Der lange Weg zu Monsieur Hulot
Teil 2 - entlang der Loire von Blois bis Saint Marc sur Mer
Juli 2018
Blois im Morgenlicht, die Säule auf der Brücke hebt sich scharf im Gegenlicht ab. Die Kühle des Morgens umhüllt uns, Frische steigt vom Fluss hoch. Direkt hinter der Brücke geht es runter zum Treidelpfad. Der Weg abwärts ist grottenschlecht. Dieter hat es in seinen Reisenotizen sarkastisch beschrieben: "Die Radwege am Fluss sind stückweise aus dem Mittelalter, d.h. mit gröbsten Pflastersteinen gepflastert. Keine "Katzenköpfe", sondern eher Ochsenköpfe. Man kann ihnen mit dem Rad nicht ausweichen und wird brutal durchgeschüttelt. Es hat zur Folge, dass nach den ersten 50 Metern sämtliche losen Teile des Rades abfallen und es dann ganz still wird und man feststellt, dass man nur noch auf dem nackten Rahmen samt Sattel unterwegs ist. Na ja, leicht übertrieben." Aber recht hat er. Ich schiebe mein Rad nach unten und neben mir schiebt eine Familie ebenfalls ihre Räder. Die beiden Kleinen sind sichtlich genervt, haben sie sich doch eigentlich auf freies Fahren gefreut.
Inzwischen ist wieder Genussradeln angesagt. Wir radeln durch ein Wäldchen. Am Hang liegt das kleine Schlösschen von Chailles. Hier hätten wir auch übernachten können, wenn auch sicher zu einem leicht höheren Preis als heute Nacht.
Kurz vor Candé geht es steil hoch. Der erste Frühsport ist angesagt. Wieder unten im Dorf angekommen erwartet uns eine bunt geschmückte Brücke über die Beuvron. Ein überdimensionaler blauer Blumentopf ersetzt die sonst übliche Geranienparade, flankiert von zwei Installationen aus Holz, Blisterfolie und noch mehr Plastik. "Kitsch as Kitsch can" denke ich mir. Hinter der Brücke erregt eine Hochwassermarkierung meine Aufmerksamkeit. Dreimal im 19. Jahrhundert überfluteten Loire und Beuvron diese Region, an dieser Stelle mehr als mannshoch.
Chaumont liegt hoch am Hang. Ein Schloss thront über dem Flusstal. Wir freuen uns auf ein Bistro, jetzt wäre ein Café au lait angesagt. Doch ehe wir uns versehen, sind wir an der Reihe der Häuser entlang des Flusses vorbei, ohne ein Bistro gesehen zu haben. Dafür dürfen wir hinter Chaumont wieder einen Berg erklimmen. Es ist schon der dritte Anstieg an diesem Morgen. Oben auf der Höhe erwarten uns gepflegte Weinfelder. Hier gedeiht der Touraine, ein weißer Sauvignon, der im Vergleich zu früheren Jahren an Qualität gewonnen hat. Ein Winzer avisiert auf deutlich sichtbaren Schildern Erfrischung und Kellerbesichtigung. Doch gerade jetzt hat er keine Zeit für durstige Radwanderer. Die Cave bleibt geschlossen. Auch im nächsten Ort lässt man uns im Stich. Alle verfügbaren Einwohner sind am Sportplatz eifrig damit beschäftigt, die Zelte für das das "Fest der gefüllten Tomate" aufzubauen. Für dieses Fest wird sogar eigens eine Fähre ans Nordufer der Loire eingerichtet. Wahrscheinlich eine gute Idee für die Bewohner des kleinen Weilers dort drüben. Dann können sie Weinschoppen auf Weinschoppen geniessen, ohne Angst um den Führerschein haben zu müssen.
Weiter geht es durch schattige Wälder. Wir sind in der Region der berühmten Loire-Schlösser angekommen. Das schloss von Chaumont war zeitweise Sitz des französischen Königs, dem sein Amtssitz in Blois nicht repräsentativ genug war. So als König braucht man natürlich ein paar Abwechselungen von dem harten Regierungsgeschäft. Zu Ersterem zählte seiner Zeit die Jagd. Und da der König, wie schon gesagt, wenig Zeit hat, mussten die Jagdgebiete direkt am Schloss liegen. Es gab viele Schlösser, da nicht nur Könige, sondern auch Grafen, Herzoge, Fürsten und Kardinäle dem Jagen nicht abgeneigt waren. Heute gibt es in Frankreich zwar keinen Adel in Regierungsverantwortung mehr, dafür aber immer noch die großen Wälder rund um die Loireschlösser.
