Heiße Rhythmen, explodierende Farben
- Karneval auf Madeira
Februar 2017
Fantastische Kostüme ziehen an mir vorüber, farbenfroh und kreativ, begleitet von Namen wie "Tropische Phantasie", "Sternenstaub", "Traum, Liebe und Phantasie", "Planet Erde lächelt" oder "Lass uns den Traum eines Träumers träumen". Ich bin fasziniert von diesem Spektakel. Die Samba-Schulen von Madeira geben sich heute Abend ihr Stelldichein. Angeführt wird jede Schule von einem Traumpaar. ER in glitzerndem Anzug und SIE in viel Tüll, Federn und weitem Reifrock. Die Dame dreht sich immerfort im Kreis, damit jeder sie sehen kann. Dazu trägt sie die Fahne der Schule. ER tänzelt um sie herum, immer in Bewegung, zwei Stunden lang. Ganz in Gold ein weiteres Paar, das die nächste Gruppe anführt. Bei aller Freude in den Gesichtern sehe ich aber auch immer wieder die Anspannung. Heute ist ihr großer Tag. Da darf kein Patzer passieren, da muss man lachen und Freude zeigen, auch wenn der schwere Kopfschmuck mal verrutscht.
Hinter den beiden folgt die große Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer, mal jung, mal etwas älter. Natürlich will man die Schönheit der Jugend zeigen, jugendliche Mädchen vorneweg. Aber auch das Altern hat seinen Platz und wird mit Würde gezeigt. Alle in einer Gruppe tragen das gleiche Kostüm, mal rot, mal blau, mal grün, mal gelb, und auch mal schillernd weiß, eine wahre Farbenexplosion. Was machen sie wohl mit ihrem Kostüm, wenn am Aschermittwoch die Saison vorüber ist? Nächstes Jahr will das Volk eine neue Pracht sehen. Und ob sie sich ihre Kostüme selbst schneidern? Und wer entwirft diese? Fragen, die mir in den Kopf kommen.
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"Da, meine Tochter!", die alte Bäuerin neben mir, mit Händen die von langer Feldarbeit zeugen, ist ganz außer sich, stößt mich an, zeigt auf die grün kostümierte junge Tänzerin auf dem Wagen der Königin. Sie ist ganz begeistert vor Freude, ruft ihrer Tochter etwas zu. Aber diese kann ihr nur ein kurzes Winken schenken, denn die Fernsehkameras sind gerade auf ihre Königin und sie gerichtet. Sie schüttelt im Tanz ihren ganzen Körper, tanzt sich schier in Ekstase. Viele Einheimische um mich herum winken und rufen einzelnen Tänzern und Tänzerinnen zu. Die Insel ist klein. Man kennt sich und vielleicht hat die Dame neben mir vor vielen Jahren auch dort oben gestanden und getanzt. Bestimmt fünfzehn Gruppen ziehen so an mir vorüber, alle von der Insel, und alle mit Samba-Musik, die mich mit reißt. Zwischendrin plötzlich für einen Moment Stille, dann gibt es einen Sonderapplaus. Sechs Männer und Frauen in Elektrorollstühlen, arm- oder beinamputiert, rollen vorbei. Sie sind kostümiert und bewegen sich mit ihren Rollstühlen so gut es geht im Rhythmus der Musik, ganz so, als wären sie noch jung und unversehrt. Da kann ich für sie wie fürs Publikum nur sagen "Hut ab!". Zwei Stunden Tanz, dann geht die Parade der Samba-Schulen zu Ende. Zwei Stunden, die von den Tänzerinnen und Tänzern Höchstleistung abverlangen. Für die Samba-Schulen ist dieser Umzug der Höhepunkt des Jahres.
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Diesen Karneval gibt es noch nicht lange auf der Insel. Jahrhundertelang sind viele Inselbewohner aus bitterer Armut heraus nach Südamerika ausgewandert. Noch vor 50 Jahren gab es eine große Auswanderungswelle. Vor allem Venezuela war ihr Ziel. Mehr als einem brachte die Auswanderung Glück und Reichtum. Viele der jüngsten Auswanderungswelle ebenso wie die Nachkommen der früheren kamen begütert nach Madeira zurück. Sie brachten den Samba-Karneval mit.
