
„Da seid ihr ja endlich“, meint Luigi und greift nach unserem Gepäck. Wegen der zweistündigen Verspätung des Nachtzuges haben wir in Rom den Schnellzug nach Reggio Calabria verpasst und bummelten über Neapel bis zum Bahnhof von Vallo della Lucania. Doch nun sind wir da und fühlen uns gleich heimisch und willkommen. Die grüne Landschaft, umrandet von Hügeln und Bergketten, die Ebene, durch den sich der Alento bis zum Meer schlängelt, sind uns schon vom letzten Aufenthalt her vertraut. Hinter uns zieht sich der lange Riegel des Monte Gelbison, wegen der Kirche auf seinem höchsten Punkt auch Monte Sacro genannt, von Nordosten bis zum Südwesten, während rechter Hand der Monte della Stella mit der weißen Kuppel der Radarstation grüßt. Überall grünt und blüht es. Das ist für diese Jahreszeit ungewöhnlich. Aber nach einer Regenperiode vor kurzem hat sich die Natur wieder erholt. Inmitten eines Feldes steht einsam ein markantes Wohnhaus. Es ist mir schon vor fünf Jahren aufgefallen, weil es wie ein Leuchtturm aus dem grünen Feld aufragt. Inzwischen ist es fertiggestellt. Es sieht aus wie eine Doppelhaushälfte, das auf seine zweite Hälfte noch wartet. Ich rieche schon das Meer und freue mich mit Renate auf die kommenden Wochen im Cilento.
Am Kreisel, kurz vor dem Ortszentrum von Marina di Casal Velino, biegt Luigi rechts ab. Unsere Unterkunft liegt oberhalb des Ortes, mit einem herrlichen Blick auf die Landschaft. Anna Maria erwartet uns schon mit einem Teller voller Trauben und Feigen, die rund ums Haus in der südlichen Sonne gerade den Höhepunkt ihrer Reife erreicht haben. Im Ferienhaus zieht es mich gleich auf die obere Terrasse. Der Ausblick ist reizvoll. Über das hoch gelegene Casal Velino schweift mein Blick auf das entfernte Castelnuovo, weiter entlang des Gebirgszuges des Monte Sacro bis zum mittelalterlichen Wachturm von Velia, um dann entlang des weit gestreckten Sandstrandes am blauen Meer am Torre Dominella unweit von uns anzukommen. Der Blick auf Hafen und Strand von Marina di Casal Velino bleibt mir von hier aus verwehrt.
Am Kreisel, kurz vor dem Ortszentrum von Marina di Casal Velino, biegt Luigi rechts ab. Unsere Unterkunft liegt oberhalb des Ortes, mit einem herrlichen Blick auf die Landschaft. Anna Maria erwartet uns schon mit einem Teller voller Trauben und Feigen, die rund ums Haus in der südlichen Sonne gerade den Höhepunkt ihrer Reife erreicht haben. Im Ferienhaus zieht es mich gleich auf die obere Terrasse. Der Ausblick ist reizvoll. Über das hoch gelegene Casal Velino schweift mein Blick auf das entfernte Castelnuovo, weiter entlang des Gebirgszuges des Monte Sacro bis zum mittelalterlichen Wachturm von Velia, um dann entlang des weit gestreckten Sandstrandes am blauen Meer am Torre Dominella unweit von uns anzukommen. Der Blick auf Hafen und Strand von Marina di Casal Velino bleibt mir von hier aus verwehrt.
Nachdem wir uns gestärkt haben, zieht es uns ans Meer. Zwei Wege führen hinunter. Heute nehmen wir den bequemen entlang der Straße. Er ist zwar weiter, aber für mich besser zu gehen. Mir kommt die Geschichte der Region in den Kopf, die ich schon bei dem Besuch vor fünf Jahren kennengelernt habe. Einst war Marina di Casal Velino nur eine Ansammlung von Fischerhütten. Die Ebene, durch die der Fluss zum Meer strebte, war sumpfig und die wenigen Bewohner von Malaria geplagt. Gewiss, in der Antike war das ein paar Kilometer südlicher gelegene Velia eine blühende Stadt, die vom Seehandel lebte. Von den Persern vertrieben fanden die Phokäer hier eine neue Heimat. 540 v. Chr. wurde laut Herodot die Siedlung Elea gegründet und durch ihre eleastische Philosophenschule bekannt.
