Im Land der Berber -
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Marrakesch: abendlicher Blick über den Gauklerplatz auf die Koutoubia-Moschee
Das sonore Geräusch der Turbinen macht schläfrig. Das stete Rauschen der Klimaanlage trägt meine Gedanken davon in die Welt des Schlafes. Steil steigt der Flieger der Iberia in den Morgenhimmel. Die sternenklare Nacht ist weiter gezogen gen Westen, hat der Sonne Raum gegeben, die nun ihr Spotlight durch Wolkenlücken auf die vielen Ortschaften wirft, die unter mir immer kleiner werden. Ich schließe die Augen für eine Mütze voll Schlaf.
7 Stunden noch bis Marrakesch. Marrakesch – ein Name der Träume von Tausendundeine Nacht auslöst. Marrakesch, da wird die Exotik des Orients belebt. Marrakesch, da werden die Düfte arabischer Gewürze in meinen Geschmacksknospen wach. Marrakesch, da werden Stoffe bunt. Marrakesch, da erklingen die Trommeln des Gauklermarktes in meinen frisch gereinigten Ohren. Marrakesch hat mich schon eingefangen, während der Flieger noch hoch über den Wolken Frankreichs durch das endlose Blau des Himmels nach Süden zieht.
7 Stunden noch bis Marrakesch. Marrakesch – ein Name der Träume von Tausendundeine Nacht auslöst. Marrakesch, da wird die Exotik des Orients belebt. Marrakesch, da werden die Düfte arabischer Gewürze in meinen Geschmacksknospen wach. Marrakesch, da werden Stoffe bunt. Marrakesch, da erklingen die Trommeln des Gauklermarktes in meinen frisch gereinigten Ohren. Marrakesch hat mich schon eingefangen, während der Flieger noch hoch über den Wolken Frankreichs durch das endlose Blau des Himmels nach Süden zieht.
Der Toyota stoppt in einer Sackgasse. Von hier aus müssen wir zu Fuß zum Hotel gehen. Unsere Führerin geht voran durch die engen Gassen, die sich wie Schluchten durch das Häusermeer ziehen. Vielleicht ein Meter zwanzig oder ein Meter fünfzig sind sie breit, breit genug für die Mopeds, die nicht nur eine vierköpfige Familie tragen, sondern auch noch eine stinkende Abgasfahne hinter sich her ziehen. Eine Initiative kämpft seit kurzem dafür, dass der Zweiradverkehr in diesen engen Gassen verboten wird. Doch Esel, das habe ich im vergangenen Jahr in Fes gerochen, verströmen auch nicht unbedingt das Aroma von Channel Nr. 5.
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Das Leben spielt sich hinter den roten Mauern und schmiedeeisern verzierten Türen ab, verriegelt und verschlossen. Manchmal gelingt ein Blick hinter eine Tür, kurz nur geöffnet, um einen Gast herein zu lassen. Dann offeriert sich eine gemütliche Wohnwelt, die ganz anders ist, als die engen düsteren Gassen vermuten lassen. Ich bin im ehemaligen jüdischen Viertel. Begüterte Kaufleute hatten hier ihre Riads, kleine Paläste mit schmalen Treppenhäusern, die in Innenhöfe und auf Dachterrassen führen. Verwinkelt gebaut, hier ein Zimmerchen, da ein Wohnraum, die wenigen Fenster nach außen vergittert und stumpf. Riad, das heißt blind, verschlossen. Das Hotel Sherazade ist ein solcher Riad. Hier finden wir Unterkunft bis zur Abreise in den Süden. Riads in Marrakesch sind hoch begehrt. Die Internationale der Trendsetter und Filmstars hat schon seit längerem die Stadt für sich entdeckt, marode Riads aufgekauft, aufwendig sanieren lassen, und führt nun ein eigenes Leben hinter unscheinbaren Mauern. Die Immobilienpreise erreichen europäisches Großstadtniveau.