Mit der letzten Tänzergruppe ist es schon nach 23:00 Uhr. Den Abschluss der Parade macht ein Feuerwehrwagen. Ob er wohl mitfährt, um die aufgeheizten Körper abzukühlen? Ich für meinen Teil könnte mir jetzt eine Dusche gut vorstellen. Ich bin nass geschwitzt, habe 3000 Fotos auf dem Chip der Kamera. Jetzt erst fällt mir etwas auf: Während bei uns nach jedem Faschingsumzug die Straßen voller Sekt- und Weinflaschen sind, geleert natürlich, ist hier kein Alkohol im Spiel. Wein und Rum gibt es zur Genüge auf der Insel. Aber hier braucht man zum Faschingsspaß und Feiern keinen Alkohol. Auf dem Weg zum Hotel kommen uns TeilnehmerInnen der ersten Gruppen entgegen. Wir applaudieren ihnen zu. Sie lassen sich gerne gemeinsam mit den Passanten fotografieren. Die Anstrengung ist ihnen ebenso anzusehen wie die Freude über den gelungenen Abend. Ich bekomme Antwort auf meine Fragen: Die Kostüme werden selbst geschneidert nach einem gemeinsamen Entwurf. Und nach Ende der Saison behält jede und jeder sein Kostüm. Wer schon länger dabei ist, hat einen Kleiderschrank voll von all der Pracht aus den vergangenen Jahren, denn jedes Jahr gibt es ein neues und noch fantasievolleres Kostüm.
Ein bisschen Swing, ein bisschen Ragtime, ein bisschen Big Band, die Musik zieht mich schon von weitem an. Es ist ein Nachmittag in der Innenstadt. Ein paar Buden auf der Avenida-Arriaga mit Karneval-Spezialitäten, ein paar Tische, an denen Kinder sich fantasievoll schminken lassen. Und dazu die Musiker. Sie stehen im Kreis mit Saxophon und Trommel, mit Klarinette und Posaune, jung und alt. Ab und zu kommt ein weiterer Musiker hinzu, packt sein Instrument aus und nimmt den Rhythmus auf. Ich spüre die Freude des Spielens, die von den Musikern aus geht. Viel spielt sich in der Karnevalzeit im Privaten ab. Hier erlebe ich einen öffentlichen Teil der fünften Jahreszeit, ein Ausschnitt der vielfältigen Aktivitäten, die ich auch ohne Sprachkenntnisse verstehen und miterleben kann.
Ein zarter Strich, etwas mehr Schminke: ein kleines Kunstgemälde entsteht auf der Wange des Mädchens. Hier am Stand lassen sich Kinder gerne in eine Figur aus ihrer Traumwelt verwandeln. Und wer hinter die Tricks des Zauberers kommen will, darf ihm auf der Bühne nebenan gerne assistieren. Für Kinder gibt es während des Karnevals ein vielfältiges Programm. Den Umzug der Kleinen habe ich leider heute morgen verpasst.
Wir probieren Malabassas und Sonhos, Krapfen ähnlich unseren "Berlinern". Sie werden nur zur Karnevalzeit gebacken. Vor allem die Sonhos haben es uns angetan. Sie sind aus Brandteig in Fett ausgebacken und werden mit Karamellsirup serviert. Weil sie so luftig und zart sind, werden sie Sonhos, "Träume" genannt. Am Stand daneben gibt es Poncha, ein hochprozentiges Getränk aus Rum und Fruchtfleisch. Vor unseren Augen mischt der Barmixer Rum mit dem Fruchtfleisch der köstlichen Maracuja, wahlweise auch mit frisch gepresstem Orangensaft. Renate ist begeistert von dem Poncha. Ich lasse mir den reinen Orangensaft schmecken. |
Pünktlich um 16:00 Uhr stehe ich wieder an der Strecke des Festumzuges. Heute gibt es den Umzug der Narren. Ich lächele, denn im offiziellen Prospekt, den es auch auf Deutsch gibt, werden die Narren als Tölpel bezeichnet. An diesem Umzug kann Jeder und Jede teilnehmen und so bunt und unterschiedlich ist auch die Teilnehmerschar. Donald Trump steht natürlich bei den Narren hoch im Kurs. Mehrere Zugnummern nehmen ihn auf die Schippe, begleitet von Buhrufen der Zuschauer. Auch hier ist er nicht sonderlich gelitten. In diesem Jahr gibt es besonders viele TeilnehmerInnen, die ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Männer in Frauenkleider, das kenne ich schon vom Umzug im Jahr 2008. Da ist so manche attraktive Gestalt dabei, in die sich ein junger Mann gerne verlieben würde, wenn, ja wenn die Gestalt nicht ein Mann wäre.