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Nach dem Zusammenschluss mit Rom wurde aus Elia die römische Stadt Velia. Doch die Natur forderte ihren Preis. Wo anfangs noch Handelsschiffe viele Jahre rechts und links des Hügels der Akropolis ankerten, schwemmte das Meer im Laufe der Jahrhunderte so viel Sand an, dass der Hafen vom Meer abgeschnitten wurde. Mit dem Hafen hatte Velia seine wirtschaftliche Bedeutung verloren. Die Bewohner flohen vor der Malaria, die sich in den Niederungen festsetzte. Weit in den Bergen gründeten sie die neue Siedlung Novo Velia. Das antike Velia geriet in Vergessenheit. Direkt an der neuen Küstenlinie siedelten sich irgendwann Fischer an und nannten ihren Ort Ascea. Erst der aufkommende Tourismus im 20. Jahrhundert führte wieder zum Aufschwung an der Küste und brachte zunehmend Wohlstand in die Fischerdörfer des Cilento.

Ich lasse es mir nicht nehmen und schlendere allein durch den kleinen Hafen. An der Pier wird gerade fangfrischer Fisch in Kühlwagen verladen. Dort wacht die Madonna di Portosalvo über das Wohlergehen der Fischer. Es ist eine Skulptur, die der Künstler Vincenzo Cerino geschaffen hat. Heute ist es heiß, 39 Grad Celsius sagt mir die große Anzeige am Parkplatz. Fischerboote dümpeln träge im Hafenbecken und selbst die Katzen wagen sich nicht aus dem Schatten. Hoch über dem Hafen wacht seit Jahrhunderten der Torre Dominella, um vor Piratenangriffen zu warnen, auch wenn er heutzutage seine Aufgabe verloren hat. Ich mag die Atmosphäre solcher Orte, kann mich nicht satt sehen an den Details der Szenerie und bedauere es, dass mir meine Ausrüstung mit der Spiegelreflexkamera inzwischen zu schwer ist. Gewiss, auch mein Smartphone und meine kleine Kompaktkamera machen gute Fotos. Aber für detailreiche Vergrößerungen sind sie leider nicht geeignet. Dennoch lasse ich mir die Freude nicht nehmen. Hinter dem Hafen liegt der Nordstrand. Er ist kleiner und ruhiger als der lange Badestrand, der sich hinter dem Parkplatz nach Süden zieht. Im Zentrum treffe ich Renate wieder, die dort in der Bar bereits mit Luigi, Anna Maria, meinem Bruder und seiner Frau wartet. Der Espresso tut mir gut, bevor wir uns auf den Heimweg machen.
Zufällig stoße ich auf ein Foto von Marina di Casal Velino aus den 60er Jahren, das Herr Aurelio De Stefano aufgenommen hat. Bei unserem Aufenthalt im Jahr 2017 habe ich aus fast gleicher Perspektive das gleiche Motiv aufgenommen. Der Vergleich zeigt, wie sehr der Tourismus den Ort verändert hat.
Rechts und links der Straße reihen sich Olivenbäume. Die Ernte steht bevor. Bunte Netze liegen auf dem Boden bereit, um in den nächsten Wochen unter den Bäumen ausgebreitet zu werden. Immer höher steigt die Straße. Viele Orte im Cilento liegen hoch auf dem Bergrücken. Einhundertsiebzig Meter über dem Meer thront die alte Kirche von Casal Velino. Auf dem Felssporn haben sich im Mittelalter Rückkehrer aus Novo Velia angesiedelt, denen das Leben in den Bergen zu mühsam war. Rund um die Kirche reihen sich einige kleine, schmale Gassen. Sie schützen im Sommer vor der sengenden Sonne und im Winter vor dem kalten Wind. Für den Kirchplatz, den ein gepflasterter Stern ziert, bleibt nur wenig Platz. Etwas weiter unterhalb der Kirche nehmen wir Platz in einer Bar mit herrlichem Ausblick. Zu unseren Füßen liegt die Ebene des Alento, umrahmt von den Bergen, die sich bis weit über eintausend Meter auftürmen. Im Osten erhebt sich auf einem Hügel der Festungsturm von Castelnuovo.
Das Navi meint es gut mit uns und führt uns auf dem kürzesten Weg hinauf nach Castelnuovo. Die Straße ist zwar reizvoll und lässt tolle Ausblicke zu, sie ist aber auch aufregend. Vor jeder der zahlreichen Kurven wissen wir nicht, ob uns auf der schmalen Straße hinter der nächsten Kurve ein dicker LKW oder ein großer Bus entgegenkommt.