Klappern gehört zum Handwerk der Gaukler
Die Kunst des Gauklers besteht darin, den Zuschauern möglichst viele Münzen aus den Rippen zu schneiden, und sie dabei in der Illusion zu wiegen, dass ihnen große Kunst geboten wird. Diese Fertigkeit haben sie in vielen Jahrhunderten entwickelt und die Zuschauer danken es ihnen. Da bewegt eine anmutig scheinende Tänzerin ihre Hüften im Rhythmus einiger Musiktöne, ihr Gesicht ist verschleiert bis auf die Augenschlitze. Ihre Augen wandern den Kreis des Publikums entlang und findet selbst den in vierter Reihe stehenden Touristen mit seiner Kamera. Ein Zeichen an den Kollegen mit roter Zwergenmütze und Watterauschebart und schon steht er mit seinem Hut vor mir. 10 Dirhams will er haben. Ich kenne das Spiel schon, habe die Münzen parat, doch so mancher Tourist lässt sich übertölpeln, gibt gar einen Schein. Die Kunst des Gauklers war erfolgreich. Das Publikum quittiert es mit Beifall für den Gaukler. Die einheimischen Zuschauer kennen das Spiel, kommen deswegen her und stehen zu Hundert im großen Kreis um die Spieler, die geschickte Verkäufer der Illusion sind.
Märchenerzähler und Wahrsager, Schlangenbeschwörer und Artisten, Tänzer, Musiker und Tatoo-Künstlerinnen, Bettler und Gebisshändler, sie alle waren auf den Marktplätzen Marokkos schon vertreten, bevor der moderne Tourismus die Welt des Orients für sich entdeckte. Der schönste und lebhafteste dieser Marktplätze ist aber immer noch der Djemaa El Fna in Marrakesch. Hierher kommen nicht nur die Bewohner der Medina, der alten Stadt, sondern auch die Wohlhabenderen aus den Neubauvierteln, um ihren Kindern die orientalische Welt zu zeigen. Man trifft sich, um am Abend Schnecken und Merguezwürste zu essen, den frisch gepressten Orangensaft die Kehle runter rieseln zu lassen, sich mit Datteln, Nüssen, Rosinen und Nüssen einzudecken und die Kleinen mit dem neuesten Spielzeug aus China zu beschenken. Nein, auch die Heerscharen ausländischer Touristen, die inzwischen den Platz bevölkern, haben ihm nicht seinen Charme genommen. Der abendliche Blick von einem der umliegenden Panoramacafés auf dieses ameisenhafte Menschenmeer zwischen den Lichtern und Rauchschwaden ist immer wieder begeisternd. Es scheint, als wolle der Menschenstrom kein Ende nehmen. Sie quillen aus den Eingängen die Soukhs, entsteigen nach einer Stadtrundfahrt den Pferdekaleschen und kommen die kurze Allee von der Koutoubia-Moschee her, dort wo die Busse und Taxis halten. Fahrradfahrer und Mopeds kommen aus den engen Gassen der Medina, fahren quer über den Platz, weichen geschickt den Fußgängern aus und verschwinden jenseits des Platzes wieder in einer der vielen Gassen.
Der schrille Klang der arabischen Flöte zieht über den Platz, der Klang der Trommeln verstärkt die Wirkung und zieht die Menschen magnetisch zu einem Kreis zusammen. Kaum geht der Fotoapparat hoch, schnappt die Touristenfalle zu. Mit zartem Druck wird er zu den Schlangen geführt, die träge vor dem Flötenspieler liegen. Keine Angst, die Giftzähne sind schon lange entschärft und für 100 Dirhams darfst du dir sogar eine Schlange über die Schulter legen lassen: Otto der Schlangenbändiger: Das Foto geht via MMS direkt an die Lieben zu Hause, moderne Technik macht es möglich.
Oder wie wäre es mit Anglerglück? 4 Limonadenflaschen stehen hintereinander, große Flaschen mit eineinhalb Liter Inhalt. Daneben im Kreisrund das gleiche in Cola, Sprite und Wasser. So wie bei uns Kinder auf dem Rummelplatz versuchen, Plastikfische zu angeln, so stehen hier Erwachsene, und versuchen mit einer langen Angelrute einen Ring um den Flaschenhals zu legen. Gelingt es ihnen und sie ziehen die Flasche hoch, dann gehört sie ihnen. Wir haben lange zugeschaut und keinen Glücklichen gesehen. Wahrscheinlich liegen sie am nächsten Tag verdurstet auf dem Pflaster und werden von der Müllabfuhr entsorgt.
