Korsika
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„Bienvenue Benvenuti“, die Overalls der Matrosen, die uns aus dem Schiff heraus begleiten, tragen neben der korsischen Nationalflagge, dem Maurenkopf, das „Willkommen“ in zwei Sprachen: Französisch und Korsisch. Ich kenne Frankreich so gut wie meine Hosentasche, aber Korsika war noch nie mein Reiseziel, sehe ich mal von einem zufälligen Halbtagesbesuch in Bastia vor 45 Jahren ab.
Auf der Landkarte in der Fähre erkenne ich, dass die Silhouette von Korsika einer Hand gleicht, deren Zeigefinger nach Norden zeigt. Doch der Fingerzeig ist nicht auf Frankreich gerichtet, sondern auf Genua. Zwölf Kilometer bis Sardinien, achtzig Kilometer bis an die italienische Küste, aber doppelt so weit bis nach Frankreich. Die römische, die vatikanische, die genuesische und die pisanische Herrschaft haben am längsten Land und Kultur geprägt, fast 2000 Jahre lang. Calvi, Porto Vecchio, Ponte Leccio, Propriano, die Ortsnamen erinnern weniger an Frankreich als an eine Gegend irgendwo in Italien. Die Liste ist beliebig erweiterbar. Auch die korsische Sprache, die inzwischen wieder erlaubt ist, erinnert mehr ans Italienische als ans Französische. Aber das ist schon alles, was die Korsen mit Italien verbindet. Zu blutig war die Herrschaft der Genueser. Pascal Paoli, der 1755 im siegreichen Freiheitskampf der Korsen gegen Genua das Land zu einer 14jährigen Unabhängigkeit geführt hat, gilt immer noch als der wahre Landessohn. Weitaus mehr, als Napoleon Bonaparte, der zwar in Ajaccio geboren und von hier aus seinen Marsch auf Paris begonnen hat, aber anschließend als Herrscher aller Franzosen seine Heimat vergessen hatte.
Auf der Landkarte in der Fähre erkenne ich, dass die Silhouette von Korsika einer Hand gleicht, deren Zeigefinger nach Norden zeigt. Doch der Fingerzeig ist nicht auf Frankreich gerichtet, sondern auf Genua. Zwölf Kilometer bis Sardinien, achtzig Kilometer bis an die italienische Küste, aber doppelt so weit bis nach Frankreich. Die römische, die vatikanische, die genuesische und die pisanische Herrschaft haben am längsten Land und Kultur geprägt, fast 2000 Jahre lang. Calvi, Porto Vecchio, Ponte Leccio, Propriano, die Ortsnamen erinnern weniger an Frankreich als an eine Gegend irgendwo in Italien. Die Liste ist beliebig erweiterbar. Auch die korsische Sprache, die inzwischen wieder erlaubt ist, erinnert mehr ans Italienische als ans Französische. Aber das ist schon alles, was die Korsen mit Italien verbindet. Zu blutig war die Herrschaft der Genueser. Pascal Paoli, der 1755 im siegreichen Freiheitskampf der Korsen gegen Genua das Land zu einer 14jährigen Unabhängigkeit geführt hat, gilt immer noch als der wahre Landessohn. Weitaus mehr, als Napoleon Bonaparte, der zwar in Ajaccio geboren und von hier aus seinen Marsch auf Paris begonnen hat, aber anschließend als Herrscher aller Franzosen seine Heimat vergessen hatte.
Unser Weg führt uns am ersten Morgen an den Strand von Algajola. Sichelförmig liegt er in der kleinen Bucht. Wehrhaft zeigt sich Algajola, dieses kleine Städtchen am Meer. Wieder dominiert eine Festung das Stadtbild, Macht ausströmend auf einer Klippe angelegt. Mir fällt auf, dass weder hier noch in Calvi Fischerboote das Hafenbild prägen. Ich vermisse die Atmosphäre, den Geruch der Fischerhäfen, die ich an all den anderen Küsten des Mittelmeeres so sehr schätzen gelernt habe. Die Urbevölkerung von Sardinien, so nah an Korsika gelegen, hat sich schon im Altertum als Seefahrervolk ausgezeichnet. Die Urbevölkerung Korsikas hingegen hatte sich in die Berge zurückgezogen, lebte dort von den Früchten des Waldes und von der Viehzucht. Der griechische Dichter "Diodores von Sizilien" berichtet von einem friedlichen Hirtenvolk, das „im Gegensatz zu allen anderen Barbaren … nach der Regel der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zusammen“ lebte. Kein Wunder, dass sich Jahrtausende lang immer wieder fremde Herrscher der Insel bemächtigten. Sie bauten ihre Festungen stets am Meer, während die Korsen in ihren wie Trutzburgen angelegten Dörfern hoch auf den Gipfeln von Bergen oder versteckt in tiefen Tälern lebten. Immer wieder lehnten sie sich gegen die fremden Herrscher auf, immer wieder wurde ihr Aufstand über kurz oder lang blutig niedergeschlagen. Auch die Festung von Algajola wurde von den Genuesern angelegt.
Korsika selbst, das ist mein Eindruck, wirkt insgesamt wie eine Festung. Die massiven schneebedeckten Berge, die sich kurz hinter der Küste erheben, verstärken diesen Eindruck. Vom Strand aus starten wir zu einer ersten Erkundungsfahrt ins Landesinnere. Das Halbrund einer gewaltigen Bergkette umschließt einen weiten Talkessel, die Balagne. Hoch an den Berghängen oder auch auf einer Bergspitze gelegen sehe ich einige Dörfer. Wir folgen der schmalen Straße, die in dieses Tal führt, langsam an steigt, immer mehr an Höhe gewinnt. Das Geräusch des Autoverkehrs auf der Küstenstraße wird schnell von der Stille der Landschaft geschluckt. Immer weiter steigt die Straße an, folgt dem Verlauf des Geländes. In jeder Kurve heißt es hier Acht zu geben. Die Korsen gelten als schneidige Fahrer, das müssen sie auch, sonst kommen sie nicht voran. Wir Auswärtigen sind für sie die eigentliche Gefahr auf der Straße. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, dass hier rücksichtslos gefahren wird. Ich warte an einer Engstelle, lasse den Entgegenkommenden vorbei. Er bedankt sich mit einem freundlichen Handzeichen. Nach zahlreichen Kurven sind wir schon hoch über dem Meer, und die Straße steigt noch weiter.
St. Antonino heißt der Ort. Er krönt die höchste Bergkuppe an dieser Stelle. Schon lange vor dem Ort beginnen die Parkverbotsschilder. Die Straße endet an einem Schlagbaum, dahinter der Parkplatz rund um die beiden alten Kirchen. Münzen will der Automat, doch woher nehmen? Geduldig warten die Fahrzeuge hinter mir, bis ein freundlicher Kneipenwirt den Schein in Münzen gewechselt hat. Der Parkplatz ist groß. San Antonino zählt zu den einhundert schönsten Dörfern Frankreichs.
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In der Mittagshitze kühlt mich ein kurzer Aufenthalt in der Kirche. Schlicht ist das Innere. Statt der sonst üblichen Kerze schlägt der Besucher hier einen Reißnagel in einer Holzklotz, verbunden mit einer kleinen Spende. Sehr symbolisch, wie mir scheint, denn in früheren Zeiten brauchte man gut mit Eisennägeln beschlagene Schuhe auf den steinigen und glatten Wegen in den Bergen. Durch die schwere Tür verlasse ich mit Blick auf den Ortskern die Kirche.
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Vom Kiosk am Ende des Parkplatzes führt eine steile, gepflasterte Rampe hoch. Ich bewundere die jungen Damen vor mir, die mit Stöckelschuhen hoch tänzeln. Ein kleines Raupenfahrzeug steht am Wegesrand. Es ist der Esel der modernen Zeit, mit dem die Restaurants und Cafés im Ort beliefert werden können. Am Ende der Rampe verschwindet der Weg in einem Tunnel. Die Stadtmauer zum Schutz der Bewohner war im Mittelalter auch die Stadtgrenze, und der Platz innerhalb der Stadtmauer begrenzt. Da blieb bei Bevölkerungszuwachs nichts anderes übrig, als auch die Straßen zu überbauen. Nun ja, Straßen in unserem Sinne sind es ja eigentlich gar nicht, sondern schmale Gassen, denen ich jetzt folge, Gassen, die sich zwischen den Häusern hindurch winden, Gassen, die dem natürlichen Verlauf des Felsens folgen, mal flach, mal über steile Treppen eine Ebene höher steigend. Dort, wo eine kleine Fläche frei geblieben ist, haben Anwohner einen Garten mit Blumen und ein paar Küchenkräutern angelegt.