Bei so viel Karneval darf die körperliche Bewegung nicht leiden. Die Sonne scheint. Am "Forum Madeira", einem der vielen Einkaufszentren, verlassen wir den Stadtbus und folgen der steilen Nebenstraße nach unten. Nach ein paar Minuten stehen wir auf der "Passeigo Publico", dem Promenadenweg. Hoch auf der Kante der Steilküste folgt sie der Wasserlinie. Blüten in allen Farben empfangen mich, als wollten sie mir zu rufen "Hallo und Willkommen auf der Blumeninsel Madeira". Wir haben erst Februar und damit noch nicht die Hauptblütezeit erreicht.
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Zarco, der "Entdecker" Madeiras, steht in Bronze gegossen vor mir und blickt hinaus auf das weite Meer. Eine junge Frau klettert zu ihm hoch und umarmt den grünen Seefahrer, während ihre Freundin die Szene im Bild fest hält. Kurz dahinter steht ein Verbotsschild für Fahrradfahrer. Ich vermute, dass es angebracht wurde wegen der steilen und lang gezogenen Treppe, die mich jetzt zum Strand hinunter führt. Ich selbst käme nie auf die Idee, hier mit dem Fahrrad runter zu fahren. Aber wer weiß, wie viele es versuchen würden oder es schon versucht hatten, mit fatalen Folgen möglicherweise.
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Mein Blick fällt auf ein Meerwasserschwimmbecken, das großzügig zwischen den Klippen angelegt ist. Die Wellen schwappen immer wieder über den Rand und füllen es auf ein Neues. Der Zugang ist nur mit einer Codekarte möglich. Ob es wohl zu dem 5-Sterne-Hotel oberhalb des "Passeigo Publico", gehört? Das Restaurant neben dem Eingang ist zumindest öffentlich und lädt zum Rasten ein. Für uns noch zu früh. Wir lassen uns lieber von dem Tunneleingang verschlucken, in den der Weg nun hinein führt. Glatt ist der Felsen draußen am Meer. Er fällt gut 30 Meter senkrecht ab. Vor vielen Jahren war dort ein Weg in die Felswand geschlagen worden. Doch dieser Weg ist von zahlreichen Stürmen zerstört worden.
Nun führt der Tunnel im Halbrund durch diese Klippe. Auf halber Strecke wird es heller im Tunnel. Fenster sind in die Wand gebrochen und geben den Blick in eine gewaltige Grotte frei. Durch den Eingang schwappen die Wellen hinein. Heute ist das Meer ruhig. Ich stelle mir vor, welch ein brodelnder Hexenkessel diese Höhle bei stürmischem Seegang ist. Nun weiß ich auch um den Sinn der Gittertore an den Eingängen des Tunnels. |
Blühende Kapuzinerkresse säumt den weiteren Weg über das Geröllfeld hinter dem Tunnel. Die Planken des Holzsteges über die großen Kiesel sind schon arg mitgenommen. Vor mir breitet sich die lang gezogene Sicht des "Orca Praia", des Wal-Strandes, aus. Als sich viele Menschen auf Madeira noch von dem Walfang ernährten, wurden die großen Leiber der Wale hier an Land gezogen und zerlegt. Das Meer muss an diesen Tagen blutrot gewesen sein. Mich schaudert bei diesem Gedanken. Aber für die Menschen auf der Insel war es lebensnotwendig.
Es ist inzwischen Mittagszeit und die Sonne steht hoch im Zenit. Vereinzelt watet ein Tourist mit den Füßen in der Brandung. Mich fasziniert, wo überall die Männer auf dieser Insel Karten spielen. Hier sind es drei, die tiefgebräunt ihrer Spielleidenschaft am Kiesstrand frönen. Nun ist der Promenadenweg auch wieder befestigt. In einem der kleinen Strandrestaurants lassen wir uns für eine kleine Pause nieder. Ein paar Möwen jagen über den Strand. Es ist wahrlich kein einladender Badestrand, denn grober Kies lädt nicht gerade zum Niederlassen und Sonnen ein. Aber der "Orca Praia" ist einer der wenigen Strände, die es auf Madeira überhaupt gibt.
