wir von der resoluten Wirtin zu hören. Dort sitzen beim morgendlichen Weizen die Stammgäste im Rentneralter neben etlichen Radwanderern, die sich für die Bergetappe hoch in die Rhön stärken.
Wir wollen nach Bad Brückenau und müssen dazu auch über den Berg. Ich vergewissere mich auf Komoot, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ein Anwohner sieht es und fragt, wo wir hinwollen. Ja, nach Bad Brückenau gäbe es mehrere Möglichkeiten, meint er. Wir entscheiden uns für die Strecke, die Komoot vorschlägt. Als Rad-Navi hat es in meinen Augen die beste Expertise. Es ist ein guter Radweg. Anfangs sind wir noch auf einer kleinen Landstraße, dann auf einem neuen und gut ausgebauten Radweg. Es geht stetig bergauf. Immer wenn wir meinen, wir seien oben, zeigt sich ein weiterer Anstieg. Jetzt kann der Ostwind mal zeigen, was er draufhat. Und wie er mich schiebt. Selbst die steilsten Rampen sind mit meinem Gepäck zu bewältigen. |
Endlich haben wir auf etwa 660 Meter über NN die Passhöhe erreicht. Zwei Bildstöcke stehen am Rand. Wie alt sie wohl sein mögen? Ich muss lange im Internet suchen, bis ich erfahre, dass das linke ein Bildstock aus dem Jahr 1753 ist, während das andere ein Fluralter aus dem Jahr 1845 ist, der die beiden Heiligen Ottilia und Agatha unter dem Kreuz zeigt. Ich erfahre auch, dass der hiesige Landkreis rund 3500 Denkmäler beherbergt und damit bayernweit an der Spitze liegt. Sie sind Zeugen der Vergangenheit, die es zu bewahren gilt. Mein Blick schweift weit über die Felder und Wälder. Hinter den beiden Denkmälern erhebt sich der Arnsberg. Wenn ich ein Vöglein wäre und etwas höher fliegen könnte, würde ich dahinter auch das Kloster Kreuzberg sehen. Aber ich bleibe mit den Füßen auf dem Boden und rolle jetzt bergab. In Schussfahrt geht es durch das Quellgebiet der Sinn immer weiter ins Tal nach Wildflecken hinein.
Damit habe ich nicht gerechnet. Wir stehen am Startpunkt einer weiteren Bahnradstrecke. Sie nennt sich Rhönexpress-Bahnradweg. Sechsundzwanzig Kilometer weit führt sie über die Trasse der ehemaligen Sinntalbahn. Schon der Einstieg zeigt, dass sich die Gestalter des im Jahr 2019 eröffneten Radweges viel Mühe gegeben haben. Vor dem alten Bahnhof, der sich gut für eine Gastronomie eignen würde, ist auf dem angenehm breiten Asphaltband ein Schienenstrang aufgemalt und für die Information auch gleich die zugehörige Webadresse. Dann wollen wir mal.
Es geht bergab. Wir rollen immer schneller durch einen schattigen Wald. Straßenüberquerungen werden rechtzeitig mit grünen Warnbaken angekündigt. Dann höre ich bekannte Töne, erst leise, dann immer lauter. Ich traue meinen Ohren nicht. Vor mir sehe ich Elvis Presley. Er singt, nur leider nicht live. 1959 war er hier auf dem Truppenübungsplatz. Zur Erinnerung daran ist sein Konterfei auf ein Trafohäuschen aufgemalt. Auf Knopfdruck singt er heutzutage immer noch gerne. Ein Ehepaar in meinem Alter hat vor mir den Knopf entdeckt und erfreut sich der Musik. Ich muss Cafer zurückrufen. Er war zu schnell. Wir bekommen von dem Ehepaar Tipps für die Weiterfahrt und die Umgehung einer Baustelle auf der Trasse.