Die Altstadt liegt auf der Kuppe des Hügels. Darüber erhebt sich die Burg. Plakate werben für ein Bierfest am Wochenende. Doch noch ist es im Vorhof zur Burg still. Nur der Wind lässt die Tischdecken auf den Biertischen flattern. Durch mehrere Torbögen erreichen wir den Innenhof. Die Anlage weist eindeutig die Handschrift der Staufer auf. Ob sie unmittelbar auf Kaiser Barbarossa zurückgeht, der im 12. Jahrhundert hier durchzog, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Durch ein Portal, dessen alte hölzerne Tür offensteht, führt eine Treppe zur Kirche. Castelnuovo ist wohl eine der wenigen Bergsiedlungen in dieser Region, in welcher die Kirche nicht auf dem höchsten Punkt errichtet ist. Wir genießen die Stille und erkunden die Anlage.
Die Altstadt liegt auf der Kuppe des Hügels. Darüber erhebt sich die Burg. Plakate werben für ein Bierfest am Wochenende. Doch noch ist es im Vorhof zur Burg still. Nur der Wind lässt die Tischdecken auf den Biertischen flattern. Durch mehrere Torbögen erreichen wir den Innenhof. Die Anlage weist eindeutig die Handschrift der Staufer auf. Ob sie unmittelbar auf Kaiser Barbarossa zurückgeht, der im 12. Jahrhundert hier durchzog, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Durch ein Portal, dessen alte hölzerne Tür offensteht, führt eine Treppe zur Kirche. Castelnuovo ist wohl eine der wenigen Bergsiedlungen in dieser Region, in welcher die Kirche nicht auf dem höchsten Punkt errichtet ist. Wir genießen die Stille und erkunden die Anlage.
eruf dem Weg von der Burg in den Ort stoße ich gleich auf die zweite Besonderheit, die Castelnuovo bekannt gemacht hat. Von der Straße führt eine Treppe in einen kleinen Skulpturenpark. Guerino Galzerano, ein Bauer und Laienkünstler aus dem Ort, hat aus Flusskieseln skurrile Werke geschaffen. Wir laufen weiter in den Ort, bummeln durch die engen Gassen und stoßen auf weitere Werke aus seiner Hand. In einem Reiseführer wird er als Gaudi aus Castelnuovo bezeichnet. Da mag so weit Wahres daran sein, als er gerade Linien und Flächen vermeidet. Welch eine Arbeit muss es allein schon gewesen sein, die abertausend Flusskieseln zu sammeln und auf den Berg zu bringen. Welcher Kleinarbeit bedurfte es anschließend, um Kiesel neben Kiesel zu setzen und dabei nicht das große Ganze aus dem Auge zu verlieren. Diese naive Kunst erinnert mich eher an das Palais Ideal, das der Briefträger Cheval im südfranzösischen Hauterives im 19. Jahrhundert errichtet hat.
Auf der Terrasse der Bar an der Hauptstraße ruhen wir uns aus und kühlen unsere heißen Kehlen. Sogleich werden wir von einem Rentner angesprochen – in gutem Deutsch. Wo wir herkommen und was wir hier im Cilento machen, will er wissen. Er selbst war viele Jahre als LKW-Fahrer unterwegs, hat Fenster einer deutschen Firma nach Italien gebracht. Mich erfreuen diese kleinen Begegnungen.
Nach dem Frühstück fahren wir mit Luigi hinunter zum Hafen. Heute fällt mir das Laufen schwer. Am frühen Morgen sind erst wenige Menschen am Nordstrand. Wir wollen die Frühe nutzen, um eine Runde im Meer zu schwimmen. Das Wasser ist fast spiegelglatt. Nur kleine Wellen umspülen meine Füße, als ich mit Renate ins Wasser gehe. Das Wasser ist flach und ich muss eine gute Strecke waten, bis ich eintauchen kann. Es ist lauwarm und weich. Das Schwimmen macht Spaß. Nach dem Bad setzen wir uns in die kleine Strandbar. Ein Kakao und ein Croissant und dazu sanfte Musik als zweites Frühstück, das mundet.