Kurz vor Candé geht es steil hoch. Der erste Frühsport ist angesagt. Wieder unten im Dorf angekommen erwartet uns eine bunt geschmückte Brücke über die Beuvron. Ein überdimensionaler blauer Blumentopf ersetzt die sonst übliche Geranienparade, flankiert von zwei Installationen aus Holz, Blisterfolie und noch mehr Plastik. "Kitsch as Kitsch can" denke ich mir. Hinter der Brücke erregt eine Hochwassermarkierung meine Aufmerksamkeit. Dreimal im 19. Jahrhundert überfluteten Loire und Beuvron diese Region, an dieser Stelle mehr als mannshoch.
Chaumont liegt hoch am Hang. Ein Schloss thront über dem Flusstal. Wir freuen uns auf ein Bistro, jetzt wäre ein Café au lait angesagt. Doch ehe wir uns versehen, sind wir an der Reihe der Häuser entlang des Flusses vorbei, ohne ein Bistro gesehen zu haben. Dafür dürfen wir hinter Chaumont wieder einen Berg erklimmen. Es ist schon der dritte Anstieg an diesem Morgen. Oben auf der Höhe erwarten uns gepflegte Weinfelder. Hier gedeiht der Touraine, ein weißer Sauvignon, der im Vergleich zu früheren Jahren an Qualität gewonnen hat. Ein Winzer avisiert auf deutlich sichtbaren Schildern Erfrischung und Kellerbesichtigung. Doch gerade jetzt hat er keine Zeit für durstige Radwanderer. Die Cave bleibt geschlossen. Auch im nächsten Ort lässt man uns im Stich. Alle verfügbaren Einwohner sind am Sportplatz eifrig damit beschäftigt, die Zelte für das das "Fest der gefüllten Tomate" aufzubauen. Für dieses Fest wird sogar eigens eine Fähre ans Nordufer der Loire eingerichtet. Wahrscheinlich eine gute Idee für die Bewohner des kleinen Weilers dort drüben. Dann können sie Weinschoppen auf Weinschoppen geniessen, ohne Angst um den Führerschein haben zu müssen.
Weiter geht es durch schattige Wälder. Wir sind in der Region der berühmten Loire-Schlösser angekommen. Das schloss von Chaumont war zeitweise Sitz des französischen Königs, dem sein Amtssitz in Blois nicht repräsentativ genug war. So als König braucht man natürlich ein paar Abwechselungen von dem harten Regierungsgeschäft. Zu Ersterem zählte seiner Zeit die Jagd. Und da der König, wie schon gesagt, wenig Zeit hat, mussten die Jagdgebiete direkt am Schloss liegen. Es gab viele Schlösser, da nicht nur Könige, sondern auch Grafen, Herzoge, Fürsten und Kardinäle dem Jagen nicht abgeneigt waren. Heute gibt es in Frankreich zwar keinen Adel in Regierungsverantwortung mehr, dafür aber immer noch die großen Wälder rund um die Loireschlösser.
Wir machen Rast an einem kleinen Wohnplatz hinter Rilly. "Plume de coquelicot" - "Blütenblatt des Klatschmohns". nennt er sich, eine kleine Bio-Wohlfühloase. Unter schattigen Bäumen strecken wir die Füße aus und träumen von der Massage für erschlaffte Radlerwaden, die auf den ausliegenden Prospekten angeboten werden. Leider hat die junge Frau, die gerade die Tomaten gießt, keine Zeit. Sie muss weg. Am Nachbarhaus, eine alte Töpferei, sind wieder Hochwassermarkierungen angebracht. Diese drei Fluten haben sich in das Gedächtnis der Menschen am Fluss eingeprägt.
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Heute ist Berg- und Talbahn angesagt. Wieder geht es den Hang hoch. Oben wird gerade ein Neubaugebiet mit noch unverbautem Blick auf die Loire eingerichtet. Nach dem langen Anstieg ist eine kleine Verschnaufpause angesagt. Die beiden jungen Radler, die vor uns den Berg erklommen haben, steigen derweil wieder auf die Räder. Während unten im Tal der Mais wächst, ziehen sich hier oben ausgedehnte Weinfelder. Wir sind auf einer Hochebene über der Loire. Weit geht der Blick nach allen Seiten. Ein frischer böiger Wind bremst unseren Fahreifer, der heute sowieso nicht so ausgeprägt ist, und eröffnet mir damit die Chance, den Rundblick ausgiebig genießen zu können. "Teilen wir uns die Straße" mahnt ein Hinweisschild Autofahrer und Radfahrer. Vorbildlich, denke ich, auch für Deutschland. Diese Schilder habe ich seit dem ersten Tag häufig gesehen. Mal sitzt ein Radfahrer auf seinem Rad, mal schiebt er es, mal steht das Rad alleine. Aber der Zweck ist immer der Gleiche.