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Der Weg hier am Strand ist sehr belebt und die Restaurants dementsprechend auch. Gerade schiebt sich vor dem Strand eine alte Karavelle an einer gewaltigen Klippe vorbei. Es ist die "Santa Maria", das Flaggschiff von Christoph Columbus, ein historischer Nachbau mit Motorantrieb. Mir scheint, als käme Columbus gerade aus Amerika zurück. Dabei bringt sie doch nur zwei mal täglich Touristen zur Wal-Beobachtung hinaus vor die Küste.
Leise rauscht die Brandung, während wir unserem Weg weiter folgen. Mit einem hörbaren Schlag bricht sich die Welle am Strand. Das zurücklaufende Wasser nimmt mit melodischem Klackern kleine Kieselsteine zurück ins Meer. Wir wollen uns für eine Weile am Strand nieder lassen zum Sonnen, Lesen, Schreiben und Malen. Eigentlich hatten wir schwarzer Sand erwartet. Stattdessen müssen wir uns einen Platz zwischen grobem Geröll suchen. Hinter uns steht die Glasfront des Hotels "Orca Praia", das sich an die Steilküste schmiegt. Bei meinem letzten Aufenthalt vor ein paar Jahren breitete sich vor dem Hotel noch ein gut einhundert Meter langer Strand mit schwarzem Sand aus. Nun türmen sich hier graue Geröllhalden. Mehrere Stürme haben in den vergangenen drei Jahren das Geröll aus dem Meer hoch gespült und den Sand überdeckt. Auch zerborstene Baumstämme und Schilfrohr wurden angespült. Auf einem großen Brocken sitzt scheinbar ein Strandhase. Ein kreativer Wanderer hat ihn dort aus Geröll und Kieselsteinen geformt. Eine Gruppe weiterer Steinpyramiden hat sich ihm zugesellt. Er blickt konzentriert aufs weite Meer und warnt vor weiteren Stürmen, hoffentlich !
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Am Ende der langen Sichel des Wal-Strandes drängt sich nun die Steilküste wieder direkt ans Wasser. Der Weg wird hier auf Stelzen am Fuß des Hangs geführt. Ein kleiner Wasserfall stürzt aus den Felsen herab. In den Bergen hat es in den ersten zwei Februarwochen kräftig geregnet. Hier entlässt eine Levada ihr letztes Wasser im ewigen Kreislauf zurück ins Meer. Die hohe Luftfeuchtigkeit um das fallende Wasser herum lässt viele Blumen erblühen. Ein Feigenbaum schlägt gerade aus, das erste Blattgrün entfaltet sich an dem wintergrauen Skelett seiner Äste.
In einem Felsspalt hat sich eine Rizinuspflanze angesiedelt. Seine Geschwister begleiten mich schon eine geraume Weile. Dort, wo der Stelzenweg endet und sich eine lange Landungsbrücke ins Meer zieht, arbeitet ein Zementwerk. Gewaltig ragen seine Speicher hoch, dahinter strahlt die Sonne auf die Autobahnbrücke, die den Baranco überspannt. Über den fernen Bergen liegen dicke graue Wolken. Sie bestätigen mir, dass heute der richtige Tag für die Wanderung unten am Meer ist. Die Wassermengen, die die Wolken gerade oben in den Bergen entladen, kommen mit dem "Ribeira das Soccorridos" aus dem Nonnental wieder ins Meer zurück.
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Im Wasser der Mündung fühlen sich viele Möwen wohl. Sie lassen sich von den Wellen wiegen und warten nur darauf, dass ihnen die Strömung wieder einen fetten Happen in den Schnabel spült. Grün sind die großen Steine rechts und links der Mündung, so grün, wie die ganze Insel.
Noch ein kurzes Stück bergauf, dann öffnet sich die Bucht von Camara da Lobos. Am Wegrand stehen Trimmgeräte. Ich brauche sie nicht, der Weg heute ist Trimmen satt. Wäsche flattert auf der Leine. Der Wind trocknet sie schnell. Zwischen all den Häusern fällt mir ein altes Gebäude besonders auf. Es ist aus grobem Stein gemauert, mit einem spitzen Dach aus dem selben Stein. Katzen liegen faul am Dachrand. Sie beobachten mich, als ich das Haus passiere. Dahinter geht es um eine weitere Biegung. Hier öffnet sich der schönste Blick auf den Ort. Im großen Halbrund liegen die Häuser zwischen den Bananenfeldern, umranden im zarten Grün den kleinen Hafen mit seinen bunten Fischerbooten. Palmkronen wiegen sich darüber im Wind.