Eine Gruppe Schauspieler zieht mit dumpfer aber in ihrem Rhythmus anziehender Musik über den Platz. Sie sind nicht leicht zu erkennen. Vor ihren in schwarz gekleideten Körpern sind lustige Männchen montiert. Die Figuren tanzen mit den Kindern und haben ihren Spaß dabei. Sie halten nicht die Hand auf, um Geld zu fordern. Auch das gibt es. Junge Künstler sind es, ein Kindertheater, nur ein Kindertheater. Der Gauklerplatz ist für jeden da.
Auf dem ganzen Djemaa El Fna sehe ich keine Polizeiuniform. Doch der Anschein trügt. Die Herren der Sureté Nationale sind in zivil unterwegs, im Pullover, im Straßenanzug oder im Sportdress. Bisweilen erkenne ich sie am Knopf im Ohr.
Oder wie wäre es mit Anglerglück? 4 Limonadenflaschen stehen hintereinander, große Flaschen mit eineinhalb Liter Inhalt. Daneben im Kreisrund das gleiche in Cola, Sprite und Wasser. So wie bei uns Kinder auf dem Rummelplatz versuchen, Plastikfische zu angeln, so stehen hier Erwachsene, und versuchen mit einer langen Angelrute einen Ring um den Flaschenhals zu legen. Gelingt es ihnen und sie ziehen die Flasche hoch, dann gehört sie ihnen. Wir haben lange zugeschaut und keinen Glücklichen gesehen. Wahrscheinlich liegen sie am nächsten Tag verdurstet auf dem Pflaster und werden von der Müllabfuhr entsorgt.
Eine Gruppe Schauspieler zieht mit dumpfer aber in ihrem Rhythmus anziehender Musik über den Platz. Sie sind nicht leicht zu erkennen. Vor ihren in schwarz gekleideten Körpern sind lustige Männchen montiert. Die Figuren tanzen mit den Kindern und haben ihren Spaß dabei. Sie halten nicht die Hand auf, um Geld zu fordern. Auch das gibt es. Junge Künstler sind es, ein Kindertheater, nur ein Kindertheater. Der Gauklerplatz ist für jeden da.
Auf dem ganzen Djemaa El Fna sehe ich keine Polizeiuniform. Doch der Anschein trügt. Die Herren der Sureté Nationale sind in zivil unterwegs, im Pullover, im Straßenanzug oder im Sportdress. Bisweilen erkenne ich sie am Knopf im Ohr.
Er residiert hoch über der Kundschaft inmitten seiner gelben, braunen und orangefarbenen Ware. Fein säuberlich sind die Trockenfrüchte nebeneinander aufgereiht, orangefarbene Aprikosen, pralle Rosinen, braune Haselnüsse und Mandeln, helle Feigenringe. Es scheint, als habe er jede Frucht mit Bedacht ausgewählt und ihr den Platz zugewiesen, der ihr gebührt, damit sie mit ihrer schönsten Seite das Auge des Kunden auf sich zieht. Doch sein größter Stolz ist die Vielfalt der Datteln, die sich in allen Qualitätsstufen anbieten, von der einfachen noch trockenen gelben Frucht bis hin zur edlen violetten Art, die süß und weich schon auf der Zunge zergeht. Und zwischen all dieser Pracht thront der Herrscher dieser Trockenfrüchte hoch über der Kundschaft. Er liest mir meinen Wunsch von den Augen ab, lädt mich zu einer Kostprobe und schätzt sogleich meine Kaufkraft ein. Er bleibt auf seinem Thron, reicht mir mit langem Arm eine Frucht. Eine Schaufel ist es, an einem langen Stiel, mit der er mit der Eleganz eines gekrönten Hauptes jede Ecke seiner Auslagen erreicht. Habe ich mich entschieden, dann hilft ihm die Schaufel beim Befüllen der Tüte aus schwerem Papier. Mit der langen Schaufel kommt die Ware dann zu mir herunter, mit der Schaufel wandert ein Geldschein zu ihm hoch und das Wechselgeld zurück. Es ist ein faszinierender Jahrhunderte alter Ritus, der sich hier vollzieht, drum frage nicht nach der Hygiene. Doch auch Herrscher sind nicht allmächtig, der schnöde Mammon zehrt an ihrer Würde. Münzen sind Mangelware im ganzen Land, man gibt sie nicht gerne aus der Hand, allzu oft fehlt es an Wechselgeld. Mit listigem Blick versucht er, es mir zu entlocken. Doch auch ich zucke mit den Achseln. Nun steigt der Herrscher der Trockenfrüchte von seinem Thron. Vielleicht kann der Kollege nebenan ihm den Geldschein wechseln oder sonst irgend ein Händler auf dem großen weiten Platz. Ja, auch der König muss irgendwann einmal zu Fuß gehen. Hier lerne ich den wahren Ursprung der alten Volksweisheit kennen.