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Obelix was here. Dieter bleibt an einem langen, überdachten Erdhang stehen. Es ist Teil eines gallischen Oppidums, das 400 vor Christus errichtet wurde und bis 50 nach Christus bestand. Wir sind damit in Amboise angekommen. Am Ende der Straße erwartet uns eine Aussichtsplattform über den grauen Dächer der Stadt und dem bewaldeten Tal. Ich lasse den Radler, der gerade die Steigung hoch kommt, durchs Drängelgitter. Dan geht es über den steilen und holprigen Weg, dessen karge Teerdecke noch aus der vorrevolutionären Zeit stammt, direkt ins kleine Schlösschen Clos de Lucé. Dieter hat es mir schon angekündigt, aber irgendwie muss ich es jetzt erst vor Augen sehen. Dies war der Alterssitz von Leonardo da Vinci. Nun ist es aber Zeit für eine Mittagspause, natürlich im Schlossgarten.
Leise streicht der Wind durch die Blätter und bringt den Bäumen das Singen bei. Große Stoffbahnen bewegen sich sanft. Leonardo da Vinci war nicht nur Maler, Wissenschaftler und Konstrukteur, sondern auch Naturliebhaber. Hier konnte er sich einen Garten anlegen, der eigentlich kein Garten, sondern schon ein Park ist. Leonardo lebt schon lange nicht mehr. Aber in diesem Park ist sein Lebenswerk verewigt. Wasserpumpen und Drehbrücken, die er für militärischen Zwecke konstruiert hat, sind hier aufgebaut. Auf den Stoffbahnen sind Teile seiner Werke aufgedruckt, die von ihm erfundenen Tretboote mit Schaufelradantrieb liegen an dem kleinen Teich und an einem Fluggerät mit gut 8 Meter Spannweite hängt eine Puppe beim Versuch, durch die Lüfte zu segeln. Glücklicherweise ist die Konstruktion fest im Museumssaal an der Decke fixiert. Zum Fliegen war das Gerät zu schwer, eher für eine Bruchlandung geeignet. Aber es zeigt, wie sehr sich Leonardo da Vinci von der Natur bei seinen Konstruktionen inspirieren liess. Reve du Vol, der Traum vom Fliegen. Zum Fliegen war die Zeit halt noch nicht reif.
Als wir zurück an unsere Räder kommen, muss ich schallend lachen. Das hat man davon. Kaum lasse ich mein Rad alleine, da bekommt es schon was Kleines.
Als wir zurück an unsere Räder kommen, muss ich schallend lachen. Das hat man davon. Kaum lasse ich mein Rad alleine, da bekommt es schon was Kleines.
In Lussault ist wieder Rast angesagt. Dieter bestellt zwei PERRIER. Warum? Das soll er mit seinen eigenen Worten sagen: " Ich habe entdeckt, dass eiskaltes PERRIER, das man dann noch auf einen Berg von Eiswürfeln gießt, das beste Getränke der Welt ist, jedenfalls für Nachmittags. Ich bestelle gerne 2 Flaschen, schütte mir dann die erste direkt über den Kopf und versuche, die zweite nicht in einem Zug aus zu drinken. Danach fährt man wieder 5 km gut." oder mit meinen Worten ausgedrückt: Es ist wieder lausig heiß.
Frisch gestärkt dürfen wir wieder einen Berg hoch radeln. Langsam wird es für heute genug. Irgendetwas hat sich an der Landschaft verändert.. In Amboise waren die Häuser noch aus grauem Stein. Nun wird es mir klar. Es ist der gelbe Tuffstein, aus dem die Landschaft hier geformt ist. Warm und weich ist er. Das hat die Menschen schon früh angeregt, ihre Wohnungen in den Fels zu bauen, auch heute noch. "Bienvenue en Touraine" begrüßt mich ein Bauernpärchen in alter Tracht. Eigens für die Besucher wurden sie vor eine dieser alten Tuffsteinwohnungen gestellt, um die Radwanderer zur Rast an ihrem Tisch einzuladen. Auf dem letzten Kilometer habe ich viel fotografiert. Dieter ist mir weit voraus, so dass ich auf die Rast verzichte. Außerdem haben wir ja gerade gerastet und unser Tagesziel ist noch etwas entfernt. Also fahre ich weiter, gerade mal einhundert Meter. Dann erregt eine Mauer meine Aufmerksamkeit. Auf ihrer Krone stehen Kaffeekannen, alle aus Blech, sechzig, achtzig, hundert an der Zahl, ich kann es gar nicht überblicken. Wie sagte schon Obelix "Ils sont fous, ces romains." Da kann ich nur antworten " Ils sont fous, ces francaises." Aber angenehm verrückt, das muss ich betonen.