Schließlich erreichen wir die Kuppe des Hügels. Ein kleiner Platz lädt zum Verweilen ein. Ein fantastischer Rundblick öffnet sich. Tief unter mir liegt die Bucht von Algajola. Wie eine Modelleisenbahnanlage wirkt die Landschaft mit dem kleinen Zug, der gerade Algajola verlässt. Eine kleine Hügelkette verhindert den Blick auf die Bucht von Calvi im Westen, dafür entschädigen mich im Süden die schneebedeckten Berge vor strahlend blauem Himmel. Ich lasse meine Gedanken in die Historie wandern. Irgendwann im 9. Jahrhundert wurde auf dieser Kuppe eine Trutzburg gebaut. Von hier oben, fünfhundert Meter über dem Meer gelegen, war jeder Angreifer rechtzeitig zu sehen. Ein idealer Platz zum Schutz der Bewohner der Balagne, die sich rings herum ausbreitet. Schon damals war die Balagne das Getreide- und Gemüsezentrum der Insel.
Über steile Treppen führt der Weg zurück zum Kirchplatz. Wir gehen nochmals zu dem freundlichen Kneipenwirt, der uns Münzen für den Parkplatz eingewechselt hat,. Lange, massive Holztische stehen im Inneren. In einer Ecke ist, wie ein kleiner Altar, eine Gedenkstätte für Pascal Paoli, den großen korsischen Freiheitskämpfer aufgebaut.
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Auch hier ist der korsische Maurenkopf allenthalben zu sehen, sei es als Zierde einer Fassadenfront, als Motiv auf Postkarten und Mitbringseln oder allgegenwärtig - auf den Autokennzeichen. Er ziert die Flagge der Region Korsika. Schon auf Sizilien habe ich ihn gesehen, aber hier ist er anders. Der „Korse“ schaut nach links und trägt die Binde auf der Stirn, der „Sarde“ schaut nach rechts und trägt die Binde über den Augen. Der Ursprung ist wohl der gleiche, der siegreiche Kampf gegen den König von Aragon. Aber auf Korsika ist die emotionale Bindung an die Flagge noch höher. Pascal Paoli hat den Maurenkopf als korsische Flagge eingeführt, genau in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit vor der Übergabe der Insel von der genuesischen Herrschaft zur französischen.
Nach dem Abendessen ist die Strandpromenade von Algajola ein beliebter Weg für einen Bewegungsgang. Im Halbrund reihen sich die Häuser des alten Ortskerns. Die Zahl der Restaurants lässt auf die Heerscharen der Touristen schließen, die in der Hochsaison hier her kommen. Ein letzter gelber Schimmer liegt über dem Meer, lässt die Zinnen der Festung scharf hervor treten. Eine kleine Uferpromenade führt vom Strand zur Festung. Ich höre deutsche und französische Laute. Graublau ist jetzt das Meer. Die Nacht legt langsam ihren schwarzblauen Schleier über die Insel. Wir lassen den Tag schließlich auf der Terrasse unseres Apartments ausklingen. Hoch über uns leuchten die gelben Lichter von San Antonino vor dem Schattenriss des Gebirgsstocks.
Nach dem Abendessen ist die Strandpromenade von Algajola ein beliebter Weg für einen Bewegungsgang. Im Halbrund reihen sich die Häuser des alten Ortskerns. Die Zahl der Restaurants lässt auf die Heerscharen der Touristen schließen, die in der Hochsaison hier her kommen. Ein letzter gelber Schimmer liegt über dem Meer, lässt die Zinnen der Festung scharf hervor treten. Eine kleine Uferpromenade führt vom Strand zur Festung. Ich höre deutsche und französische Laute. Graublau ist jetzt das Meer. Die Nacht legt langsam ihren schwarzblauen Schleier über die Insel. Wir lassen den Tag schließlich auf der Terrasse unseres Apartments ausklingen. Hoch über uns leuchten die gelben Lichter von San Antonino vor dem Schattenriss des Gebirgsstocks.
Heute ist Markttag in Ile Rousse. Leider sind wir nicht die einzigen, die das wissen, und so müssen wir uns schon einen Kilometer vor der Stadt in die Autoschlange einreihen, die ins Zentrum will. Aber es geht dennoch zügig voran, denn ebenso viele, wie in die Stadt hinein wollen, wollen auch wieder hinaus. Die Tische in den Bistros sind alle belegt. Der Markttag ist Anlass, sich mit Freunden zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen, sei es im Café oder am Eingang des Rathauses.
Schnell finden wir die Marktstände, die sich auf dem Kirchplatz um die Büste von Pascal Paoli gruppieren. Seine Büste dominiert den Platz. Ich lese den eingravierten Spruch: „Ich wage zu sagen, dass mein ganzes Leben der Freiheit gewidmet war.“ In diesem Satz ist der ganze Stolz der Korsen verewigt. Die Stadt zählt zu den jüngeren auf Korsika. Pascal Paoli hatte sie als Stützpunkt gegen die Genueser gegründet. Heute gehört sie mit ihrem schönen Strand zu den wichtigsten touristischen Zentren an der Nordküste. |
Zu meiner Enttäuschung sind wir nicht auf einem der klassischen französischen Straßenmärkte gelandet, sondern auf einem jener Abart, die sich in den touristischen Zentren entwickelt haben. Es gibt viel Strandasseccoires und wenig Haushaltswaren. Ich wende mich da lieber der offenen Markthalle zu. Wie ein römischer Tempel steht sie am Rande des Kirchplatzes. Aber auch hier deuten die Preise und die Angebote auf die wichtigsten Kunden hin, die Touristen. Das Angebot ist verlockend. Korsischer Honig, korsischer Käse und korsische Wurstwaren wandern in meinen Rucksack.
Direkt hinter der Markthalle liegt ein kleines Geschäft. Es ist sicher so alt, wie die Besitzerin und die Waage aus vordigitaler Zeit auf der Ladentheke. Die Besitzerin kann nicht mehr gut gehen, lässt die Kunden sich selbst bedienen und zu ihr an die Kasse an der alten Waage kommen. Aber rechnen kann sie noch gut. Bei ihr gibt es die größten und günstigsten Kirschen und die saftigsten Aprikosen. Solange sie noch stehen kann, wird es diesen Laden noch geben. Restaurantbesitzer stehen sicher schon in den Startlöchern, um möglichst bald die Räume zu übernehmen, denn an ihrem Laden beginnt die Fress- und Flaniermeile von Ile Rousse.
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Von Ile Rousse führt die „Straße der Kunsthandwerker“ in die Balagne. Wir folgen ihr, wollen das eine oder andere Atelier besuchen. Direkt hinter dem Abzweig von der Nationalstraße beginnt schon der Anstieg in die Berge. An einer alten Kirche am Straßenrand ist ein kleiner Platz angelegt. Hier halten wir für unser Picknick mit einem faszinierenden Ausblick. Als die Sonne den Zenit überschreitet, setzen wir unsere Fahrt fort.
Kleine Kapellen stehen in einer Kurve am Straßenrand. Jede für sich ist eingezäunt, manche vor kurzem renoviert, andere angenagt vom Zahn der Zeit. „Famille Jean Seducci“ steht über dem Eingang des einen Gebäudes. Ich sehe auf jedem Gebäude den Namen einer anderen Familie. Es sind keine Kapellen, sondern Grabmäler, rechts und links der Straße angeordnet, eine Totenstadt. Die Korsen haben ihre eigene Bestattungskultur. Der Sarg wird nicht in die Erde eingelassen, sondern in eine Grabkammer eingeschoben. Große und reiche Familien haben ihr eigenes Mausoleum. Die weniger Begüterten kommen in Sammelgrabmäler. Nun erinnere ich mich, dass ich vorhin, in Corbara, der Ortschaft hinter uns, solche Grabmäler auch auf Privatgrundstücken gesehen habe. Auch das ist Korsika. Von der Straße der Grabmäler ist es nur ein Katzensprung bis zum Convent Saint Jean. Von unserer Unterkunft aus habe ich dieses imposante Gebäude schon hoch am Berghang liegen sehen. Ursprünglich von Franziskanern gegründet und später von den Dominikanern übernommen wird es heute noch von einer Mönchsgemeinschaft geführt. |
Bald erreichen wir unser eigentliches Ziel, die Künstlerstadt Pigna. Wieder kostet die Einfahrt auf den Parkplatz zwei Euro. Wer keine passenden Münzen dabei hat, muss leider weiter fahren. Außerhalb des Ortes gibt es praktisch keine Parkmöglichkeit zu eng ist die Straße. Der Ort blickt auf eine 1200 Jahre reiche Geschichte zurück. Auf einer Felskuppe gelegen sind die Häuser nur per Pedes zu erreichen. Treppen führen zwischen den Häusern hindurch auf dem Weg ins Zentrum. In den vortouristischen Zeiten des letzten Jahrhunderts hat sich die Einwohnerzahl immer weiter reduziert. So wie heute noch in den abgelegenen Dörfern im Landesinneren haben die jungen Menschen den Ort verlassen, um in der Ferne Brot und Arbeit zu finden. In den 60er Jahren haben ein paar Kunsthandwerker das verlassene Dorf für sich entdeckt. Sie gründeten die „Corsicado“, die Genossenschaft der Kunsthandwerker Korsikas, und legten damit den Grundstein für das Aufblühen dieses verlassenen Dorfes. Heute leben hier zahlreiche Kunsthandwerker und so manches putzig renovierte Haus zeugt auch schon von neuen, zahlungskräftigen Besitzern. Ein großes Areal auf dem Parkplatz vor Pigna ist für Busse reserviert. Wir schlendern durch die engen Gassen, schauen in Ateliers hinein, kommen vorbei an Auslagen mit Töpferwaren, Aquarellen, handgefertigten Spieldosen und was auch immer noch das Auge und den Geldbeutel der Besucher erfreuen mag.