Durch viele Stadttore geht es heute in die Medina von Marrakesch
Hier am Gauklerplatz schlägt das Herz der Stadt. Tradition mischt sich mit Moderne. Da spaziert die modische gekleidete und ausgiebig geschminkte Zwanzigjährige mit ihrer Freundin im Kopftuch und langem Kleid am Arm über den Platz. Hier fährt der Berber mit seinem Djelabbah (eine Art Kaftan mit Kapuze) auf dem Moped vor und der unvermeidliche Halbstarke zeigt Kunststücke auf seinem Mofa. Unermüdlich schlagen die Afrikaner in Blau ihre Trommeln. Hier fühle ich mich wohl.
Am Ende der Gasse, in der das Riad Sherazade liegt, steht eine Moschee. Das hat einen großen Vorteil: Ich brauche keinen Wecker. Pünktlich um 5:00 Uhr in der Nacht knackt der Lautsprecher: „Allah akbam“. Wenig später kündet ein Hustenanfall, dass Ali von gegenüber wach ist, das erste Moped lässt den Ton seines Motors ertönen und Handkarren rollen über das Pflaster. Marrakesch erwacht. Mein Bruder hat es da besser. Ohne Hörgerät hört er nichts, da lässt es sich noch gut schlafen.
Als wir die 10 Kilometer-Marke erreicht haben, weiß ich, warum unser Stadtführer „Zatopek von Marrakesch“ heißt. Die halbe Stunde, die er morgens verspätet kommt, holt er ohne Mühe bei seinem Bravourritt mit uns durch die Medina auf. Dabei sind 10 Kilometer ein Klacks angesichts der 80 Kilometer, die die Stadtmauer um die Medina spannt. Im elften Jahrhundert gegründet, war Marrakesch schnell zum Zentrum geworden und unaufhörlich gewachsen. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde auf Anweisung des französischen Gouverneurs die Neustadt, die Ville Nouvelle, außerhalb der Stadtmauern errichtet. Das Dekret hat das alte Marrakesch konserviert. Die rote Perle des Maghreb, so heißt sie schon seit langem und die rote Farbe des Tons, aus dem die Stadtmauer und die Häuser errichtet sind, prägt heute noch das Stadtbild. Kein Haus in der Medina darf höher sein als eine arabische Palme. Eine Ausnahme bilden die Minarette der zahllosen Moscheen, von denen aber auch keine die Höhe der alles überragenden Koutouria-Moschee erreichen darf.
Es scheint, als habe unser rastloser Führer nur sein nächstes Ziel im Auge. Gewiss, versichert er, haben wir Zeit und Ruhe, alles anzuschauen. Doch er drängelt, er wolle uns noch dies und jenes zeigen. Ich habe Mühe, ihm zu folgen. Marrakesh ist groß und hat an Geschichte und orientalischem Flair viel zu bieten. Es bleibt mir aber wenig Raum, mich umzuschauen, hneinzufühlen. Er möchte uns noch zu den Eisenschmieden führen, sagt er, um uns zu zeigen, dass die Soukhs der Ort sind, wo die Handwerker arbeiten und ihre Produkte verkaufen. Doch dort bleibt auch keine Zeit, er hat schon sein nächstes Ziel vor Augen: die Lederhandwerker, und schließlich die obligatorische Verkaufsshow: die Berberapotheke. Von „Apotheke“ sehen wir wenig, dafür mehr von Touristengruppen, hören von Preisen für Arganöl, Tee und diverse Gewürze. Nur die kurze Massage für 20 Dirhams tut gut, wenigstens dafür lohnt sich der Besuch.