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Wir lassen die Ebene hinter uns und fahren durch ein langes Tal. Rechts und links ziehen sich die Berghänge immer weiter hoch. Die Straße ist holprig, ruft nach einer Runderneuerung. Doch der Ruf verhallt schon lange ohne Gehör. Dann beginnt der Anstieg. Hoch über uns erkenne ich eine Hausgruppe, die langsam näherkommt. „Schau“, sagt Luigi am Ortsschild, „Das ist das Dorf der Murales.“ Erst in der nächsten Kurve begreife ich, was er meint. „Halte bitte an“, sage ich und greife nach meinem Fotoapparat. Auf einer Hauswand prangt ein großes Gemälde. Ein Junge sitzt dort auf einem Koffer und schaut wehmütig auf sein Dorf. Ich lasse mir die Inschrift am Bildrand übersetzen: „Ein Kind kann nicht alles wissen, was in einem gepackten Koffer steckt, und in einer Abreise, welche die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet.“ Die Auswanderung bestimmte viele Jahrzehnte das Leben der Menschen in den abgelegenen Bergdörfern. Ich erfahre auch, dass der Künstler Mauro Trotta diese Erfahrung in diesem Wandbild auf seine Weise zum Ausdruck gebracht hat. Ich möchte noch etwas verweilen und den tiefen Eindruck des Gemäldes in mir wirken lassen. Doch Luigi drängt mich zum Einsteigen. „Dort oben“, sagt er und zeigt die Straße hoch, „kommen noch viel mehr“.
Hinter der Kurve findet er einen Parkplatz. Die Sonntagsmesse ist gerade zu Ende und die Kirchgänger kommen aus dem Kirchenportal. In Gruppen bleiben sie stehen. Sofort fallen mir die zahlreichen Murales auf, die Wandbilder, die nicht nur Fassaden, sondern auch Türen und Durchgänge zieren. Gewiss, nicht alle sind so großflächig, wie jenes am Ortseingang. Aber sie sind auffällig in ihrer Farbintensität und ihren so unterschiedlichen Motiven, wie religiöse Szenen, skurrile Zeichnungen, politische Aussagen, ländliches Leben, expressionistische Malerei und immer wieder das Trauma der Auswanderung. Wir schlendern von der Hauptstraße über den Kirchplatz in die Gassen dahinter, lassen uns von unserer Neugier treiben und bekommen nicht genug von all den mehr oder weniger wunderbaren Murales. Die Fotoapparate laufen schier heiß ob der Dauerfeuer an Motiven.
Mich interessiert, woher diese Tradition kommt. Ich muss lange im Internet suchen, um eine ausreichende Antwort zu bekommen. Die ersten Murales entstanden Ende der 1970er anlehnend an die Initiative des sizilianischen Künstlers Pino Crisanti, der anregte, auf diese Weise abgelegene Dörfer attraktiv zu machen und das soziale Leben zu fördern. Nun erinnere ich mich, dass wir auch schon auf Sardinien ein Dorf mit Murales kennengelernt hatten. Doch Piano Vetrale hat selbst auch einen berühmten Künstler hervorgebracht. Der Maler Paolo de Matteis wurde 1662 hier geboren. Einige Murales besinnen sich auf seinen barocken Stil. Jedes Jahr im August, so eine Quelle im Internet, werden in- und ausländische Künstler hierher eingeladen, und so steigt die Zahl der inzwischen 70 Murales immer weiter an. Dass die Murales das Dorf attraktiv gemacht haben, beweisen nicht nur wir als touristische Besucher, sondern auch andere, die an diesem Tag durch den Ort ziehen und diese Freiluftgalerie bewundern.
Wieder drängt uns Luigi zum Aufbruch. Wir werden zum Mittagessen erwartet. Doch dazu müssen wir weiter ins Hinterland des Cilento fahren. Auf der Passhöhe bitte ich Luigi, nochmals anzuhalten. Von hier oben haben wir einen herrlichen Blick in die Täler, die umliegende Berglandschaft, die abgelegenen Ortschaften auf Bergkuppen und natürlich auch aufs ferne Meer. Durch diese Dörfer kommt selten ein Tourist. Man ist unter sich. Bettlaken flattern nach der großen Wäsche vom Balkon, alte Männer sitzen vor der Bar im Schatten, während die Jugend die Straße auf und ab flaniert.