Noch ein kurzes Stück bergauf, dann öffnet sich die Bucht von Camara da Lobos. Am Wegrand stehen Trimmgeräte. Ich brauche sie nicht, der Weg heute ist Trimmen satt. Wäsche flattert auf der Leine. Der Wind trocknet sie schnell. Zwischen all den Häusern fällt mir ein altes Gebäude besonders auf. Es ist aus grobem Stein gemauert, mit einem spitzen Dach aus dem selben Stein. Katzen liegen faul am Dachrand. Sie beobachten mich, als ich das Haus passiere. Dahinter geht es um eine weitere Biegung. Hier öffnet sich der schönste Blick auf den Ort. Im großen Halbrund liegen die Häuser zwischen den Bananenfeldern, umranden im zarten Grün den kleinen Hafen mit seinen bunten Fischerbooten. Palmkronen wiegen sich darüber im Wind.
Direkt am Hafen lassen wir uns zu Kaffee und Kuchen nieder. "Michael" bedient uns. Er hat den Schalk im Nacken und ist stets zum Scherzen aufgelegt. Sein gutes Englisch hat er sich selbst beigebracht, wie er uns sagt. Er erzählt uns auch die Geschichte vom "Katzenhaus". Früher waren alle Häuser hier aus dem alten Gestein gemauert, aus dem die Insel ist. Unter dem spitzen Dach gebe es nur einen Raum, in dem eine Familie lebte, oft mit bis zu 16 Kindern., Es waren Fischer, denn nur sie konnten sich ein Steinhaus leisten. Zum Schluss meint er: "Diese Frage war kostenlos, jede weitere kostet Geld." Wahrlich ein Schelm. Renate handelt mit ihm dennoch zwei weitere kostenlose Fragen aus.
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Der Hafen ist der Lebensmittelpunkt von Camara da Lobos. Hier reparieren die wenigen Fischer, die es noch gibt, ihre Boote, hier spielen die alten und arbeitslosen Männer Karten, hier lassen die Kanufahrer ihre Boote zu Wasser. Vom Hafen steigt die Straße zum Churchill's Point hoch, wo wie immer auch ein paar Männer stehen und das Treiben am Hafen beobachten. Die Mauer ist über und über bedeckt mit lila blühenden Bougainvillea-Büschen. Hier unten, direkt am Hafen, verkauft auch Cláudia ihre Wolljacken. Nachdem viele Passanten ihr einen Korb gegeben haben, freut sie sich umso mehr über mein Interesse. Sie schenkt mir dafür ihr charmantestes Lächeln. Nach einigen Versuchen entscheide ich mich doch für das erste Modell. Ob die Jacke tatsächlich auf Madeira gestrickt wurde, weiß ich nicht. Aber sie ist kuschelig warm, so richtig für kalte deutsche Winterabende gemacht.
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Ein Mädchen spielt mit einem Jungen auf der Kaimauer um die Wette. Wer schafft es wohl, eine Plastikflasche so in die Luft zu werfen, dass sie nach dem Überschlag stehend auf der Kaimauer landet. Alleine hatte das Mädchen es eben nach vielen Versuchen geschafft. Wir zollten ihr Beifall. Doch nun klappt es nicht mehr. Irgendwann lassen die beiden dieses Spiel. Beim nächsten Mal wird es klappen. Der Boden, auf dem die Tische und Stühle stehen, ist auch hier schön gepflastert. Als die Rechnung kommt, lerne ich, dass es nicht nur ein schönes Pflaster, sondern auch ein teures Pflaster ist.