Frisch gestärkt dürfen wir wieder einen Berg hoch radeln. Langsam wird es für heute genug. Irgendetwas hat sich an der Landschaft verändert.. In Amboise waren die Häuser noch aus grauem Stein. Nun wird es mir klar. Es ist der gelbe Tuffstein, aus dem die Landschaft hier geformt ist. Warm und weich ist er. Das hat die Menschen schon früh angeregt, ihre Wohnungen in den Fels zu bauen, auch heute noch. "Bienvenue en Touraine" begrüßt mich ein Bauernpärchen in alter Tracht. Eigens für die Besucher wurden sie vor eine dieser alten Tuffsteinwohnungen gestellt, um die Radwanderer zur Rast an ihrem Tisch einzuladen. Auf dem letzten Kilometer habe ich viel fotografiert. Dieter ist mir weit voraus, so dass ich auf die Rast verzichte. Außerdem haben wir ja gerade gerastet und unser Tagesziel ist noch etwas entfernt. Also fahre ich weiter, gerade mal einhundert Meter. Dann erregt eine Mauer meine Aufmerksamkeit. Auf ihrer Krone stehen Kaffeekannen, alle aus Blech, sechzig, achtzig, hundert an der Zahl, ich kann es gar nicht überblicken. Wie sagte schon Obelix "Ils sont fous, ces romains." Da kann ich nur antworten " Ils sont fous, ces francaises." Aber angenehm verrückt, das muss ich betonen.
Montlouis sur Loire liegt am Ende der Hochebene. Die Gebäude im warmen gelben Tuffsteingewand erzeugen eine angenehme Atmosphäre. Über uns braut sich etwas zusammen. Unter dem Sonnendach einer Patisserie suchen wir Schutz. Die Hitze hat unsere Kehlen ausgetrocknet, die Wasserflaschen sind leer und die Kuchentheke verlockend. Während dicke Tropfen auf das Pflaster fallen und mit einem hörbaren Plopp zerplatzen, entspannen wir und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Montlouis geht direkt ins Stadtgebiet von Tours über. Unten am Fluss kreischen die Möwen. Ein Graureiher wartet geduldig darauf, dass sein Abendessen vorbei schwimmt. Im Steinbruch am gegenüberliegenden Ufer spielt ein Sonnenstrahl mit dem gelben Tuffstein. Vor der Kathedrale von Tours müssen wir uns erst orientieren.
Die gewaltige Gotik der Fassade erschlägt mich regelrecht. Die Menschen davor wirken wie Spielzeugfiguren vor dem Spitzbogen des Eingangstores. Am Marktplatz direkt in der Altstadt haben wir eine Unterkunft gefunden. Ein Sammelsurium von alten Gebäuden säumt den großen Platz, in dessen Mitte man wohl in den sechziger Jahren ein hässliches Ungetüm gebaut hat, die Markthalle. Sie hat gerade noch geöffnet, so dass wir uns mit Kleinigkeiten versorgen können. Heute ist Abendpicknick angesagt, bei mir Melone mit Schinken, bei Dieter Camenbert, Wurst und Brot. Im Hotel dürfen wir uns ins Patio setzen, bekommen sogar noch Teller, Serviette und Messer dazu gestellt. Kühle Getränke gibt es auch, obwohl die Bar geschlossen hat. Das nenne ich guten Service.
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Heute sind wir früh angekommen, die Tagesstrecke betrug gerade mal 73 Kilometer. Gegen 19 Uhr machen wir uns auf in den Kern der Altstadt. Die Geschäfte haben schon geschlossen, die leeren Kartonagen werden für die Müllabfuhr auf die Straße gestellt. Doch um diese Uhrzeit erwacht die Altstadt zum zweiten Mal am Tag. Noch um eine Ecke rum und wir sind da. Gefühlte fünfhundert Meter Tresen an einem Stück, überall sitzen junge Leute, ein Bistro jagd das andere. Das Durchschnittsalter mag gerade mal bei dreißig liegen. Hier ist "chercher la femme" angesagt, die Flaniermeile lebt. Dieter fragt mich plötzlich, wo denn eigentlich die Migranten seien. Hier auf keinen Fall, lediglich die Polizeistreife auf dem Moped ist black and white. Wir sitzen lange da und betrachten die Szenerie. Nicht nur das Kneipenleben macht den Charme von Tours aus, sondern auch die sorgfältig restaurierte Bausubstanz. Im Zweiten Weltkrieg schwer zerbombt, wurden die alten Fachwerkhäuser so gut es ging wiederhergestellt. Wo es nicht möglich war, wurden neue Gebäude dem historischen Stil behutsam angepasst, nicht aufgedrängt. Tours gefällt mir, Tours hat Charme.