In Monteforte Cilento biegt Luigi auf eine Nebenstraße ab, die steil ins Tal führt. Immer tiefer geht es hinab, bis er auf halber Höhe auf den Parkplatz eines Anwesens abbiegt. Wir haben unser Ziel erreicht, das Agriturismo Il Refugio. Hier treffen wir auf unsere Mitreisenden und auf Gemma und Luigi, die Betreiber des Gasthofes. Sie legen Wert darauf, dass für das Tagesmenü nur frische regionale Produkte auf den Tisch kommen. Auch Luigi, der Wirt, der uns in bestem Deutsch begrüßt, hat lange Jahre in Deutschland gearbeitet und sich mit seinem Einkommen dieses Idyll aufgebaut. Lange sitzen wir an der Tafel und genießen das Menü. Zum Abschluss bewundern wir die prächtigen Steinpilze, die er gerade bekommen hat. Der Abschied fällt uns schwer, doch wir haben einen langen Rückweg vor uns.
Am Freitag ist Markttag in Marina di Casal Velino. Straßenmärkte ziehen mich wie ein Magnet an. Es sind nicht nur die vielen Fotomotive, sondern auch die besondere Atmosphäre. Da ist der Stand mit den Haushaltswaren, an denen ich bisweilen ein besonderes Küchenutensil finde, die Obst- und Gemüsestände, die so herrlich nach frischen Produkten duften, der Lebensmittelstand mit dem regionalen Käseangebot und ausgefallenen Gewürzmischungen, und natürlich die Wühltische. In meiner Begeisterung vergesse ich völlig, dass ich mir eigentlich auch einen Ledergürtel kaufen will.
Vom Markt sind es nur wenige Schritte bis zu unserem Treffpunkt in der Bar. Gerne hätte ich das Eis probiert, von dem Anna Maria so schwärmt. Aber die Eisdiele hat für diese Saison schon geschlossen. Immerhin posiert die Besitzerin noch gerne für mich mit der riesigen Eistüte im Arm.
Vom Markt sind es nur wenige Schritte bis zu unserem Treffpunkt in der Bar. Gerne hätte ich das Eis probiert, von dem Anna Maria so schwärmt. Aber die Eisdiele hat für diese Saison schon geschlossen. Immerhin posiert die Besitzerin noch gerne für mich mit der riesigen Eistüte im Arm.
Luigi hat uns vorgeschlagen, heute in ein weiteres Bergdorf zu fahren. So ganz habe ich nicht verstanden, was uns dort erwartet, aber für Bergdörfer bin ich immer zu haben. San Biase liegt hoch am Hang des Monte Gelbison. Schon am Ortseingang schwant mir, dass uns ein Fest erwartet. Der kleine Platz vor der Kirche ist festlich geschmückt und ein paar Verkaufswagen mit Zuckerwatte, Kinderspielwaren und Kleidung werden gerade für die Kundschaft hergerichtet. Das Istanbul Café hat ein paar Tische herausgestellt. Wir nehmen Platz und harren der Dinge, die da kommen werden. Zuerst kommt die Musik in Form einer Blaskapelle. Die Musiker formieren sich vor der Kirche zu einem Zug und marschieren los. Dann passiert wieder nichts. Also schlendere ich durch die kleinen Gassen und Hinterhöfe rund um die Kirche, bis die Kapelle wieder zurückkommt. Langsam füllt sich der Platz. Die jungen Frauen haben sich fein herausgeputzt. Um einen besseren Überblick zu bekommen und damit auch bessere Fotos, steige ich eine Treppe hoch. Nun geht es auch schon los. Zuerst wird eine große samt rote Fahne aus der Kirche getragen. Ihr folgt ein Priester im weißen Gewand mit dem Kruzifix und anschließend eine Gruppe Frauen, die wohl, wie ich es sehe, ihren Hausaltar auf dem Kopf balancieren. Ihnen folgen Gruppen von Männern, die große Holzfiguren von zwei Heiligen und als Letztes die Gottesmutter tragen. Die Kapelle schließt sich dem Zug an, der schon auf dem Weg durch den Ort ist. Mittlerweile ist die Dämmerung angebrochen und wir streben zu unserem Abendessen in einer Pizzeria in einem Nachbarort. Wie könnte es anders sein, haben die Besitzer auch lange Jahre in Deutschland gearbeitet. Die Sonne verabschiedet sich mit einem glutroten Streifen am Horizont.