Vorsicht Wildwechsel: Das Schild lerne ich schnell zu achten. Es müssen nicht Hirsche oder Wildschweine sein. Vor dem kleinen Örtchen Galéria grasen Kühe am Straßenrand. Ich fahre vorsichtig an ihnen vorbei. Wer weiß, auf welche Ideen sie kommen, wenn sie dem Duft köstlicher Gräser folgen. Galéria liegt an einer der zahllosen Buchten der nördlichen Westküste. Ein paar Yachten dümpeln am Steg, der Schlagbaum zum Parkplatz ist geöffnet. In diesen Wochen freut man sich über jeden Besucher, der hier her findet. Kaum packen wir unser Picknick aus, da haben uns schon die Spatzen umringt und betteln um ihren Anteil. Es ist so friedlich hier. Leise schlagen die Wellen ans Ufer.
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Der Blick auf die Straßenkarte von Korsika hat mir schon vor der Reise gezeigt, dass hier keine großen Sprünge möglich sind. Mit Ausnahme des Mittelabschnitts der Ostküste setzt der Straßenbau hohe Anforderungen an die Ingenieure. Auf dem kleinen Raum dieser Insel finden sich mehr als 50 Berge mit über 2000 Meter Höhe. Ganz so hoch wollen wir heute nicht, dafür an die Westküste. Am kleinen Flughafen von Calvi vorbei führt die Straße geradewegs auf die Zweitausender zu. Kurz vorher biegt sie jedoch nach Westen ab und erklimmt einen 440 Meter hohen Pass. Die Gegend wirkt entvölkert, ab und zu ein einsames Anwesen, während sich die Straße wieder der Küste zu wendet. Von der Brücke, die am Zusammenfluss des Marolino und des Fango das Tal überquert, bietet sich mir ein berauschender Blick auf den Monte Cinto, der mit seinen 2709 Metern das Dach Korsikas bildet. Grün zieht sich die Macchia die Berghänge hoch, bis sie vom Weiß des Schnees abgelöst wird.
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Eine schmale Straße führt von Galéria entlang der Küste nach Norden. Allenthalben erobert sich die Macchia die Straße zurück. An einem kleinen freien Platz halten wir und steigen aus. Nicht nur der schöne Blick auf Galéria begeistert uns, sondern auch der Duft der Macchia, ein Aromamix aus Liebstöckel, Thymian, Lorbeer, Ginster, Lavendel, Myrte, Baumheide, Rosmarin und vielen anderen wohlriechenden Kräutern. Bienen summen allenthalben und machen sich, wie viele andere Honigliebhaber, über die Blüten her. Die Macchia ist undurchdringlich. Es ist ein Buschwald, der die Hälfte der Inselfläche bedeckt. Auch heute noch gibt sie denen Schutz, die dem Arm des Gesetzes entgehen wollen. Nur die Hirten kennen die schmalen Wege, die durch das dornenreiche Gestrüpp hindurch führen. Die wenigen Häuser entlang der dreißig Kilometer langen Straße kann ich an einer Hand abzählen. „Argentaria“ heißt eine kleine Ansammlung von Fabrikgebäuden in dieser Einöde. Hier wurde wohl mal Silbererz abgebaut.
Wieder neigt sich
die Sonne dem westlichen Horizont zu. Das Licht wird wärmer, die Schatten
länger. Kurz vor Calvi biegen wir auf eine kleine Straße ab. Steil zieht sie
sich hoch, vorbei an bizarren Tafoni, riesigen kugelförmigen Granitblöcken, die
mit ihren erodierten Formen wie eine Kulisse aus dem Film Star Wars wirken.
Vorbei an einer der zahllosen Quellen erreichen wir „Notre Dame de la Serra“.
Eine breite Steintreppe führt uns hoch. Eidechsen huschen vor mir weg. Sie
sonnen sich auf den warmen Stufen. Die Kanten dieser Stufen aus Granit sind
messerscharf, da heißt es aufzupassen. Wir sind rechtzeitig gekommen. Der
Uhrzeiger geht auf 19:00 Uhr zu, das Tor steht noch offen. Neben der Kapelle
erhebt sich eine große Marienstatue und davor ein wahrer Wow-Blick. Tief unter
mir liegt Calvi im Spätnachmittagslicht. Die Festung mit der Oberstadt ragt ins
Meer hinaus und gibt dem kleinen Hafen Schutz, dahinter die lang gezogene
Sichel der Bucht, die sich weit nach Nordosten zieht. Das warme Abendlicht umschmeichelt
die Mauern aus hellem Granit und hebt sie von dem tiefen Blau des Meeres ab.
Ein Flugzeug schwebt im Landeanflug über die Bucht. Ich stehe lange da, kann
meinen Blick nicht los reißen von diesem herrlichen Bild.
Es ist noch früh. Beim Bäcker stehen die Kunden für ein frisches Baguette Schlange. Er hat jeden Morgen offen, auch heute, am Pfingstsonntag. . Das Läuten an der Bahnschranke kündet uns das Nahen des erwarteten Zuges an. „Micheline“ heißt sie und ist doch nicht so sanft wie ihr Name versprichtEs sind nur wenige Fahrgäste, die heute mit uns einsteigen. Corte, die alte und immer noch heimliche Hauptstadt im Landesinneren ist unser Ziel. Gewiss, mit dem Auto wären wir schneller dort und auch bequemer. Aber eine Bahnfahrt mit der Eisenbahn durch die Bergwelt Korsikas ist viel spannender. Drei Eisenbahnlinien gibt es hier. Eine kommt von Ajaccio, die zweite aus Bastia und die dritte aus Calvi. In Ponte Leccio treffen sie sich. „Micheline“ wird die Schmalspurbahn von den Einheimischen liebevoll genannt und seit der Tourismus boomt, gibt es auch klimatisierte Panoramazüge.
Wir fahren entlang der Bucht von Algajola, schauen auf den herrlichen Sandstrand und die ersten Sonnenanbeter, die jetzt schon ihre Handtücher ausbreiten. Weitere Buchten folgen, an jeder gibt es eine Haltestelle. Zwischen Calvi und Ile Rousse fährt „Micheline“ auch am häufigsten. In Ile Rousse besteigt eine große Reisegruppe mit ihren Koffern den Zug. Sie wollen wohl zum Flughafen von Bastia. Auch viele Wanderer mit zünftiger Ausrüstung drängeln sich auf die wenigen freien Sitzplätze. Ruckelnd setzt sich „Micheline“ in Bewegung. Mehrfach muss sie warnend pfeifen, damit die Strandgäste nicht unter ihre Räder kommen. In Ile Rousse führt die Bahnlinie auf einer schmalen Trasse zwischen Parkplatz und Badestrand. Es ist schon heiß. Hier könnte ich schier vom Trittbrett direkt ins Wasser springen, so nah fährt sie an den Badenden vorbei.
Schon bald hinter Ile Rousse fängt „Micheline“ an zu schnaufen. Sie verlässt die Küste und muss nun auf 500 Meter hoch klettern. Früher, als „Micheline“ mit Dampf betrieben wurde, brauchte sie auf dieser Strecke viel Wasser. An fast jedem Bahnhof stehen noch die alten Wassertürme und die gusseisernen Einfüllstutzen. Manche Bahnhöfe sind schon Ruinen, andere hübsch gepflegt. Im Lautsprecher höre ich, wenn ein Bahnhof eine Bedarfshaltestelle ist. Dann bittet die freundliche Stimme darum, „bei Bedarf“ den Halteknopf zu drücken. Heute gibt es keinen Bedarf.