Nicht jede Ansammlung von Häusern durfte sich seinerzeit Medina nennen. Sechs Kriterien musste sie erfüllen: Eine Stadtmauer, eine Moschee, ein Markt, eine öffentliche Toilette, ein öffentliches Bad, Hamam genannt, und ein Brunnen. Als das konnte Marrakesch aufweisen und zusätzlich seine Lage an der wichtigen Handelsstraße, die von hier aus über das Hochgebirge des Atlas in die Weiten der Wüste Sahara führt. Der Reichtum der Stadt spiegelt sich in der Zahl von 4000 Riads wieder. Heute sind mehr als 2000 wieder restauriert, als Gästehäuser, Luxusherbergen und Residenzen für Starallüren. Die Internationale der Stars und Sternchen aus Film und Popmusik gibt sich hier ihr Stelldichein. Doch Schnäppchenjäger aufgepasst: die Immobilienpreise nähern sich denen westeuropäischer Großstädte. Wer renovieren oder neu bauen will, muss sich dem althergebrachten Baustil beugen. Das ist gut so.
Nur wenige autofähige Straßen durchziehen die Medina. Dort, wo die Autos unterwegs sind, erscheint der Verkehr einem westeuropäischen Durchschnittsmenschen chaotisch, nichts für herzinfarktgefährdeten Zivilisationsbürger. Hand- und Eselskarren bremsen den ungehinderten Fluss der Autos, dazwischen kurven Mopeds, vollgepackt mit Gepäck und der mehrköpfigen Familien auf dem Sattel, überholen mal rechts mal links, mal quer zum Auto. Selbst Fußgänger beanspruchen von dem wenigen Raum für die Autos auch noch Platz für sich und das ganz ungeniert. Es ist eng, es geht mit orientalischer Gelassenheit zu. Dann steht plötzlich der Verkehr, es gibt kein Vor und kein Zurück. Zaghaftes Hupen setzt ein. Dann geschieht ein Wunder. Einer der Händler erhebt sich von seinem Stuhl, erkennt, wo der gordische Knoten durchtrennt werden kann, rangiert die Autos behutsam Millimeter um Millimeter nach vorn und nach hinten. Alle unterwerfen sich ihm wie dem Dirigenten eines Orchesters, bis der Knoten entwirrt und die Straße wieder so leer ist, so als gäbe es in der ganzen Stadt gar keine Autos.
Am Ende der Gasse, in der das Riad Sherazade liegt, steht eine Moschee. Das hat einen großen Vorteil: Ich brauche keinen Wecker. Pünktlich um 5:00 Uhr in der Nacht knackt der Lautsprecher: „Allah akbam“. Wenig später kündet ein Hustenanfall, dass Ali von gegenüber wach ist, das erste Moped lässt den Ton seines Motors ertönen und Handkarren rollen über das Pflaster. Marrakesch erwacht. Mein Bruder hat es da besser. Ohne Hörgerät hört er nichts, da lässt es sich noch gut schlafen.
Als wir die 10 Kilometer-Marke erreicht haben, weiß ich, warum unser Stadtführer „Zatopek von Marrakesch“ heißt. Die halbe Stunde, die er morgens verspätet kommt, holt er ohne Mühe bei seinem Bravourritt mit uns durch die Medina auf. Dabei sind 10 Kilometer ein Klacks angesichts der 80 Kilometer, die die Stadtmauer um die Medina spannt. Im elften Jahrhundert gegründet, war Marrakesch schnell zum Zentrum geworden und unaufhörlich gewachsen. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde auf Anweisung des französischen Gouverneurs die Neustadt, die Ville Nouvelle, außerhalb der Stadtmauern errichtet. Das Dekret hat das alte Marrakesch konserviert. Die rote Perle des Maghreb, so heißt sie schon seit langem und die rote Farbe des Tons, aus dem die Stadtmauer und die Häuser errichtet sind, prägt heute noch das Stadtbild. Kein Haus in der Medina darf höher sein als eine arabische Palme. Eine Ausnahme bilden die Minarette der zahllosen Moscheen, von denen aber auch keine die Höhe der alles überragenden Koutouria-Moschee erreichen darf.