Die Küstenstraße windet sich entlang der Buchten und Vorberge, streift Ortschaften in idyllischer Lage und gibt immer wieder begeisternde Blicke preis. Wir sehen aufs Meer mit schmalen Stränden, auf schaukelnde Boote in kleinen Häfen oder haben Fernsicht durch ein langes Tal ins Landesinnere. Die Straße selbst ist über weite Strecken in schlechtem Zustand, nicht geeignet für die schnelle Durchfahrt, zumal auch enge Ortsdurchfahrten wie in Pioppi den Verkehr abbremsen. Heute zieht es uns nach Norden. In Acciaroli machen wir den ersten Halt. Im Hafenbecken liegen ein paar große Fischerboote. Es ist Mittagszeit. Die Bürgersteige sind hochgeklappt und die Häuser reingeholt, so leer ist es. Nur eine Bar hat offen, mit süßen Leckereien. Wir drehen nach dem Kaffeestopp eine Runde durch den Ort, dann geht es weiter.
Irgendwann, nach gefühlten hundert Kurven und Buchten, erhebt sich hoch über uns Castellabate. Die Straße führt weit um den Berg herum, bevor wir oben ankommen. Ein Schild begrüßt uns am Ortsanfang „Willkommen im Süden“. Durch den gleichnamigen Film, eine italienische Kopie des französischen Klassikers „Willkommen bei den Sch`tis“ wurde der Ort in ganz Italien bekannt. Dabei hätte schon der tolle Ausblick vom Belvedere di San Costabile genügt, um Touristen anzuziehen. Ich kann mich nicht sattsehen. Unter mir die Bucht mit Santa Maria di Castellabate, dazu das azurblaue Meer und die Amalfiküste im Hintergrund. Welche Berühmtheiten mögen hier wohl schon gestanden haben, um sich vor diesem Panorama fotografieren zu lassen? Schon die mittelalterlichen Mönche wussten um die Schönheit dieses Ausblicks. Der Wohnsitz des Abtes erhebt sich hinter mir auf dem höchsten Punkt und überragt selbst die Basilika. Benediktinermönche haben Jahrhunderte die Geschicke dieser Region bestimmt. Nach einem Abstecher zum Lido Jamaica bei Agropoli kehren wir wieder in unser Domizil zurück.
Wieder einmal gehen wir runter zum Strand. Diesmal nehmen wir den kurzen Weg zum Nordstrand. Ich muss höllisch aufpassen, da es nur ein steiler Trampelpfad ist, etwas befestigt, mit einem Geländer, dem ich nicht mein volles Vertrauen schenke und Stufen, die noch nie etwas von der Schrittmaßregel gehört haben. Dennoch sind wir heil am Strand angekommen und können den Sonnenuntergang genießen. In der Rosticceria La Perla warten schon unsere Freunde zum gemeinsamen Abendessen. Silvana, die Wirtin, tischt uns auf, was unser Herz begehrt. Schon seit 1985 heißt sie ihre Gäste willkommen.
Der letzte Tag ist angebrochen. Der Abschied fällt uns schwer. Anna Maria bringt uns zum Bahnhof. Dass der Zug verspätet am Bahnsteig hält, nehmen wir mit Humor. „Kenne wir ja schon von der Hinfahrt“, unke ich. Doch es soll schlimmer kommen. Der Zug steht seit einer Stunde am Bahnhof von Salerno und keiner weiß weiter. Dann kommt die Durchsage, dass der Regionalzug hier endet. Es heißt, dass Personen die Strecke blockieren. Alle sind aufgeregt, schließlich warten Anschlusszüge in Neapel und geschäftliche Termine in Rom. Dann bekommen wir den Tipp, in den bald einfahrenden Intercity einzusteigen. Das tun wir und lernen, was es heißt, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Die Servicebeamten, die Wasser und Kekse an alle Reisenden verteilen, haben Mühe, durchzukommen, obwohl jeder sich ins letzte freie Plätzchen drückt. Aber der Lokführer macht Dampf, sobald er freie Fahrt hat und braust mit uns durch bis Rom. Auch dort am Bahnsteig gibt es als Entschuldigung ein Lunchpaket.
Doch wir haben uns zu früh gefreut. Zwar fährt der Nightjet nach München „nur“ mit sechzig Minuten Verspätung los, aber er baut in der Nacht weitere einhundertzwanzig Minuten Verspätung auf. Von einem Jet kann da wirklich keine Rede sein. Umso mehr freuen wir uns, als wir nach dreißig Stunden endlich unser Heim erreichen. Ein bunter Regenbogen spannt sich zur Begrüßung über Langendiebach. Mit Wehmut denken wir an die schönen Tage im Cilento zurück.