Den Blutmond habe ich, ehrlich gesagt, verschlafen. Die mehr als fünfhundert Kilometer der sechs Tage fordern ihren Preis.
Den Blutmond habe ich, ehrlich gesagt, verschlafen. Die mehr als fünfhundert Kilometer der sechs Tage fordern ihren Preis.
Dunkle Wolken stehen im Westen. Wir verlassen Tours durch eine schöne Parkanlage entlang der Cher. Graue Wolken bedecken den Himmel. Vor uns sehe ich Regenschlieren am Himmel. Es dauert nicht mehr lange, dann prasselt es von oben. Tours verabschiedet sich von uns mit einem Regenschauer. Also: Regenkleidung anziehen und weiter geht es. Wir sind nicht alleine im Regen. Heute hat sich mit uns eine ganze Heerschar von Radlern auf den Weg nach Westen gemacht.
Die erste Strecke des heutigen Tages führt entlang der Cher. Sie läuft über viele Kilometer parallel zur Loire, bevor sie sich mit ihr vereint. Am Ufer der kleinen Stadt Savonnières liegen mehrere hölzerne Boote. Es sind Nachbauten von Frachtschiffen, wie sie im Mittelalter benutzt wurden. Zur Verdeutlichung sind sogar Weinfässer auf dem Deck fest geschnallt. Kurz hinter dem Ort erreichen wir die Mündung der Cher. Sie liegt verdeckt hinter einem kleinen Auenwald. Durch eine kleine Lücke erspähe ich sie doch.
"La Levée de Loire", so wird hier der Damm bezeichnet, der die Ortschaften vor der Wasserflut im Frühjahr schützen soll. Auf der Dammkrone verläuft eine kleine Landstraße. Wie schon so oft teilen wir die Strecke jetzt mit den Autofahrern. Es sind zum Glück nicht viele. La Chapelle aux Naux ist einer der vielen kleinen Weiler, wie sie am Ufer liegen. Die Häuser ducken sich hinter dem Damm. Auch hier ist das Mäuerchen zur Loire hin mit bunten Blumen geschmückt. Solche Blumendekorationen mögen die Franzosen wohl ganz besonders.
"Schau mal, eine Ente" ruft mir Dieter zu. Dann höre ich auch das mir wohlbekannte Schnurren des kleinen Motors. Ein blauer 2CV biegt in eine Einfahrt ein. Immer wieder haben wir diese Fahrzeuge auf unserer Reise gesehen. Es gibt sie noch in Frankreich, weitaus mehr als den R4. Der 2CV ist auch in Frankreich zum Kult-Fahrzeug geworden. Wer ihn hat, hegt und pflegt ihn liebevoll.
"Schau mal, eine Ente" ruft mir Dieter zu. Dann höre ich auch das mir wohlbekannte Schnurren des kleinen Motors. Ein blauer 2CV biegt in eine Einfahrt ein. Immer wieder haben wir diese Fahrzeuge auf unserer Reise gesehen. Es gibt sie noch in Frankreich, weitaus mehr als den R4. Der 2CV ist auch in Frankreich zum Kult-Fahrzeug geworden. Wer ihn hat, hegt und pflegt ihn liebevoll.
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Nach einer langen schattenlosen Strecke auf dem Damm taucht vor uns ein Waldstück auf. Zwischen den Bäumen streben die Türme des Chateau d'Ussé in die Höhe. Dieses Schloss aus dem 15. Jahrhundert zählt zu den schönsten und ältesten Schlössern in dieser Region. Gewiss, zu prähistorischen Zeiten gab es solche Bauten noch nicht. Aber zu dieser Zeit begann schon eine Siedlung, welche die Gallier und dann die Römer weiter führten. Bis in die Feudalzeit war Ussé ein wichtiger Ort. Heute sagen sich dort ausserhalb der Touristensaison Fuchs und Hase Gute Nacht.
