Nostalgie Pur -
Mit der Bimmelbahn an die Nordküste von Mallorca
Oktober 2010
Es war einer jener Sonnenaufgänge, die das Herz erwärmen und die hier auf Mallorca mich jeden Morgen erfreuen. Langsam kriecht die Helligkeit aus dem Schwarz des Himmels über Palma, wandelt zuerst das Schwarz in ein tiefes Blau, das stetig über das Firmament westwärts wandert, es folgen immer hellere Blautöne, die ins Gelbe übergehen, die Farbpalette des Regenbogens gibt sich ein fröhliches Stelldichein. Genauso langsam schält sich auch die Silhouette der Kathedrale aus dem Dunkel und malt ihre Kontur wie ein Scherenschnitt in diesen immer heller werdenden Himmel. Ich stehe auf dem Balkon meines Hotels, frisch ist die Luft und kühl, aber in Erwartung der Sonne fröstelt es mich nicht, ich genieße diesen Anblick, der sich zu immer weiteren begeisternden Farbhöhepunkten schwingt. Als das Gelb intensiver wird, Orange- und Rottöne annimmt, da brennt schier der Himmel über Palma. Eine Stunde zieht sich dieses Schauspiel hin und mit der nahenden Sonne erwacht auch das Leben in der Stadt, der Autoverkehr meldet sich zurück. Pünktlich als die Sonne über den Horizont lugt, neugierig schauend, wer da auf dem Hotelbalkon sie wohl erwartet, wird sie von der Fähre mit einem schallenden Sirenenton begrüßt. Ich muss mich von diesem Schauspiel losreißen, das Frühstück ruft, oder exakter: Der Magen ruft nach dem Frühstück. Guten Morgen Mallorca.
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Mit dem Mittagessen ist die Konferenz beendet und die Anspannung lässt nach. Ein gutes Jahr Arbeit steckte in meiner Präsentation. Nun habe ich mir meine Erholung verdient. Mit einigen anderen Teilnehmer*innen der Konferenz habe ich mich verabredet. Die Sonne lacht. Wir wollen zu einem kurzen Ausflug an die Nordküste.
Eigentlich wollten wir um 14:00 Uhr den Bus nehmen, aber das Essen zieht sich und zieht sich, na ja, der Bus geht ja alle viertel Stunde, also keine Hektik aufkommen lassen, da wartet ja auch noch der Teller mit Eis und Ensaimada, die süßeste Verführung seit es Mallorca gibt. Um Viertel nach sind wir endlich vor dem Hotel, haben alle wieder eingefangen, die "noch ganz schnell" zur Toilette mussten und Kleingeld für die Zigaretten brauchten und die warme Jacke für den Abend auf dem Zimmer vergessen hatten, und sehen die roten Rücklichter der Nr. 1. "Don't panic" steht schon im "Reiseführer durch die Galaxis", der nächste Bus kommt bestimmt. |
Don't panic. Das Motto ist wirklich angesagt, denn nach einer halben Stunde ist immer noch keine Nr. 1 in Sicht. Viele Busse passieren uns, voll mit den Kreuzfahrern von der MSC, die nun wie Heuschrecken über Palma herfallen. Es erinnert mich an die Ankunftstage der Schiffe in Funchal, wenn in der Markthalle die Preise hochschnellen und die Taxifahrer dich taxieren, ob du auch das Bändchen am Armgelenk trägst, das sie zum Abzocken berechtigt. Gerade als wir die 8-spurige Straße in einer ruhigen Minute überqueren, um entnervt vom endlosen Warten zum Taxistand zu gehen (Motto "Don't panic"), schließlich fährt der Zug ja erst in 20 Minuten, da naht sie endlich, unsere Nr. 1. Ein Spurt zurück zur Bushaltestelle, die Tür noch für eine Nachzüglerin aufgehalten, und rein in den proppenvollen Bus. Wir sind mitten unter den preisbewussten Kreuzfahrern. Mit dem hatten wir nicht gerechnet.