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Die kurze Zeit, die mir ausserhalb des Karnevals bleibt, nutze ich, um etwas abseits der ausgetretenen touristischen Pfade die Stadt weiter kennen zu lernen. Meine Schritte lenken mich heute in die "Zona Velha" hinter der Markthalle. Es ist die ursprüngliche Altstadt, die schon lange nicht mehr das Zentrum der Stadt ist. Vor Jahrhunderten lebten hier die Fischer im Schutz der Festungsanlage. Lange Jahre war dieser Stadtteil verrufen. Doch der Wandel der Stadt hat nun auch die Zona Velha erreicht. Ich schlendere eine lange Straße hinter der Festungsanlage hoch. Maroder Charme wechselt mit gut eingefügten Neubauten. Seit dem Jahr 2011 werden im Rahmen des Projekts „Öffnet die Tore der Stadt durch Kunst und Kultur“ marode Haustüren von Künstlern und Kunstliebhaber neu gestaltet. Manche von ihnen haben sich nun in der "Zona Velha" niedergelassen. Es macht mir Spaß, immer neue Türen mit kreativen Ideen zu entdecken. Und weil die Idee bei der Stadtverwaltung gut angekommen ist, haben diese auch gleich die Parkuhren künstlerisch verschönern lassen. Da lasst man sich von der Krake doch gerne die Münzen aus der Tasche ziehen.
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Auch so manche Ruine mit verwunschener Gartenanlage wartet auf den Prinzenkuss, der sie aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Alte Frauen mit Einkaufstaschen bestimmen das Straßenbild ebenso wie kleine Gruppen von Touristen. Der Tourismus steuert 37 % zur Wirtschaftsleistung der Insel bei. Der Anteil steigt von Jahr zu Jahr. Auch wenn Madeira kein Ziel von Massentourismus ist, spüre ich, wie der Tourismus sich immer stärker auswirkt und auf die Menschen Einfluss nimmt. Vor 5 Jahren brauchte ich noch keine Quittung im Restaurant nachprüfen und kein Wechselgeld nachzählen. Inzwischen ist es ein Muss geworden, wie ich leider feststellen muss. Ein Grafitti an einer Hauswand zeigt mir, dass so manche Inselbewohner den Tourismus inzwischen skeptisch sehen: "+ cultura - tourism". Sie fordern mehr Kultur und weniger Tourismus. Die Stadt ändert sich, das spüre ich wie noch nie zuvor.
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Etwas abseits der touristischen Pfade liegt auch der Pico da Fortaleza nordwestlich der Innenstadt. Wie eine Kanzel, die sich im Mittelschiff der Kirche erhebt, so liegt der Pico da Fortaleza in einer Höhe von 111 Metern über der Stadt Die Innenstadt ist nur eine Griffweite entfernt. Die Burganlage mit der gewaltigen Mauer stammt aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Wir gehen die Straße zum Pico hoch, eine Straße, die langsam ansteigt, dann immer steiler wird wie der Schenkel einer Parabel. Dann stehe ich endlich oben. Unter meinen Füßen reihen sich die roten Dächer der kleinen Wohnhäuser, wie zufällig aneinander und übereinander geschachtelt, gerade so, wie der Hang Platz für Wohnraum freigibt. Wäsche flattert auf den Dachterrassen, bisweilen steht dort auch eine Sitzgruppe mit wunderbarem Panoramablick auf Berge, Meer und Stadt. Die kleinen Bubenköpfe an den Dächern, traditionelle Dachreiter, die Kindersegen bringen sollen, dienen heute wohl nur noch der liebevollen Dekoration. Neben mir lugt immer wieder eine kleine Eidechse über die Mauer, wartet wohl auf ein kleines Bröckchen Brot. Leider kann ich ihr damit nicht dienen. Die Fortaleza ist in privatem Besitz, dort sollte mal eine Pousada, ein portugiesisches Hotel in einem historischen Gebäude entstehen. Die Tore sind verschlossen: No Entry. Dafür hat das Café in der kleinen Parkanlage geöffnet. Wir sitzen mit Blick auf den Pico de Barcelo. Ehe ich mich versehe, hat Renate ein wunderbares Aquarell dieses Blicks gezaubert.