Die Bahntrasse ist vor einigen Jahren erneuert worden, noch sind die Schottersteine hell, kein Grashalm wächst zwischen ihnen. Die Berge sind zerklüftet, um jede Biegung windet sich der Schienenstrang. Ein Pfiff und es wird dunkel. Der erste Tunnel hüllt uns ein und entlässt uns alsbald wieder ins Tageslicht. Schwindelerregend bisweilen der Blick in die Tiefe. Macchia so weit das Auge reicht. Weit unten, im Tal, auf einer kleinen Lichtung, weiden ein paar Kühe. Vor uns liegt ein tiefer Einschnitt, den die Ingenieure für „Micheline“ in den Berg geschnitten haben. Abrupt bremst der Zug. Eine Kuh hat sich auf den Bahndamm verirrt. Etwas unwillig macht sie in dieser Enge Platz, beobachtet argwöhnig, wie der Zug langsam an ihr vorbei fährt. Hoffentlich wird die Milch nicht sauer. In der Ferne sehe ich noch einmal das Blau des Meeres, menschenleer die Hügel und Täler bis dorthin. Hinter dem nächsten Tunnel sind wir dann endgültig in der Bergwelt angekommen. Am Ende eines langgezogenen Tales liegt ein einsames, hoch gelegenes Dörfchen, Norella. „Micheline“ muss nun besonders stark schnaufen. Es scheint, als würde die Steigung immer mehr zu nehmen. Schließlich hält sie am Bahnhof von Norella. Eine steile Straße führt vom Dorf nach oben. Ein Fahrgast steigt zu, dann geht die Fahrt weiter. „Micheline“ kann sich nun ausruhen, denn mit dem Bahnhof ist die erste Passhöhe erreicht. Nun geht es erst mal wieder abwärts. Doch all zu schnell, darf „Micheline“ nicht werden. Am Ende von einigen Hundert Metern gerader Strecke folgen enge Kurven. Da muss „Micheline“ schön langsam machen, um nicht unsanft im Tal zu landen. Widerwillig räumt wieder eine Kuh ihren Platz zwischen den Schienen. Vor uns taucht nun die schneebedeckte Kette des zentralen Bergmassivs auf. Satt grün ist die Landschaft. Hier ist die Besiedlung spärlich, die Dörfer sind klein, noch kleiner, als in der Balagne.
Die Bahntrasse ist vor einigen Jahren erneuert worden, noch sind die Schottersteine hell, kein Grashalm wächst zwischen ihnen. Die Berge sind zerklüftet, um jede Biegung windet sich der Schienenstrang. Ein Pfiff und es wird dunkel. Der erste Tunnel hüllt uns ein und entlässt uns alsbald wieder ins Tageslicht. Schwindelerregend bisweilen der Blick in die Tiefe. Macchia so weit das Auge reicht. Weit unten, im Tal, auf einer kleinen Lichtung, weiden ein paar Kühe. Vor uns liegt ein tiefer Einschnitt, den die Ingenieure für „Micheline“ in den Berg geschnitten haben. Abrupt bremst der Zug. Eine Kuh hat sich auf den Bahndamm verirrt. Etwas unwillig macht sie in dieser Enge Platz, beobachtet argwöhnig, wie der Zug langsam an ihr vorbei fährt. Hoffentlich wird die Milch nicht sauer. In der Ferne sehe ich noch einmal das Blau des Meeres, menschenleer die Hügel und Täler bis dorthin. Hinter dem nächsten Tunnel sind wir dann endgültig in der Bergwelt angekommen. Am Ende eines langgezogenen Tales liegt ein einsames, hoch gelegenes Dörfchen, Norella. „Micheline“ muss nun besonders stark schnaufen. Es scheint, als würde die Steigung immer mehr zu nehmen. Schließlich hält sie am Bahnhof von Norella. Eine steile Straße führt vom Dorf nach oben. Ein Fahrgast steigt zu, dann geht die Fahrt weiter. „Micheline“ kann sich nun ausruhen, denn mit dem Bahnhof ist die erste Passhöhe erreicht. Nun geht es erst mal wieder abwärts. Doch all zu schnell, darf „Micheline“ nicht werden. Am Ende von einigen Hundert Metern gerader Strecke folgen enge Kurven. Da muss „Micheline“ schön langsam machen, um nicht unsanft im Tal zu landen. Widerwillig räumt wieder eine Kuh ihren Platz zwischen den Schienen. Vor uns taucht nun die schneebedeckte Kette des zentralen Bergmassivs auf. Satt grün ist die Landschaft. Hier ist die Besiedlung spärlich, die Dörfer sind klein, noch kleiner, als in der Balagne.
Das Tal weitet sich, in einem großen Bogen nähert sich „Micheline“ dem Bahnhof der alten Hauptstadt Corte. Der Zug aus Ajaccio steht schon im Bahnhof. Er muss warten, bis die Strecke nach Norden frei ist. Mit den Abfahrtszeiten nimmt man es hier nicht so genau. Da kann der Zug auch mal früher abfahren, wenn die Strecke schon frei ist. Über die Schienen verlassen wir den Bahnhof, auch das ist hier unproblematisch. Der alte Wasserturm rostet still vor sich hin. Unten sammelt sich der Müll. Der Schlauch am gusseisernen Schwenkarm tropft schon lange nicht mehr. Die Relikte aus der Ära der Dampfeisenbahn geben dem kleinen Bahnhof einen maroden Charme. Es ist Pfingstsonntag. Der kleine Supermarkt gegenüber hat geöffnet, aber das Bahnhofscafé ist geschlossen. Die alte Hauptstadt liegt vor uns. Sie zieht sich einen Hügel hoch, der wie die Spitze eines Zuckerhutes aus dem breiten Tal hochragt, dahinter wieder die Gebirgskulisse der korsischen Bergwelt. Oben auf dem Zuckerhut thront die Zitadelle. Unterhalb ein Ring hoher, mehrstöckiger Häuser, die sich wie eine Stadtmauer um die Zitadelle ziehen. Die Fahrt mit dem kleinen Touristenbähnchen hinauf zur Zitadelle ist der müheloseste Weg. Wir sind nicht die einzigen, die sich auf dem Weg nach oben vom Fahrer auf geschichtsträchtige Gebäude und historienschwangere Plätze hinweisen lassen. Die Flaniermeile, in der sich die Straßencafés aneinander reihen, ist heute verwaist, die Geschäfte sind geschlossen. Die große Statue von Pascal Paoli empfängt uns am Ende dieser Straße. Er hat 1755 Corté zur Hauptstadt erkoren, weil sie die einzige Stadt ist, die im Landesinneren liegt. Auch eine Universität hat er gegründet. Darauf ist man heute besonders stolz.
Hinter dem „Plaza Pascal Paoli“ verlässt das Touristenbähnchen die Altstadt, und schwenkt in die Schleife zum Aufstieg zur Zitadelle ein. Ein munteres Flüsschen sprudelt neben der Straße, die Kühle des Gebirgswassers umfängt uns, ein kurzes angenehmes Vergnügen an diesem heißen Tag. Wir dürfen für eine Fotopause aussteigen und haben wieder ein Wow-Erlebnis. Hoch über uns schwebt die Zitadelle auf einer Felsnadel. Ihre Mauern sind über den Rand des Felssporns hinaus gebaut, mit Bogen abgestützt, schier uneinnehmbar. Und dennoch ist es den Franzosen 1769 gelungen, mit List und Tücke die Festung einzunehmen, womit der korsischen Selbständigkeit ein jähes Ende gesetzt wurde.
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Vom Museum aus führt der Weg weiter zur eigentlichen Zitadelle. Über Vorhöfe und Treppen geht es weiter hoch bis zu der kleinen Tür, die ins Innere führt. Eigentlich uneinnehmbar, aber wie gesagt: List und Tücke. Der Blick von hier oben in das weite Tal und die sie umgebende Bergwelt sind beeindruckend. Im Innenhof führt eine Treppe in den Fels hinein. Ein lustiges Schild warnt die Touristen vor Kopfverletzungen. Für die Korsen war die Treppe nie ein Problem, sie sind eher von kleiner Statur, der steilen Treppe angepasst.
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Es ist noch nicht lange her, dass die französische Fremdenlegion in der Kaserne am Fuß der Zitadelle einquartiert war. Heute sind die Gebäude verwaist. Gegenüber geht es durch eine Glastür in den Eingangsbereich des Museums. In zahlreichen Räumen werden Szenen aus dem Leben der Menschen und der Geschichte der Insel gezeigt. Ich werde nachdenklich: Manufaktur und Industrie hat auf dieser Insel nie eine große Rolle gespielt. Die Bodenschätze wurden zuerst nach Italien, später nach Frankreich exportiert, um sie dort weiter zu verarbeiten. Produziert wurde eher aus dem, was die Landwirtschaft hergab: Stoffe, Zigaretten, Likör und Käse.