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Irgendwo im Wald hinter Ussé zweigt der Weg nach Chinon ab. Chinon liegt zwar nicht auf dem direkten Weg nach Saumur, aber Dieter möchte dort zur Statue von Rabelais. Über einen kleinen Anstieg geht es hoch in das schöne Dorf Huismes und gleich dahinter wieder in Schussfahrt bergab. Beinahe hätte ich, wie die Radler vor uns, das Zeichen zum Abzweig hinter einem Zaun übersehen. Nach einhundert Meter bietet uns das kleine Dorf Les Fontaines d'Ozon eine Überraschung. Weiße Zelte stehen auf einem halb abgeernteten Weizenfeld, dazu jede Menge an Landwirtschaftsmaschinen und dazwischen ein kleiner 2CV, an dem sich gerade eine Handvoll Männer abmüht, ihn anzuschieben. Er hoppelt und stockt und hoppelt wieder. Da gerät selbst so mancher der Männer ins Stolpern und mit einer Bruchlandung zwischen den Stoppeln. "Wollen wir oder wollen wir nicht?" ist meine Frage. Nach kurzer Überlegung entscheiden wir uns fürs Wollen. Die Fahrt geht quer über den Acker und die Furchen. Nun kommen auch wir ganz schön ins Hoppeln, aber zum Glück ohne Bruchlandung. Bei den Zelten angekommen sehen wir, dass es sich um ein Fest handelt. Wir mischen uns unter die Männer und Frauen in der Festtracht der Bauern vor hundert Jahren. Es ist Mittagszeit. Klar haben wir Hunger. Dieter holt sich eine Andouillette, während ich am BAckofen geduldig warte, bis wieder kleine warme Brotlaibe auf die Theke wandern. Natürlich darf ich ein Foto vom Bäcker machen, während mir eine Bäuerin mit Strohhut den Verzehrbon verkauft. So ganz in die alte Zeit zurück versetzt sind die Akteure dieses Festes nicht, denn die jungen Mädchen im schicken weißen Sonntagsausgehkleid können auch hier nicht ohne Smartphone.
Gerade, als ich herzhaft in mein Brot beißen will, kommt der 2CV auf die Zeltreihe zu gefahren. Am Steuer sitzt eine Nonne, auf dem Beifahrersitz der Herr Pfarrer. Kaum haben sie die Zeltreihe erreicht, stellt er sich im Wagen auf und benetzt die Besucher mit geweihtem Messwein - aus einer Sprühflasche. Dass es geweihter Messwein sein muss, ist Dieters Interpretation. Ich schließe mich ihm an. Alle lachen und klatschen. Es ist natürlich nicht der Dorfpastor und die Nonne vom Kloster nebenan, sondern zwei Scherzbolde, die nach getaner Weihe ihre bürgerliche Kleidung wieder anlegen, während ein Bardenpärchen uns mit Dudelsackklängen und Ziehharmonikaweisen beglückt.
Gut gestärkt verlassen wir das Fest, Chinon liegt nicht mehr weit. Wieder liegt ein großes Sonnenblumenfeld am Rande der Strecke. Dieter pflückt sich eine kleine Sonnenblumenblüte, die für den Rest des Tages seinen Lenker schmückt, Ehrensache für ihn als grünen Aktivisten. |
Gerade, als ich herzhaft in mein Brot beißen will, kommt der 2CV auf die Zeltreihe zu gefahren. Am Steuer sitzt eine Nonne, auf dem Beifahrersitz der Herr Pfarrer. Kaum haben sie die Zeltreihe erreicht, stellt er sich im Wagen auf und benetzt die Besucher mit geweihtem Messwein - aus einer Sprühflasche. Dass es geweihter Messwein sein muss, ist Dieters Interpretation. Ich schließe mich ihm an. Alle lachen und klatschen. Es ist natürlich nicht der Dorfpastor und die Nonne vom Kloster nebenan, sondern zwei Scherzbolde, die nach getaner Weihe ihre bürgerliche Kleidung wieder anlegen, während ein Bardenpärchen uns mit Dudelsackklängen und Ziehharmonikaweisen beglückt.
Gut gestärkt verlassen wir das Fest, Chinon liegt nicht mehr weit. Wieder liegt ein großes Sonnenblumenfeld am Rande der Strecke. Dieter pflückt sich eine kleine Sonnenblumenblüte, die für den Rest des Tages seinen Lenker schmückt, Ehrensache für ihn als grünen Aktivisten.
Gut gestärkt verlassen wir das Fest, Chinon liegt nicht mehr weit. Wieder liegt ein großes Sonnenblumenfeld am Rande der Strecke. Dieter pflückt sich eine kleine Sonnenblumenblüte, die für den Rest des Tages seinen Lenker schmückt, Ehrensache für ihn als grünen Aktivisten.
Wow, meine Ente! Knallrot steht er vor mir. Da geht mein Herz auf. Genau den hatte ich in meiner Studienzeit. Doch als ich ihn mir näher anschaue, kommt die Überraschung. Aus der Ente ist ein kleiner Lieferwagen geworden. Ingrid spricht mich von hinten an. Ihr gehört der Wagen. Sie erklärt mir, wie sie ihn mit ihrem Mann umgebaut hat. Das Vorderteil ist weitgehend original, der Motor natürlich auch. Aber schon die Türen mussten an das Hinterteil angepasst werden. Ich erzähle ihr, dass der 2CV in Deutschland ein Kult-Auto geworden ist. Ja, sagt sie, in Frankreich inzwischen auch. Sie ist gerade von einem Treffen der Freunde des 2CV irgendwo in Frankreich zurück gekommen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie von 1000 Fahrzeugen gesprochen.