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Wir fahren weiter. Wieder steht ein bemaltes Trafohäuschen am Wegesrand. Es erinnert an die Geschichte der Bahnstrecke. Im Vergleich zum Brend-Bahnradweg ist dieser vorbildlich ausgebaut und gestaltet. Mal rollen wir durch ein Waldstück, mal über freies Feld, mit schönem Blick in die Tallandschaft der Sinn. Weitere Themenhäuschen und Relikte aus der aktiven Zeit der Sinntalbahn folgen. Auch für den Fall eines Unfalls ist vorgesorgt. Alte Kilometersteine sind mit der Notrufnummer 112 und dem Standort versehen.
Hoch über uns braust der Verkehr. Wir unterqueren die lange Talbrücke der A7 und rollen gemütlich über Bad Brückenau (Sissi war auch hier) und Rupboden (wieder die Vergessene Autobahn) bis Zeitlofs und damit dem Ende der Ausbaustrecke an der hessisch-bayrischen Grenze. Es ist ein Vergnügen, über diese Bahnradstrecke zu rollen. Die Blicke auf die Berge, die Ortschaften, ins Tal und all die Informationen auf den Themenhäuschen summieren sich zu einem bleibenden Eindruck.
Nach ziemlich genau neunhundert Kilometern verlassen wir Bayern nun endgültig. Eigentlich führt die Trasse der Sinntalbahn noch sechs Kilometer weiter, aber das Bahnradprojekt ist in Hessen wohl auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Nach ziemlich genau neunhundert Kilometern verlassen wir Bayern nun endgültig. Eigentlich führt die Trasse der Sinntalbahn noch sechs Kilometer weiter, aber das Bahnradprojekt ist in Hessen wohl auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Es ist halb vier und Zeit für das nachmittägliche Eisvergnügen. Aber wo bitte gibt es im Sinntal eine Eisdiele? Es ist heiß und die Kalorien müssen aufgefüllt werden. In Jossa finden wir endlich ein Gasthaus. Doch wir werden abgewiesen. Getränke gibt es nur für Hotelgäste. Also radeln wir weiter. Unsere Unterkunft ist ja nur zwei Ortschaften entfernt. Wir werden auf einer kühlen Waldstrecke in das Jossatal geführt. Das Tal ist schmal, die Jossa ein lauschiger Bach. Immer wieder fällt mein Blick an Baumgruppen vorbei auf die Talaue. Viele Wiesen haben unter dem heißen Sommer gelitten und liegen braun unter dem blauen Himmel.
Schließlich erreichen wir Mernes. Dort im Hotel gibt es alles: zuerst die Apfelschorle zum Durstlöschen, dann die erfrischende Dusche und schließlich ein feines Abendessen mit hausgemachtem Sauerrahmeis im Pistazienmantel mit frischen Erdbeeren. Ich vermisse Lisbeth. Aber es dämmert schon und sie wird schon schlafen. Gute Nacht.
Tag 12
Der letzte Tag - von Mernes nach Erlensee
Gleich nach dem Start in Mernes erwartet uns die erste Bergprüfung. Entlang eines Steilhangs geht es hoch nach Marjoß. Der Forstweg ist sandig. Ich komme mit meinen Tourenreifen immer wieder ins Schlingern und muss höllisch aufpassen. Cafer mit seinem Mountainbike fährt mir locker davon.
Das Tal ist schmal, die Häuser liegen am Hang. Dazwischen zwängt sich die Jossa. Da heißt es Rampen rauf und manchmal auch runter. Der Radweg von Oberndorf nach Pfaffenhausen bringt dann die Erlösung. Er ist geteert. Da bleibt mir Zeit für viele Blicke in die Landschaft. Irgendwo, weit weg von uns, rauscht der Berufsverkehr. Ansonsten rauscht nur der Wald und mein Tinnitus.
Das Tal ist schmal, die Häuser liegen am Hang. Dazwischen zwängt sich die Jossa. Da heißt es Rampen rauf und manchmal auch runter. Der Radweg von Oberndorf nach Pfaffenhausen bringt dann die Erlösung. Er ist geteert. Da bleibt mir Zeit für viele Blicke in die Landschaft. Irgendwo, weit weg von uns, rauscht der Berufsverkehr. Ansonsten rauscht nur der Wald und mein Tinnitus.