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Sein Arm weist in die Ferne. Der bronzene Gafforey steht auf dem kleinen Platz an der Kirche. Er war der Vorgänger von Pascal Paoli im Kampf um die korsische Unabhängigkeit. Es gibt zahllose Legenden, die sich um ihn und seine streitbare Frau drehen und heute noch gerne zum Besten gegeben werden. Auch die zahlreichen Einschusslöcher im Putz an der Hausfassade hinter ihm sollen noch aus seiner Zeit stammen. Die Sonnenschirme des kleinen Cafés zu seinen Füßen geben Schatten, ich lasse mich nieder. Aus der Bar dringen Klänge korsischer Musik an mein Ohr, aus der Kirche gegenüber Orgelmusik. Ein seltsam anmutender Mix. Einhundert Meter liegt die Zitadelle über der Talsohle. An meinem Tisch endet die lange Treppe, die vom Plaza Pascal Paoli herauf führt. Die Touristen, die den beschwerlichen Weg hoch gestiegen sind, kommen schnaufend an und lassen sich gleich an einem der freien Tische nieder, eine wahrlich geschäftsfördernde Treppe. Hier stehen auch die hohen Häuser, die ich schon von unten gesehen habe. Marode sind die Fassaden, in irgend einem Reiseführer steht, dass es so gewollt ist. Fast alle haben zur Hangseite hin einen Balkon mit einem kleinen Kabuff. Unter dem Balkon kommt das Abwasserrohr heraus, diese Toiletten sind gut belüftet. Unwillkürlich muss ich grinsen. Ein Vergleich kommt mir in den Sinn. Eines der sieben Weltwunder waren die "hängenden Gärten der Semiramis." Und hier gibt es die "hängenden Toiletten von Korsika", auch wenn diese nicht zu den Weltwundern zählen dürften. Der Wirt im Café sieht es ganz locker. Als ich ihm sage, dass auf der Männertoilette kein Toilettenpapier mehr ist, meint er ganz trocken „Dann gehen Sie doch auf die Frauentoilette.“ Ein guter Rat im Übrigen, denn dies ist eine europäische Toilette.
Wir folgen der Treppe hinunter zum Zentrum. Am Plaza Pascal Paoli machen wir nochmals Rast. Der stolze Pascal schaut auf die Flaniermeile herunter,, fast so, als erwarte er wieder die Genueser, gegen die er schon einmal siegreich war. Sie kommen, aber diesmal in friedlicher Absicht, Italiener aus Genua ebenso wie aus Pisa und Rom, aber auch Belgier, Franzosen und Holländer und natürlich auch wir Deutschen. Um ihn herum lassen sie sich in den Bistros und Straßenrestaurants nieder für ein kühles Blondes oder gar ein noch kühleres leckeres Eis. Der Rückweg zum Bahnhof führt endlos lange Treppen hinunter. Immer wieder kommen uns junge Menschen entgegen. Es sind Studenten. Gut 7000 Einwohner hat Corte, davon ein Viertel Studenten, eine junge Stadt. Die Korsen sind stolz auf ihre Universität. Sie wurde 1755 von Pascal Paoli gegründet und schon 1769 von den französischen Eroberern wieder geschlossen. Erst 1981 wurde sie, im Rahmen der Zugeständnisse der französischen Regierung an die korsische Nationalbewegung, wieder eröffnet. Die Universität gilt heute als Hort des korsischen Nationalismus, der immer noch vom Festland her argwöhnig beobachtet wird. Das Verhältnis der Korsen zu Frankreich ist ebenso zwiespältig. Die französische Armee hat die korsische Unabhängigkeit 1769 beendet und die französische Herrschaft über die Insel begründet. Die Zeichen der korsischen Widerstandsorganisation sind auch heute noch im ganzen Land zu sehen. Mal sind die französischen Namen auf den zweisprachigen Verkehrsschildern geschwärzt, mal sind es auf Mauern gesprühte Parolen. Bomben explodieren im Moment keine mehr, die meisten Korsen haben sich mit Frankreich arrangiert.
Die letzten Treppenstufen führen zu einer Hängebrücke über den kleinen Fluss. Das Gemäuer einer alten Mühle steht einsam am Ufer. Dahinter folgt eine Allee mit Maulbeerbäumen. Die Früchte sind reif, lecker reif, und die Finger hinter her dunkelrot.
Die letzten Treppenstufen führen zu einer Hängebrücke über den kleinen Fluss. Das Gemäuer einer alten Mühle steht einsam am Ufer. Dahinter folgt eine Allee mit Maulbeerbäumen. Die Früchte sind reif, lecker reif, und die Finger hinter her dunkelrot.
Nach einer Woche
wechseln wir die Unterkunft. Ghisonaccia ist ein kleiner Ort an der Ostküste.
Endlos lang sind die Sandstrände. Hier konzentriert sich der Tourismus.
Zwischen Küste und Bergen zieht sich eine leicht gewellte Ebene, die
"Pleine orientale". Jahrhunderte war sie malariaverseucht, bis die US
Army nach dem Zweiten Weltkrieg mit vielen Tonnen DDT die Sümpfe
"reinigte". Die "Pleine" war für das Bergvolk der Korsen
nie ein Ort zum Leben. So war es ein leichtes für die französische Regierung,
in den 60er Jahren nach dem Algerienkrieg in diesem dünn besiedelten Gebiet die
"Pied-noirs" anzusiedeln, französische Siedler, die Algerien
verlassen mussten. Mit finanzieller staatlicher Unterstützung gelang es ihnen,
in der "Pleine" Landwirtschaft und Tourismus aufzubauen. Inzwischen
ziehen sich große Weingüter entlang der Küste. Hier wird ein schmackhafter Wein
angebaut.
Unsere Unterkunft liegt in Ghisonaccia direkt am Meer. Zum Abendessen gibt es ein klassisches korsisches Gericht: geschmorten Wildschweinbraten mit dicker, fetter Sauce. Das Gericht ist ausgezeichnet, doch die halbe Nacht wandert das Wildschwein noch in meinem Magen herum.
Unsere Unterkunft liegt in Ghisonaccia direkt am Meer. Zum Abendessen gibt es ein klassisches korsisches Gericht: geschmorten Wildschweinbraten mit dicker, fetter Sauce. Das Gericht ist ausgezeichnet, doch die halbe Nacht wandert das Wildschwein noch in meinem Magen herum.
Wie eine Festung ragt die Bergwelt von Korsika aus dem Meer heraus. Steil sind die Küsten, hohe Klippen müssen an den meisten Stellen überwunden werden, um an Land zu kommen. Selbst die "Pleine" wirkt in dieser Festung wie ein Fremdkörper, kein sanftes Gleiten in die Berge, sondern ein schroffer Anstieg, der den Zugang verwehrt. Selbst die Flüsse und Bäche müssen sich mühsam ihren Weg aus der Bergwelt heraus erkämpfen. In St. Antoine lassen wir die "Pleine" hinter uns und tauchen ein in die Wälder im Tal des Orbo. Die Straße ist eng und kurvig. Stetig steigt sie an. Nun muss ich langsam fahren, da sie im engen Bogen Felsen umrundet, die die Einheimischen mit Schwung nehmen.
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Sie kennen ihre Straße und sind nicht abgelenkt von tiefen Einblicken in die Schlucht und auf kantige Felsformationen. Wer nicht auf passt, kann leicht den Weg in den Abgrund führen. Im Norden habe ich an einer ähnlichen Straße die Folge einer solchen Unachtsamkeit gesehen: Ein Motorboot hing tief unterhalb in der Felswand. Es wird dort wohl als mahnendes Zeichen noch viele Jahre verbringen müssen.
Zweimal wird das Tal so eng, dass die Straßenbauer Felsen durchbohren mussten, um den Weg zu öffnen. Bisweilen biegen kleine Straßen ab zu versteckten Bergdörfern, Stromleitungen begleiten diese Wege. Hinter jeder Biegung der Straße öffnet sich ein neuer Blick. Mal schaue ich tief in die Schlucht hinein, in der ein idyllischer Bach plätschert, mal zieht mich die vor mir liegende Bergwelt mit hinter einander gestaffelten Bergrücken in ihren Bann. |
Irgendwann weitet sich das Tal und wir sehen Ghisoni auf der gegenüberliegenden Hangseite liegen. Mir fällt die besondere Bauweise der korsischen Häuser auf. Hoch sind sie, mehrere Etagen hoch, auch in diesem Dorf. Ins Erdgeschoss führt nur eine Tür, Fenster gibt es nur in den darüber liegenden Etagen. Die Häuser wirken wie kleine, verschlossene Burgen. Genau diesen Zweck erfüllten sie in früheren Zeiten auch. Am Rande des Dorfes stehen einige neue Häuser, auch sie sind im alten Stil errichtet.
Noch einmal kommen wir nach Corte, um den Zug nach Vizzavona zu nehmen. Man sagt, es sei die schönste Bahnstrecke auf Korsika und eigentlich stimmt es auch. Der Zug ist voller Wandertouristen und wir sind froh, wenigstens noch einen der spärlichen Sitzplätze zu bekommen. Vierhundert Höhenmeter überwindet der Zug auf den dreißig Kilometern zwischen Corte und Vizzavona. Rechts und links baut sich eine beeindruckende Bergwelt auf. In einer langen Schleife schraubt „Micheline“ sich hoch. Beängstigend tief ist der Blick in den Talgrund und weit in zahlreiche Täler hinein. In Vizzavona leert sich der Zug. Hier treffen sich einige Wanderwege, die über die Insel führen. Direkt am Bahnhof gibt es einen kleinen Kiosk, der in einigen Sprachen Verpflegung anbietet. Hinter uns setzt sich „Micheline“ wieder in Bewegung und verschwindet sofort in einem Tunnel.