Bergab geht es nicht minder steil. Hinter uns kriechen schwere Wolken langsam in die Hochtäler. Doch der Wind, der vom Meer her weht, hält sie in Schach und sorgt dafür, dass sie dort oben bleiben. Die Spur des Waldbrandes vom letzten Jahr zieht sich oberhalb der letzten Häuser die Kante der Berge entlang. Es war der heißeste Sommer seit Menschengedenken. Drei Brandherde breiteten sich oberhalb von Funchal aus und zogen durch einen Baranco bis an den Rand der Altstadt. 150 Häuser wurden Opfer des Feuers. Bei der Fahrt mit der Seilbahn habe ich die Hausmauern noch stehen sehen, der Dachstuhl eingestürzt. Nur der rote Kranz der Dachziegel, die auf den Aussenmauern aufliegen, säumt sie noch. Als mahnendes Zeichen stehen die dunklen kahlen Skelette der Bäume hoch über Stadt. Drei Naturgewalten haben in den letzten sieben Jahren Funchal heim gesucht. Im Jahr 2010 schossen nach schweren Regenfällen Sturzfluten durch die Innenstadt. Mehrere Dutzend Menschen ertranken in den Fluten. Im Februar 2014 und im Oktober 2016 formte sich der Wind zu einem schweren Sturm und peitschte an die Südküste. Die Folgen sind am Wal-Strand noch zu sehen. Und schließlich der verheerende Waldbrand im letzten Jahr.
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Es ist Abend. Während gerade das Sturmtief "Thomas" über Deutschland hinweg fegt, genieße ich das milde Klima dieser Insel. Meine fünfte Reise nach Madeira ist fast wie ein Nachhausekommen. Der Umbau des Hafens und der Hafenpromenade von Funchal ist abgeschlossen. Die Bäume des Allee hier am Wasser sind mit blau-grünen Lämpchen geschmückt, die alles in ein mystisches Licht tauchen. Der Wind ist auch am Abend lau, hat auf West gedreht. Ich schlendere auf der lang gestreckten Hafenmole bis ans Ende. Ein letzter Fischer packt gerade seine lange Angelrute zusammen. Ich wünsche, dass er heute einen guten Happen fürs Abendessen aus dem Wasser gezogen hat. Im neuen Hafenbecken liegt die "Santa Maria". Dahinter ziehen sich die Lichter Funchals den Hang hinauf. Die Szenerie wirkt wie ein gewaltiges Amphitheater. Noch einmal bricht die tiefstehende Sonne mit Macht durch die Wolkendecke und taucht den Hang Minuten lang in güldenes Licht. Dann sinkt sie hinter den Horizont. Schnell wird es dunkel. Weit oben, in 600 Meter Höhe, erkenne ich ganz schwach die beleuchtete Fassade der Kirche " Nossa Senhora do Monte". Dahinter erstreckt sich nur noch der dunkle Berghang.
Unser Hotel hat seine besten Jahre schon hinter sich. Die 4 Sterne auf dem Schlüsselanhänger sind schon lange verblasst und abgebröckelt. Das Frühstück ist einfach. Aber das ist nicht tragisch. Denn direkt neben dem Hoteleingang lädt ein Nahversorger zum Einkauf ein. Auf der Suche nach dem Regal mit dem Tafelwasser werden meine Augen immer größer und meine Schritte immer länger. Aus dem kleinen Nahversorger wird ein großer Supermarkt, der sich in dem Straßenblock versteckt. Mindestens fünf Häuser, die zur Straße hin noch Wohnungen, Büros und alteingesessene Ladenlokale beherbergen, wachsen im hinteren Teil zusammen und schaffen auf zwei Etagen Raum für den Supermarkt mit Obst und Gemüse, Backwaren, Frischfisch-, Fleisch- und Käseabteilung, Spirituosen, Wein, Haushaltswaren, Drogerieartikel, Bürobedarf und selbst Keilrahmen für Künstler samt den dazu gehörigen Pinseln. Aber das Schönste ist der Baum vor unserem Fenster, ein afrikanischer Tulpenbaum. Gerade entfalten sie ihre Pracht und leuchten in der ganzen Stadt wie Flammen in der morgendlichen Sonne. Wer hätte das gedacht: Tulpenblüte auf Madeira. Neben dem farbenfrohen Umzug der Samba-Schulen ist dies das Bild, das ich nach einer Woche mit nach Hause nehme.
E N D E
Eine ausführliche Fotostrecke zur Parade der Sambaschulen
findest du mit einem Klick auf diesen Link.
Weitere Reiseberichte zu Madeira gibt es hier:
Januar 2013
November 2013
findest du mit einem Klick auf diesen Link.
Weitere Reiseberichte zu Madeira gibt es hier:
Januar 2013
November 2013