Es scheint, als habe unser rastloser Führer nur sein nächstes Ziel im Auge. Gewiss, versichert er, haben wir Zeit und Ruhe, alles anzuschauen. Doch er drängelt, er wolle uns noch dies und jenes zeigen. Ich habe Mühe, ihm zu folgen. Marrakesh ist groß und hat an Geschichte und orientalischem Flair viel zu bieten. Es bleibt mir aber wenig Raum, mich umzuschauen, hneinzufühlen. Er möchte uns noch zu den Eisenschmieden führen, sagt er, um uns zu zeigen, dass die Soukhs der Ort sind, wo die Handwerker arbeiten und ihre Produkte verkaufen. Doch dort bleibt auch keine Zeit, er hat schon sein nächstes Ziel vor Augen: die Lederhandwerker, und schließlich die obligatorische Verkaufsshow: die Berberapotheke. Von „Apotheke“ sehen wir wenig, dafür mehr von Touristengruppen, hören von Preisen für Arganöl, Tee und diverse Gewürze. Nur die kurze Massage für 20 Dirhams tut gut, wenigstens dafür lohnt sich der Besuch.
Nicht jede Ansammlung von Häusern durfte sich seinerzeit Medina nennen. Sechs Kriterien musste sie erfüllen: Eine Stadtmauer, eine Moschee, ein Markt, eine öffentliche Toilette, ein öffentliches Bad, Hamam genannt, und ein Brunnen. Als das konnte Marrakesch aufweisen und zusätzlich seine Lage an der wichtigen Handelsstraße, die von hier aus über das Hochgebirge des Atlas in die Weiten der Wüste Sahara führt. Der Reichtum der Stadt spiegelt sich in der Zahl von 4000 Riads wieder. Heute sind mehr als 2000 wieder restauriert, als Gästehäuser, Luxusherbergen und Residenzen für Starallüren. Die Internationale der Stars und Sternchen aus Film und Popmusik gibt sich hier ihr Stelldichein. Doch Schnäppchenjäger aufgepasst: die Immobilienpreise nähern sich denen westeuropäischer Großstädte. Wer renovieren oder neu bauen will, muss sich dem althergebrachten Baustil beugen. Das ist gut so.
Nur wenige autofähige Straßen durchziehen die Medina. Dort, wo die Autos unterwegs sind, erscheint der Verkehr einem westeuropäischen Durchschnittsmenschen chaotisch, nichts für herzinfarktgefährdeten Zivilisationsbürger. Hand- und Eselskarren bremsen den ungehinderten Fluss der Autos, dazwischen kurven Mopeds, vollgepackt mit Gepäck und der mehrköpfigen Familien auf dem Sattel, überholen mal rechts mal links, mal quer zum Auto. Selbst Fußgänger beanspruchen von dem wenigen Raum für die Autos auch noch Platz für sich und das ganz ungeniert. Es ist eng, es geht mit orientalischer Gelassenheit zu. Dann steht plötzlich der Verkehr, es gibt kein Vor und kein Zurück. Zaghaftes Hupen setzt ein. Dann geschieht ein Wunder. Einer der Händler erhebt sich von seinem Stuhl, erkennt, wo der gordische Knoten durchtrennt werden kann, rangiert die Autos behutsam Millimeter um Millimeter nach vorn und nach hinten. Alle unterwerfen sich ihm wie dem Dirigenten eines Orchesters, bis der Knoten entwirrt und die Straße wieder so leer ist, so als gäbe es in der ganzen Stadt gar keine Autos.