Gleich hinter dem Bahnhof steigt der Weg an zu den „Cascades des Anglais“. Helle Kinderstimmen kommen uns entgegen. Es ist ein Gruppe, die einem Naturlehrpfad folgt. Später werden wir sie wieder sehen. Was nun folgt ist ein wildromantisches Erlebnbis. Der Weg führt durch einen Märchenwald. Moosbekleidete Steine, Bäume mit Chinesenbärten, sprudelnde Bäche und leise raunende Blätter begleiten uns. Ich spüre die Hitze der Mittagszeit nicht, denn in diesem Wald ist es wohltuend frisch. Ein Wildbach begleitet uns, schmale Brücken führen hinüber. Später stoßen wir auf einen befestigten Weg. Es scheint ein Abschnitt einer uralten Straße durchs Gebirge sein, mit grobem Pflaster und sichernden Randsteinen. Rechts und links stehen Baumgiganten. Wie viele Jahrhunderte mögen sie alt sein? Sie verraten es mir nicht. Dann stoßen wir auf den Wanderweg GR 20, dem wir nun folgen. Es ist der Wanderweg, der Korsika von Norden nach Süden durchquert. Der Weg wird wieder wilder, Baumwurzeln greifen nach meinen Füßen, ich muss Acht geben beim Gehen. Im Wildbach steht ein einsamer Angler, wartet auf die Bachforelle, die in seine Pfanne hüpfen will. Immer wieder begegnen wir Wandergruppen oder einzelnen Wanderern. Ein lauter werdendes Wassergeräusch kündigt die „Cascades des Anglais“ an. Wir sind an unserem Ziel angekommen. Zwischen großen Steinbrocken, die wie von Zyklopen daher geworfen scheinen, fällt das Wasser über viele Stufen herunter, bildet Gumpen, die zum Baden einladen, bevor es sich weiter auf den Weg nach unten macht. Hoch über dieser Idylle erhebt sich eine Bergwand mit Schneeresten, eingerahmt von strahlend blauem Himmel.
Wir lassen uns Zeit für den Rückweg. Die Wanderer kommen uns in Wellen entgegen, die Flotten vorneweg, die Gemütlichen hinter her, beredtes Zeichen dafür, dass wieder ein Zug in Vizzavona angekommen war. Am Nachmittag treffen sich dann alle am Bahnhof wieder, wo man im "Café Korsika" auf den Zug wartet. Als sich die Türen des vollbesetzten Zuges öffnen, steigen nur zwei Personen aus, etwa 40 warten auf dem Bahnsteig, wollen einsteigen. Zwei Waggons hat der Triebwagen. In der hinteren Tür steht der Schaffner und schickt uns nach vorne „Non“, sagt er „Reservé“. Doch auch vorne ist kein Platz mehr. Viele stehen noch auf dem Bahnsteig.
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Es folgt ein langes Geplänkel zwischen dem Schaffner und den Fahrgästen auf dem Bahnsteig, bis sie sich schließlich gegen den Willen des Schaffners in den Zug drängen. Er gibt sich geschlagen. Eine Station weiter wartet die Kindergruppe auf den Zug. Für sie ist der hintere Teil reserviert. Nun packen alle Fahrgäste an, machen eine Gasse frei für die Knirpse und hieven das Gepäck über unser aller Köpfe hinweg ins Abteil. Na bitte, geht doch! Später lese ich in der Zeitung, dass die französische Staatsbahn neue Züge geordert hat. Sie sind länger. Es gibt nur noch ein kleines Problem zu lösen: Sie sind zu lang für die kurzen Bahnsteige auf Korsika.
Urplötzlich öffnet sich von der Landstraße aus der Blick auf den Hafen. Darüber erhebt sich eine gewaltige Festung: Bonifacio. Mein erster Eindruck: der Ort liegt gut versteckt. Ich versuche gar nicht erst, einen kostenlosen Parkplatz am Straßenrand zu finden. Ein Auto nach dem anderen quält sich durch die schmale Straße, die sofort wieder aus dem Ort heraus führt. Da steuere ich doch lieber gleich den gebührenpflichtigen Parkplatz direkt am Hafen an. Rund um das Hafenbecken zieht sich die Marina, die Unterstadt mit einer endlosen Kette von Restaurants. Bevor wir in diesem Touristenrummel versinken, lassen wir uns vom "Petit Train Touristique" in die Oberstadt bringen.
Wir lassen die engen Gassen hinter uns und folgen dem Weg zur Landspitze. Am südlichen Ausgang der Altstadt steht ein martialisches Denkmal. Es erinnert an den Einsatz der Fremdenlegion, die in kleineren und größeren kriegerischen Auseinandersetzungen die Schmutzarbeit für den französischen Staat erledigte, ohne dass die französische Öffentlichkeit über Opfer aus dem eigenen Volk klagen musste. Hier begann bis vor einigen Jahrzehnten die Sperrzone auf dem Hochplateau. Die Kasernen der Fremdenlegion sind verwaist, der städtische Friedhof dahinter ist dagegen überfüllt. Der Friedhof ist eine kleine Stadt für sich. Ich erinnere mich, wie in einem Reisebuch die Heimatverbundenheiit der Korsen beschrieben wird: Auf Korsika geboren, in der Not in die Ferne ausgewandert und zum Sterben nach Korsika zurück gekehrt. Einen Kilometer weit führt der Weg oben auf den Klippen entlang der Fjord ähnlichen Einfahrt zum Hafen. Schön ist der Blick im Sonnenschein auf die gegenüberliegenden Buchten. Schließlich erreichen wir die Landspitze. Weit breitet sich das Meer vor uns aus. Die Boote auf dem Wasser wirken aus dieser Höhe wie Nussschalen, die auf dem Wasser tanzen. Eine gewaltige Gewitterwolke türmt sich im Süden auf. Mit gutem Willen erkennen wir, dass sich darunter Sardinien verbirgt. Nur zwölf Kilometer trennen die beiden Inseln voneinander, dazwischen liegt das unruhige Meer. Ein Denkmal erinnert an das Schicksal der 702 Seeleute der "Sémillante", die im Jahr 1855 vor Bonifacio Schiffbruch erlitten hatte. Noch heute gilt in der Seefahrt die Südspitze von Korsika als gefährliche Durchfahrt.
Zurück in der Altstadt frage ich in einer Bäckerei mit leckerem Eis nach einem guten Restaurant. Drei Empfehlungen folgen auf dem Fuß. Alle drei, wie sich alsbald heraus stellt, zur Familie gehörig und mit gehobenen Preisen. Die Familienbande sind eng auf Korsika. Schöne mittelalterliche Gebäude säumen die Flaniermeile. So manche Haustür steht offen und gibt den Blick frei auf eine schmale steile Holztreppe, die in die oberen Stockwerke führt. Schon sind wir mitten drin im Touristenrummel. Ein Geschäft fällt mir besonders auf. Dort gibt es Messer, Jagdmesser, nichts anderes. Offensichtlich lieben die Korsen Messer. Selbst in dem kleinen Café am Wasserfall von Vizzavona gab es sie zu kaufen, in kleinerer Auswahl natürlich. Ich begnüge mich mit einem T-Shirt mit dem Korsenkopf als Mitbringsel.
Zum Hafen hinunter geht es nun durch das Genuesentor, das bis ins 19. Jahrhundert hinein der einzige Zugang zum Hochplateau und damit zur Stadt war. Der Blick hinunter auf die Marina ist berauschend. Diejenigen, die zu Fuß den Aufstieg wagen, kommen mir schnaufend, schwitzend und mit hoch rotem Kopf entgegen. Die Zufahrt ist steil. Ich bewundere den alten Herren, der seiner Tochter den Kinderwagen fürs Enkelchen hoch schiebt. Auf halber Höhe ist der Col St. Roch. Von hier aus steigen wir über eine lange Treppe direkt zum Hafen hinunter.
"Die natürliche Bucht ist von steilen Felsen geschützt und wird nur erreicht durch eine ganz schmale Einfahrt." Die Laistrygonen „schleudern Feldsteine .. von den Felsen herab." Meine Mannschaft „wirbelte rudernd die Salzflut auf aus Furcht vor dem Tode. Doch glücklich enteilte mein Schiff weg von den steilen Felsen ins offene Meer." Diese zweitausendsiebenhundert Jahre alte Schilderung in Homers Odyssee ruft ein leichtes Schaudern in mir hoch, als das kleine Boot durch den langen S-förmigen Schlauch im ruhigen Wasser zwischen den sechzig Meter hohen Kalkfelsen Kurs auf das offene Meer nimmt. Gewiss, die kanibalistischen Laistrygonen sitzen nicht mehr oben auf den Klippen. Aber die Verwundbarkeit der Schiffe, die in feindlicher Absicht diesen natürlichen Hafen ansteuern, ist offensichtlich. Heute sind es neben einigen Fährschiffen vor allem Yachten, die im Hafen oder den kleinen idyllischen Buchten anlegen. Die Rollen, über die die langen Ketten zur Abwehr der U-Boote liefen, stehen verrostet vor dem Tunnelausgang, das Meersalz befördert kräftig den Korrosionsprozess.