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1000 Kreuzfahrer wollen gleichzeitig in die Stadt, alle Busse der Insel und alle Taxifahrer haben sich verschworen, uns die wertvollen Minuten und Sekunden zu rauben, die uns noch bis zur Abfahrt des Zuges bleiben, der letzte Zug nach Soller an diesem Nachmittag. Um 15:08 Uhr endlich am Plaza de Espana, Mathias spurte vor, besorgt die Fahrkarten für alle und diskutiert mit dem Schaffner, dass zu den 9 Fahrkarten in seiner Hand noch 8 weitere Personen gehören, die gleich auf dem Bahnsteig erscheinen werden. Auf dieser Strecke fährt nur dieser Zug und er ist jetzt, zu Saisonende, gähnend leer. Aber er muss pünktlich fahren, so hat es das Personal in dem preußischen Handbuch gelernt. So ein Handbuch kann nur preußisch sein. Aber dank Zwischenspurt und gutem Zureden sitzen wir alle dann doch schließlich im Zug und er darf los ruckeln.
Das mit dem Ruckeln ist kein Scherz. 98 Jahre hat der Tren de Soller nun auf dem Buckel und da darf es ruhig auch langsam und ruckelig zugehen, oder? Von Palma aus zieht sich die Strecke durch die Ebene ostwärts hin zu der Serra de Tramuntana. Es ist warm und wir öffnen die Fenster, lassen Häuser und Hinterhöfe vorbeihuschen, winken Kindern in einem kleinen Park zu, genießen den weiten Blick zurück auf die Bucht von Palma und spüren an der Geschwindigkeit den langsamen Anstieg hoch in die Berge.
Mehrere Tunnels hüllen uns in ihre Dunkelheit ein. Direkt hinter dem obersten Tunnel öffnet sich der Blick auf Soller, eingekesselt von den Bergen der Tramuntana. Hier hat man eine Plattform gebaut, damit die Touristen ihre Postkartenfotos von diesem herrlichen Blick machen können. Ich schnüre gerade meinen Rucksack, als ich die Plattform vorbeihuschen sehe. Verd... die Hochsaison ist vorbei, der Lokführer hat es eilig, nach Hause zu kommen. Aber mit meiner 50D komme ich auch so zu einem schönen Foto, 1/500 Sek und 10 Versuche, bis endlich mal ein freier Schuss zwischen den dicht stehenden Bäumen und Büschen gelingt. Wie eine entfesselte Ente strebt der Tren nun dem Bahnhof zu.
Bescheidenheit scheint nicht zu den Charaktereigenschaften der Menschen von Soller zu zählen, sonst würden sie uns nicht weismachen wollen, dass es den Bahnhof schon seit 1606 gibt, dank Wikipedia und Hochglanzbroschüren wissen wir, dass die Zuglinie 1912 eingeweiht wurde. Aber der Versuch ist nicht strafbar.
Langsam hat der Lokführer in den Bahnhof herein gebremst, bleibt ihm bei dem Kopfbahnhof auch nichts anderes übrig und ein Stuttgart21 wird es hier wohl auch nie geben. Wir genießen den Blick auf die alten Waggons, die im Schuppen stehen und die Touristen im Gegenzug, die fotoapparatbewehrt auf die Rückfahrt warten.
Soller hat sich in all dem Touristentrubel doch noch den ursprünglichen Charakter gewahrt, zumindest städtebaulich. Preislich kann es dagegen mit der Frankfurter Zeil mithalten. Dennoch, eine Kaffeepause muss sein, ein Bummel durch die Straßen, ein Preisvergleich und ein Foto von der ebenso nostalgischen wie alten Straßenbahn, die quer durch das Straßencafé quietscht.
Langsam hat der Lokführer in den Bahnhof herein gebremst, bleibt ihm bei dem Kopfbahnhof auch nichts anderes übrig und ein Stuttgart21 wird es hier wohl auch nie geben. Wir genießen den Blick auf die alten Waggons, die im Schuppen stehen und die Touristen im Gegenzug, die fotoapparatbewehrt auf die Rückfahrt warten.