In Pfaffenhausen blockiert ein Viehtransporter den Weg. Vier starke Männer versuchen, einen widerspenstigen Bullen in den Transporter zu bewegen. Irgendwie hat er nicht so die rechte Lust, vor allem nicht, als er mein Handy sieht. Er ist wohl fotoscheu. Schließlich gelingt ihm doch der entscheidende Schritt und unser Weg ist wieder frei. Hinterm Ort wartet eine Kuhherde auf mich. Die Damen sind gar nicht fotoscheu. Im Gegenteil. Zwei bitten mich um ein Porträt. Gesagt, getan. Ich verspreche, ihnen die Fotos zu senden. Später fällt mir ein, dass ich vergessen habe, sie um ihre E-Mailadresse zu bitten. Schade.
Der Weg nach Lettgenbrunn führt wieder über einen Feldweg mit Feinsplitt. Ach, wie liebe ich diesen Belag. Die Jossaquelle sprudelt nicht mehr. Der heiße Sommer hat ihr das Wasser entzogen. Das mag leidvoll sein, doch leidvoller ist die Geschichte von Lettgenbrunn. Zum ersten Mal wurde der Ort im Dreißigjährigen Krieg entvölkert. Erst 1654 wurde er wieder besiedelt. Als 1912 ein Truppenübungsplatz oberhalb eingerichtet wurde, mussten alle Bewohner ihren Ort verlassen. Die Wiederbesiedlung nach 1918 war nur von kurzer Dauer, denn 1935 wurde der Ort zum Bombenabwurf-Übungsplatz. Die Einwohner wurden mit Zwang umgesiedelt. 1947 erfolgte die dritte Neubesiedelung mit Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten. Kein Wunder, dass fast alle Straßennamen an deren Herkunft erinnern. Nur der Urlauber-Weg passt nicht so recht dazu.
Von Lettgenbrunn ist es nur noch einen Katzensprung an der Burgruine Beilstein vorbei bis auf die Spessarthöhe. Von nun an brauche ich Komoot als Navi nicht mehr. Die App hat uns in den vergangenen zwölf Tagen zuverlässig geführt. Aber ab hier kenne ich den Weg. Wir nehmen die Landstraße nach Bad Orb hinunter. Der Fahrtwind kühlt. Kurz vor Bad Orb bremse ich stark ab. Cafer weiß sofort, warum. Linkerhand liegt das Café Waldfriede mit dem besten Kuchen weit und breit. Den lassen wir uns nicht entgehen.
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Gerne wäre ich durch den alten Ortskern von Bad Orb gefahren. Die Fachwerkhäuser bieten eine schöne Kulisse. Aber zurzeit ist die Durchfahrt gesperrt. So bleibt uns nur der Weg entlang der Orb. Was jetzt folgt, ist für mich Heimstrecke. Viele Male bin ich schon durch das Kinzigtal geradelt. Jetzt ist es traurig zu sehen, wie die Maispflanzen auf den Feldern vertrocknen und die Sonnenblumen ihre Köpfe hängen lassen.
Eigentlich ist Gelnhausen auch einen Stopp wert. Aber uns zieht es nach 960 Kilometern nach Hause.
Eigentlich ist Gelnhausen auch einen Stopp wert. Aber uns zieht es nach 960 Kilometern nach Hause.
In Erlensee erwartet uns Renate in der Eisdiele. Mein Tacho zeigt 981 km Gesamtstrecke an. Lisbeth ist auch schon da. „Schön, dass du zum Abschied kommst. Gestern Abend habe ich dich vermisst“, sage ich. „Ich bin nicht Lisbeth“, kommt als Antwort. „Ich bin Albert.“ Ich bin verblüfft. „Aber wo ist Lisbeth? Ich vermisse sie.“ „Tja, das ist eine lustige Geschichte. Lisbeth hast du am ersten Tag in Uffenheim kennengelernt. Am nächsten Tag war es Mareille, dann Yvette, ich möchte gar nicht alle Namen aufzählen. Ich kann nur sagen: hereingelegt.“ „Habt ihr etwa Hase und Igel mit mir gespielt?“ Ich ernte ein süffisantes Lächeln und ein Schmatzen an meinem Eisbecher.