Urplötzlich beginnt das Boot wild zu schaukeln und die Steuerfrau, ja eine junge Frau am Ruder des Bootes, drückt den Bug im rechten Winkel in die Wellen, um das Boot auf Kurs zu halten. Wir umrunden die Klippe mit dem rotweißen Leuchtturm und lassen die letzten Gebäude von Bonifacio hinter uns. Das Boot steuert die Sdragonato-Grotte an. Wild schlagen die Wellen an die Felsen, die einen schmalen Eingang bilden. Mehrere Anläufe nimmt das Boot, dann "rutschen" wir auf einer Welle ins Innere der Grotte. Vielleicht 40 Meter mag sie im Durchmesser sein, das Wasser ist klar und ruhig. Der starke Wellengang draußen wirkt sich drinnen nicht aus. Über mir ist die Decke aufgerissen. Der Reiseleiter beschreibt den Umriss dieses Loches als die Form dieser Insel. Ich schaue nach oben. Mit viel Fantasie kann ich es erkennen. Zum Glück habe ich viel Fantasie. Die Wellen kommen aus Westen, das macht die Rückfahrt beschwingter. Das Boot kann mit den Wellen mitschwimmen. Den Fischen entgeht dadurch so manches "Opfer". Wir fahren nicht gleich in den Fjord zurück, sondern schauen uns Bonifacio von der Ostseite her an. Wir angeklebt hängen die Häuser hoch droben auf dem Felsen. ich bewundere die Baumeister und Maurer, die dieses Werk vollbracht haben. Im Stillen hoffe ich bei mir, dass die nächste Sturmflut nicht den Felsen so weit unterspült, dass die Häuser von der sicheren Klippe abbrechen. Eine Treppe, vor 700 Jahren angeblich vom König von Aragon in einer einzigen Nacht in den Stein geschlagen, führt diagonal die ganze Wand der Klippe zum Meer herunter. Sie wirkt wie ein Messerschnitt in der hellen Kalksteinwand. Die Sonne steht schon tief, als ich im Hafen von Bonifacio wieder festen Boden unter den Füßen spüre. Nun kann ich mir noch besser vorstellen, warum diese Festung nie eingenommen worden ist. |
Die Dunkelheit legt sich wie eine schwere Decke über die Insel. Die Küstenstraße zwischen Porto Vecchio und Solenzara, auf der sich am Vormittag eine Autoschlange quälte, ist nun menschenleer. Die Touristen haben sich in ihre Appartements, Wohnmobile und Zelte zurückgezogen. Am Straßenrand lange Reihen von blühendem Oleander. Wenn der Scheinwerferkegel eine solche Reihe erfasst, leuchtet für einige Sekunden eine rosafarbene Wolke auf.
Hinter Solenzara ein neues Schauspiel. Ein Wetterleuchten erfasst den nördlichen Himmel vor uns. Im Hochgebirge entlädt sich ein heftiges Gewitter. Mit kleinem Leuchten beginnt es, dann erfasst der Lichtschein immer größere Teile des Himmels. Mal ist er gelb, mal rötlich. Blitze jagen kreuz und quer über den Himmel. Für Bruchteile von Sekunden wird es taghell. In den Bergen muss ein Unwetter toben. Dagegen nimmt sich die immer wieder aufkeimende Gewitterzelle weit draußen auf dem Meer richtig bescheiden aus. Sie wirft dort ein rotes Licht an den nächtlichen Himmel, scheint an einen Punkt fixiert, vielleicht über Elba oder einer der anderen italienischen Inseln dort vor der Küste Korsikas.
Hinter Solenzara ein neues Schauspiel. Ein Wetterleuchten erfasst den nördlichen Himmel vor uns. Im Hochgebirge entlädt sich ein heftiges Gewitter. Mit kleinem Leuchten beginnt es, dann erfasst der Lichtschein immer größere Teile des Himmels. Mal ist er gelb, mal rötlich. Blitze jagen kreuz und quer über den Himmel. Für Bruchteile von Sekunden wird es taghell. In den Bergen muss ein Unwetter toben. Dagegen nimmt sich die immer wieder aufkeimende Gewitterzelle weit draußen auf dem Meer richtig bescheiden aus. Sie wirft dort ein rotes Licht an den nächtlichen Himmel, scheint an einen Punkt fixiert, vielleicht über Elba oder einer der anderen italienischen Inseln dort vor der Küste Korsikas.
Jeden Abend, wenn die Sonne sich hinter der zentralen Gebirgskette verliert, beginnt auf einem vorgelagerten Hügel ein Lichterkranz zu leuchten. Von Ghisonaccia aus scheint er zum Greifen nah. Es ist der kleine Ort Prunelli di Fiumorbo. Durch ein langes Tal zieht sich die Straße in die Berge hinein, bevor in einer Kehre die letzten Kilometer zum Ort genommen werden können. Korkeichen säumen die Straße, viele sind frisch geschält, andere schon in der Ruhephase, bevor die Waldbauern wieder das Messer ansetzen können. Oben angekommen stelle ich das Auto vor der einzigen Dorfkneipe ab. Wir beginnen unseren kleinen Rundgang durch den Ort.
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Weit müssen wir nicht laufen. Viele Häuser stehen leer, ganze 90 Einwohner zählt dieser Ort hier oben. Nach Westen hin ist eine kleine Promenade angelegt. Hier stehen die Straßenlampen, die den abendlichen Lichterkranz erzeugen. Ein weiter Blick über die "Pleine orientale" öffnet sich mir. Von Servione im Norden bis Solenzara im Süden reicht das Panorama. Die Autos unten im Tal wirken wie kleine Modelle, die sich auf einer Spielzeuganlage bewegen. Weit hinten liegt das Meer, davor ausgedehnte Getreide- und Weinfelder. Der Etang d'Urbino, die künstliche Lagune direkt an der Küste, leuchtet im Schein der Sonne, die sich gerade mal wieder durch die Wolken durch gearbeitet hat. Selbst die Straße, die Schnur gerade von Ghisonaccia zu unserer Ferienanlage führt, ist zu erkennen. Lange bleiben wir stehen, schauen dem Wolkenspiel im Norden zu, sehen die Regenschauer, die in grauen Schlieren zu Boden fallen, und die helle, gerade von der Sonne verwöhnte Strandlinie. Für mich ist klar: Prunelli di Fiumorbo ist der Balkon der Ostküste.
Es ist Mittagszeit und der kleine Hunger plagt uns. Wir gehen den kurzen Weg zurück zum Platz, an dem die Dorfkneipe steht. Fast alle Tische vor dem Bistro sind belegt. Die Wirtin trägt emsig einen vollen Teller nach dem anderen zu den Tischen. Es sieht lecker aus, wir lassen uns nieder. Als die Wirtin zu uns kommt, entschuldigt sie sich zuerst, dass sie so wenig Auswahl habe. Aber das ist kein Mangel, wie wir dann fest stellen. Gekrönt wird das schlichte aber lobenswerte Essen mit dem Dessert. Crème brulée mit brocciu, und tarte aux pommes mit crème chataigne gibt es, einfach fantastisch. Als dann auch ein paar Tropfen Regen vom Himmel fallen bleiben wir beruhigt unter unserem Sonnenschirm sitzen. Es ist erfrischend und die warme Luft saugt die Tropfen schnell auf. Zum Abschluss gehe ich nochmals zu der Örtlichkeit, die bekanntlich auch der Kaiser zu Fuß auf sucht. Hinter dem Regal mit Nudelpackungen, Fischkonserven und Gläsern mit selbst gemachter Marmelade öffne ich die Tür und bleibe erst mal überrascht stehen. Es ist die Toilette mit dem wohl schönsten Blick von Korsika, ein wunderbarer Panoramablick auf die Nordküste. Da könnte man sich fest setzen.
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Unser Rundgang führt uns ums halbe Dorf herum bis zu der Felsnase, auf der die Kirche steht. Die Häuser im Ort tragen den maroden Charme der Vergangenheit, einige Häuser sind aber auch schon prächtig renoviert. Die ersten Auswärtigen haben sich wohl schon angesiedelt. Mir fallen wieder einmal die Straßenschilder auf. Sie alle tragen italienische Straßennamen, so als ob wir uns in Italien befinden würden: Strada di a Ghjesgia, Sotto la Chiesa und dergleichen.