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"Klau mir nicht meine Kürbisse" scheint der Typ zu sagen und seine Frau mit dem roten Halstuch schaut grimmig zu, während ich die beiden hinter dem Schutz des Zaunes ablichte. Für den Kürbis hätte ich auch gar keinen Platz in meinen Gepäcktaschen, für das lustige Foto schon.
In Candes Saint-Martin mündet die Vienne in die Loire. Am Südufer rückt der Hang so eng an den Fluss, dass kaum Platz für Straße und Häuser bleibt. Doch Menschen sind kreativ. Von vielen Häusern sind nur die Fassaden gemauert, die Zimmer sind in den weichen Tuffstein eingegraben. In Souzay geht eine steile Rampe hoch. Durch ein Portal kommen wir in die Oberstadt, wie es so schön heißt. Durch den Fels sind kurze Straßenstücke gebohrt, um zu den Häusern zu kommen. Dort, wo sich die Sonne hin verirrt, leuchtet der Stein in warmem Gelb. Schade, dass ich nicht in solch ein Haus hinein kann. Sicher ist es dort drinnen angenehm kühl an diesem heißen Tag. |
Nicht nur Menschen leben hier. Auch eine Weinkellerei weiß in der konstanten Höhlentemperatur ihr Getränk in sicheren Händen. Als Cave, als Höhle, wird eine Weinkellerei oft in Frankreich bezeichnet. Meist ist es aber nur eine Halle, in der der Wein gelagert wird. Hier wird die Cave jedoch ihrem Namen gerecht. Wir bewegen uns hier übrigens auf dem Null-Grad Meridian. Etwas weiter nördlich liegt Greenwich. Ich muss meine Geographiekenntnisse jetzt korrigieren, habe ich Greenwich bislang doch viel weiter westlich gesehen. Dieter darf ein Foto von mir machen.
Nach 94 Kilometer erreichen wir Saumur, unser Tagesziel. Das Schloss liegt auf einem Felssporn. Dieter möchte gleich zu unserer Unterkunft streben, doch mich ziehen die drei 2CVs auf dem kleinen Platz vor dem Kloster an. Ein Schar junger Männer und Frauen baut dort gerade das Abendpicknick auf. Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass sie "Freunde des 2CV" sind und sich hier immer wieder mal treffen. Zum Abschied wünschen sie uns noch eine gute Weiterreise bis zum Meer. In der Innenstadt wird gerade der Markt abgeräumt. Es ist eng zwischen den Ständen, da schiebe ich lieber mein Rad. Hinter dem Dach aus vielen bunten Regenschirmen finden wir schließlich unser Hotel.
Der Abschied aus Saumur findet bei strahlend blauem Himmel statt. Eine schmale Brücke führt über einen kleinen Fluss, dessen Namen ich vergessen habe. Zwei Rentner stehen am Geländer und beobachten mich. Plötzlich spricht mich einer der beiden an. "Das ist ja ein Elektrorad. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?" Und schon sind wir im Gespräch. "Ja", meint einer zum Schluss, "Ich wünsche mir auch eins. Gerade am Berg ist es schon eine gute Assistenz." Das kann ich nur bejahen. Ein "Bonjour" zum Abschied, und weiter geht es entlang der Tuffsteinfelsen. Linker Hand liegt das "Museum der Champignons" So früh am Morgen ist es noch geschlossen. Aus der dunklen Höhle weht ein kalter Hauch.
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Fünfzehn Kilometer zieht sich die Tuffsteinwand entlang der Loire. Die Häuser sind gepflegt. Ab und zu zeigen sich die Türmchen eines kleines Schlosses oder gar der Turm einer alten Festung wie in Tréves. Es ist Sonntagmorgen. Wir können gemütlich auf der Landstraße radeln, kein Automobilist stört uns. Die Möwen kreischen über dem Fluss, wenn sie sich mal wieder um einen Fang streiten.