Der erste Blick ist nicht gerade berauschend. Mit jeder weiteren Treppenstufe wird der Blick auf die Toilettenschüssel impossanter. Doch drei Etagen höher winkt die Dachterrasse. Mir gegenüber steht malerisch ein Storchenpärchen, beschäftigt mit der Morgentoilette. Hier ein Federchen entfernt, dort ein paar gerade gerückt, am Bauch etwas gekratzt und dann den Schnabel hoch gereckt. Schmal führt unter ihnen die kleine Gasse zum Grab der Sultane der Saadier-Dynastie aus dem 16. Jahrhundert und ihrer Familienmitglieder. Der Prunksarkophag des Sultans Moulay Ahmed el Mansour aus Carrera-Marmor steht in einer prächtigen Säulenhalle. Durch diese schmale Gasse müssen sie kommen: Frei nach Wilhelm Tell lauern hier die Touristenfänger auf ihre Beute. Silberarmbänder sind heuer in Mode und werden im Dutzend angeboten. Ich nippe an meinem Glas mit dem Pfefferminztee, keine Industrieware sondern mit frischer Minze zubereitet, lecker, lecker. Die Kette des Hohen Atlas mit der Spitze des 4167 Metern hohen Toubkal zeichnet sich blau im Süden ab.

Touristenf'änger unter sich
Das Klimpern des Wassermannes mit seinen Messingschüsseln klingt zu mir hoch. Bunt gekleidet und mit ebenso buntem und großem Strohhut steht ein Vertreter seiner Art vor der Touristenschleuse und bietet sich für einen nicht zu geringen Obolus zum gemeinsamen Foto an. Sie wissen, dass Touristen für diese Exotik gerne in die Tasche greifen. Früher boten sie tatsächlich Wasser in ihren Messingschüsseln an. Heute habe Plastikflaschen diese Aufgabe übernommen.
Musiker finden sich überall in der Stadt. Auch sie leben vom Bakschisch der Menschen. Eine besondere Art kommt aus Mali, die Gnaoul. Mal sitzen sie, mal tanzen sie zu ihrer Musik. Aber immer kreist die bunte Quaste auf ihrer Mütze rund um den Kopf. Es ist lustig anzusehen. Heute habe ich Glück, es sind sogar sehr gute Musiker. Da gebe ich meine 10 Dirhams doch besonders gerne.
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Auch am zweiten Abend geht es zum Essen auf den Gauklerplatz. Ein Teil des Platzes ist den Garküchen reserviert. Am Nachmittag beginnen sie mit dem Aufbau der Stände, sind gute zwei Stunden damit beschäftigt. Dann trudeln die erstes Gäste ein. Die meisten Touristen folgen den hygienischen Warnungen der Reiseführer und meiden die zahllosen Tische. In der genauen Übersetzung heißt der Platz „Versammlung der Toten“ – wegen der aufgespießten Köpfe der Rebellen, welche die Sultane vor Jahrhunderten hier zur Abschreckung aufzustellen pflegten. Wenn heute Rauchfahnen über dem Platz stehen, dann sind es nicht mehr die Scheiterhaufen der Verurteilten, sondern die Grillfeuer der Merguezbrater. Uns zieht einer dieser Grillstände an. Gestern standen die Gäste in Dreierreihen, um einen Sitzplatz zu engagieren, das spricht für Qualität. Die kleinen Bratwürstchen, Merguez genannt, mögen es heiß. Immer wieder schlagen die Flammen hoch, wenn frische Merguez aufgelegt werden oder die Fleischspieße mit würziger Marinade bestrichen werden. Dann steigen die Rauchwolken hoch und vernebeln die Sicht. Der Chef steht wie ein Fels in der Brandung an seiner Kasse. Er ist der Herr des einzigen Flaschenöffners. So hat er den Überblick über sein Geschäft und seine zehn emsigen Angestellten. Rund um den Grill sitzen die hungrigen Kunden an Blechtischen mit Blick auf den Grill. Wird ein Platz frei, dann rückt sofort ein wartender Gast aus der zweiten Reihe nach. Ganze Familien nehmen hier ihr Abendessen ein, auch junge Pärchen und Freundescliquen. Es macht Spaß, dem Treiben zu zu schauen. Ruck zuck liegt ein verschämtes Papiertuch vor uns, darauf ein Brot. Scharfe Oliven folgen, gepaart mit einer würzigen Tomatentunke und der kargen Speisekarte. Die Merguez sind sehr saftig, die Olivenkerne landen auf dem Boden, wir sind zufrieden. Noch in der Nacht, wenn die Stände abgebaut sind, kommt die Müllabfuhr und reinigt den ganzen Platz.