Am Eingang des Kirchhofes fällt mir ein kleines Kriegerdenkmal auf. Als wir Nizza mit der Fähre verlassen haben, ist mir ein überdimensioniertes Kriegerdenkmal auf der Klippe zwischen Hafen und Neustadt aufgefallen. Doch dieses Kriegerdenkmal hier, das an die Männer von Prunelli erinnert, die in den beiden letzten Weltkriegen ihr Leben verloren haben, empfinde ich viel eindringlicher. Es ist klein, fast zu klein für die vielen Namen, die darauf verzeichnet sind. Der Blutzoll, den Korsika im Ersten Weltkrieg gezahlt hat, ist besonders hoch. Fast die gesamte männliche Bevölkerung war zur Armee eingezogen werden, Einhunderttausend an der Zahl. Dreißigtausend sind nicht wieder gekommen. Aber nicht nur die Namen von Soldaten sind darauf verzeichnet. Eine kleine Tafel erinnert auch an die acht Widerstandskämpfer, die als Partisanen im Kampf gegen die deutsche Besatzungstruppe umgekommen sind. In Prunelli di Fiumorbo waren auf Weisung des italienischen Militärs 28 korsische Persönlichkeiten interniert. Françoise Gambotti-Alesandrini, eine Einwohnerin, verhalf im Jahr 1943 gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern, sechs von ihnen zur Flucht, damit sie nicht nach Italien deportiert wurden. Das Musée Mnemosina, das "Museum der Erinnerung", direkt neben der Poststelle gelegen, informiert über diese Zeit. Leider ist es heute, am Sonntag, geschlossen. |
Unten an der Landstraße, direkt am Verkehrskreisel, steht ein auffallendes Kunstwerk, ein Radrennfahrer, natürlich mit dem korsischen Maurenkopf. Zum ersten Mal in der Geschichte der Tour de France kam dieses Rennen im Jahr 2013 auch nach Korsika. Andere an Frankreich grenzenden Länder wie Belgien, Deutschland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Monaco, Niederlande, Schweiz und Spanien haben schon viel früher Etappen der Tour de France aufnehmen dürfen. Dabei ist die Insel doch ein beliebtes Ziel für Radurlauber. Immer wieder haben wir sie auf den steilsten Straßen und höchsten Pässen getroffen, das Rad hoch bepackt mit Gepäck für einen ganzen Urlaub. Ich frage mich nur, wie die Sportler der Tour de France die Straßenschwellen nehmen, die innerorts die Geschwindigkeit des Verkehrs bremsen.
Der letzte Abend. Wir fahren zum Etang d’Urbino. Eine Halbinsel schiebt sich in diesen künstlich angelegten See hinein, an seiner Spitze ein Fischrestaurant. Der See ist eine große Fischfarm. Es ist Abend, die Fischer sind schon lange zu Hause. Die Abendstille legt sich über den See. Mit einem wunderschönen Lichtspiel verabschiedet sich die Sonne für diesen Tag. Die Lichter des kleinen Ortes Prunelli leuchten wieder wie ein Diadem auf dem fernen Berghügel. Mit einem kleinen Farbspiel verschwindet die Sonne hinter den Bergen.
Es ist ein genussvoller Abschied. Zum Abschluss möchte ich es doch genau wissen. Ob der korsische Ziegenkäse nach einer gewissen Reifungsphase wirklich so explosiv ist, wie in der Geschichte von Asterix und Obelix beschrieben? Der Käse, der mir an Stelle des Desserts serviert wird, macht dieser Geschichte alle Ehre. Würde ich ihn in einem Vorortzug auspacken, dann hätte ich mit Sicherheit sofort viel Platz um mich herum. Er mundet mir hervorragend. Ich erkundige mich sofort bei den beiden Kellnerinnen, was es für ein Käse sei. Ein Schafskäse, sagt die Erste und die Zweite fügt hinzu „Aus Sardinien“. Ich erstarre vor Schreck und erkenne sofort: die Geschichte von Asterix und Obelix ist eine Geschichtsfälschung!
Wir sind wieder in Calvi angekommen. Unten am Kai liegt schon die Fähre nach Nizza. Doch wir haben noch drei Stunden Zeit für einen Stadtbummel, bevor das Einschiffen beginnt. Gewaltig ist die Festungsmauer, die die Oberstadt umschließt. Direkt am Parkplatz steht ein Denkmal, der Bug eines Schiffes, das aus dem Felsen ragt, darüber eine Büste. Ich schaue näher hin. Die Büste zeigt Christoph Kolumbus. Calvi rühmt sich, seine Geburtsstadt zu sein. Der gute Kolumbus hat seine Herkunft immer im Dunkeln gelassen. Man weiß nur, dass er Genueser war. Da bleibt vieles für Spekulationen offen und beantworten kann er die Frage selbst wohl nicht mehr. So nimmt Calvi neben Genua und zahlreichen weiteren Städten in Italien, Spanien und Portugal für sich in Anspruch, die Wiege des großen Seefahrers zu sein und schreibt dies auch groß auf seine Ortsschilder.
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Eine einzige Straße führt in die Oberstadt hoch. Gut zwanzig Meter mag die Mauer hoch sein, von der aus der Zugang zum Tor bewacht werden konnte. Als die Einwohnerschaft von Calvi im Jahr 1278 die ewigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Pisa, Genua, Aragon und korsischen Adeligen um ihre Stadt leid waren, holten sie sich das starke Genua als Schutzmacht. Am Zugang zur Oberstadt brachten sie den Spruch an "Civitas Calvi semper fidelis" - "auf ewig treu". Das blieben sie dann auch bis zur Übernahme durch Frankreich. Durch das Tor erreichen wir den ersten Innenhof mit der Zitadelle. Ein Soldat der Fremdenlegion kreuzt unseren Weg und steigt in sein Fahrzeug. Hier in der Zitadelle ist immer noch eine Wache der Fremdenlegion untergebracht; die eigentliche Kaserne liegt aber draußen vor den Toren von Calvi.
Wir folgen der Straße um die innere Mauer herum. Von einer Plattform aus habe ich einen schönen Blick auf die die blaue Sichel der weiten Bucht von Calvi und die Unterstadt mit dem Hafen unter mir. Unsere Fähre liegt bereits am Kai. Die Gebirgskette im Süden ist in dicke Wolken verpackt. Vielleicht fällt dort oben gerade mal wieder Schnee, während hier eitel Sonnenschein herrscht. Groß sind die Städte auf Korsika nicht. Gerade mal 5500 Einwohner zählt Calvi und damit ist sie die fünftgrößte Gemeinde auf Korsika.
Immer weiter dreht sich die Spirale der Straße, die ins Zentrum führt, nach oben. Eng stehen die Häuser beieinander. Müde liegt eine Katze am Fenster, lässt sich durch mich nicht stören. Es ist später Nachmittag, die Zeit der höchsten Temperaturen. Zeit auch für uns zu einer Rast in einem kleinen Café im Schatten der Kathedrale.
Wir folgen der Straße um die innere Mauer herum. Von einer Plattform aus habe ich einen schönen Blick auf die die blaue Sichel der weiten Bucht von Calvi und die Unterstadt mit dem Hafen unter mir. Unsere Fähre liegt bereits am Kai. Die Gebirgskette im Süden ist in dicke Wolken verpackt. Vielleicht fällt dort oben gerade mal wieder Schnee, während hier eitel Sonnenschein herrscht. Groß sind die Städte auf Korsika nicht. Gerade mal 5500 Einwohner zählt Calvi und damit ist sie die fünftgrößte Gemeinde auf Korsika.
Immer weiter dreht sich die Spirale der Straße, die ins Zentrum führt, nach oben. Eng stehen die Häuser beieinander. Müde liegt eine Katze am Fenster, lässt sich durch mich nicht stören. Es ist später Nachmittag, die Zeit der höchsten Temperaturen. Zeit auch für uns zu einer Rast in einem kleinen Café im Schatten der Kathedrale.
Die große Fähre hinterlässt eine breite weiße Spur im blauen Spiel der Wellen. Nach Nordwesten führt ihr Kurs, nach Nizza. Langsam lassen wir Calvi und Korsika hinter uns. Die hellen Granitmauern der Oberstadt leuchten im Abendlicht. Bald legt die hohe Luftfeuchtigkeit ihren Dunst über die Insel, die langsam im Grau versinkt. Ich schließe die Augen und lasse noch einmal die schönsten Momente dieser vierzehn Tage an mir vorüber ziehen: die Balagne mit ihren einsamen Bergdörfern, der aromatische Duft der Macchia, die Fahrt mit "Micheline" durch die Bergwelt, die heimliche Hauptstadt Corte, der fantastische Blick von „Notre Dame de la Serra“ auf Calvi, der märchenhafte Wald mit dem Wasserfall bei Vizzavona, die wilde Schlucht an der Ostküste, der "Balkon" Prunelli, das mächtige Bonifacio auf dem Kalksteinfelsen, die wunderbaren Abendessen am Meer und die vielen Gerichte mit korsischem Käse. Korsika wird mich sicher wieder sehen.