Soller hat sich in all dem Touristentrubel doch noch den ursprünglichen Charakter gewahrt, zumindest städtebaulich. Preislich kann es dagegen mit der Frankfurter Zeil mithalten. Dennoch, eine Kaffeepause muss sein, ein Bummel durch die Straßen, ein Preisvergleich und ein Foto von der ebenso nostalgischen wie alten Straßenbahn, die quer durch das Straßencafé quietscht.
Eng geht es auch zu, wenn die Straßenbahn durch die ebenso engen Gassen bimmelt, schmale Menschen sind da im Vorteil. Auch ohne Straßenbahn wirkt die Straße recht aufgeräumt, denn kein Ladenbesitzer würde es wagen, seine Obstkisten ungeordnet auf dem Trottoir stehenzulassen. Eng geht es dann auch durch die Zitronen- und Orangenfelder. Ich bin versucht, mir eine Frucht vom Baum zu pflücken, man fühlt sich wie im Paradies, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Aber es ist noch ein paar Wochen zu früh und grüne Orangen zählen nicht zu meinem bevorzugten Obst.
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Weiter geht es gemütlich zum Hafen von Soller, und wenn dann mal ein Rucksack aus der offenen Tram fällt, dann wird halt nach dem Fahrer gerufen und der Pechvogel (der, dem der Rucksack gehört) darf schnell mal zurücklaufen und sein wertvolles Teil wieder einsammeln.
Im Hochsommer quillt der Hafen von Soller sicher über vor urlaubsanfangsblassen und vor sonnenbrandroten Menschenmassen, die morgens auf die Ausflugsboote strömen oder die Stunden bis zur Rückfahrt in den schicken Boutiquen, den preisbetonten Hafenrestaurant oder einfach nur am Hafenbecken vertrödeln. |
Auch wenn sicher im Hafen von Palma die edleren Yachten vom Reichtum ihrer Besitzer prahlen, so ist der Hafen von Soller auch recht gut aus aller Herren Länder besucht. Die enge Hafeneinfahrt hat in dieser ausladenden Bucht wohl zu frühen Zeiten den Piraten sichere Zuflucht gewährt und so mancher Nachkomme dieses Menschenschlages wird auch heute noch sein räuberisches Handwerk in dieser Bucht ausüben, gut getarnt als Straßenhändler oder Ähnlichem. Und er wird dem ahnungslosen Nordeuropäer mit treuem Blick und unter heißen Schwüren versichern, dass es sich wirklich um original Schweizer Uhren handelt, Uhren, die nur wegen eines klitzekleinen Produktionsfehlers nicht in den normalen Handel gehen dürfen, sondern hier und nur hier verkauft würden. Naja, und zu Hause wird es einem aufmerksamen Kind dann auffallen, dass der angebliche Produktionsfehler nur die Schrift "Made in China" ist.
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Ungeachtet solch banaler Gedanken schlendere ich den Hafen entlang, die Kamera immer schussbereit, das Auge suchend nach Motiven, die es alsbald ortet: frischer Fisch wird an mir vorbeigefahren, das beschleunigt meinen Schritt. Leider sehe ich nur noch die letzten Handkarren von hinten, auf den Fischerbooten regiert inzwischen der große Schlauch, der wieder alles blank spritzt. Und so mancher Fischer angelt noch mit einer Handschnur im Hafenbecken nach einem schmackhaften kleinen Fisch, der sein Salär aufbessert und als Spezialität des Ortes in den Restaurants von den Nachfahren der Piraten den Touristen serviert wird.
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Im Sommer würden uns jetzt Dutzende von Katzen um die Beine streichen, mit schmachtendem Blick ihren Anteil von unserem Teller erbetteln, doch auch sie wissen, dass die Saison vorbei ist und so ist es nur ein schläfriger alter Kater in edlem Grau, der nicht mal seinen Kopf hebt, um nach uns zu schauen.
Der Tag neigt sich bei einem schönen Essen dem Ende zu. Wir genießen von der Terrasse des Restaurants den Blick über den Hafen, der nun in den Lichtern der Nacht versinkt. Das Finale eines herrlichen Tages, Soller ist wahrlich eine Reise wert. |