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"Haste mal nen Euro?" fragt mich Dieter. Natürlich habe ich. Wir stehen vor einer Blechkiste ähnlich groß wie einer unserer Altkleidercontainer. Er drückt auf einen Knopf "Choisissez votre produit" - "Wählen sie ihr Produkt" hören wir die junge Frau sagen, deren Konterfei auf dem Blechkasten prangt. Dieter wählt das Croissant. Es kostet ein Euro. " Tirez votre carte de crédit à travers" - "Ziehen Sie Ihre Kreditkarte durch". Wie bitte? Kreditkartenzahlung für einen Euro? Ich suche den Schlitz für das Münzgeld, vergebens. "Ich helfe Ihnen", sagt der Vater, dessen kleiner Bub gerade angeschlenzt kommt, und zieht seine Kreditkarte durch. Mit einem Plupp fällt das Croissant in die Auffangschale. Das ist der Fortschritt in französischen Dörfern. Noch kommt vielerorts der Bäcker mit seinem Verkaufswagen. Da wird dann ein Plausch gehalten und Neuigkeiten ausgetauscht. Hier im Ort bestückt der Bäcker frühmorgens nur noch den Automaten mir drei verschiedenen Backwaren. Dieter will aber mehr. "Ich möchte jetzt bitte noch einen Kaffee", sagt er zur Automatenbäckerin. Sie antwortet ihm nicht, schämt sich vielleicht, weil sie es - noch - nicht im Angebot hat.
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Dafür antwortet der Anwohner, der sich gerade sein Frühstücksbaguette aus dem Automaten zieht: "Den Kaffee gibt es bei mir. Ich lade Sie ein." Welch eine Überraschung, wir nehmen gerne an. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Cyril und Salomè, die uns jetzt mit einem frischen duftenden Kaffee bewirten.
Der Kaffee hat uns gestärkt für den Anstieg der nun folgt. Auf der Höhe geht es durch einen lichten Wald, vorbei an einem See, an dem sich gerade ein Dutzend Angler für den Rest des Tages bequem machen. Ihre Frauen schleppen körbeweise das Picknick herbei und die Kinder turnen schon an Spielgeräten. Der kleine Ausflug auf den Berg endet wieder an der Loire. Breit ist sie an dieser Stelle, große Sandbänke zieren ihren Lauf. Dieser Abschnitt heute zählt zu den schönsten auf unserer bisherigen Reise.
Langsam braut sich über uns etwas zusammen. Die Farbe des Himmels wechselt von strahlend Blau über ein dunkelgraues Blau in drohendes Schwarz. Doch es zieht vor uns vorbei gen Norden. Die Böen und der Gegenwind machen uns dennoch das Leben beim Radeln schwer. Der Radweg wird jetzt weg vom Flussufer geführt. Durch weite Felder und kleine Dörfer fahren wir. Irgendetwas ist anders, geht es mir durch den Kopf. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Schiefer! Ältere Bauernhäuser sind aus Schieferplatten gebaut. Gerade kommt vor mir eins, das zwar renoviert ist, aber der Schiefer ist erhalten geblieben. Wo kommt nur dieser Schiefer her? Die letzten 50 Kilometer gab es doch nur Tuffstein.
"Ich gehe mal in den Boule-Club dort drüben und schaue, ob es etwas zu trinken gibt." sagt Dieter und verschwindet. Ich stehe vor einer kleinen Kapelle, die sich durch ihre Bauweise und Anlage in einem kleinen Park von den übrigen Häusern hervorhebt. Der Abt Tronchon baute diese Kapelle als Dank für eine Wunderheilung, die ihm Ende des 19. Jahrhunderts widerfahren ist. Einige Jahrzehnte war die Kapelle ein beliebter Pilgerort. Seit dem 1. Weltkrieg ist es ruhig um sie geworden.
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Ich folge Dieter und werde gleich gefragt, was ich trinken möchte. Eine Handvoll Männer sitzen am Tisch, hinter ihnen eine Glaswand, die den Raum von einer grünen Boulebahn abtrennt. Doch es ist nicht das Boule-Spiel, das jeder von uns kennt. Einer der Männer lädt uns ein, in den Raum zu kommen. Einen Moment sagt er und kommt alsbald mit einer ungewöhnlichen Kugel wieder. Eigentlich ist es ein Rad, etwa 20 Zentimeter im Durchmesser mit Eisen auf der Lauffläche beschlagen. Eine der beiden Seiten ist schwerer als die andere. "Schaut her" sagt er und legt die Kugel sachte auf die Bahn auf. Wie von Geisterhand angetrieben rollt sie im Zeitlupentempo auf eine weiße Kugel am gegenüber liegenden Ende der Bahn zu. "Sie muss ganz nahe bei der weißen liegen bleiben" erklärt er uns. Dann dürfen wir auch mal probieren. Eineinhalb Kilo ist die Kugel schwer. Kaum zu glauben, dass man damit gezielt in die Nähe der weißen Kugel kommen kann. Irgendwie habe ich zu viel Kraft, denn die Kugel knallt an die Bande am Ende der Bahn. Zum Glück wird sie von einem dicken Seil abgefedert. "Sachte, sachte" lacht mein Trainer und gibt mir noch eine Chance. Eine junge Frau, die ich anfangs nicht bemerkt hatte, macht ein paar Fotos von uns. Auf meine Bitte hin schickt sie mir die Fotos gleich über WhatsApp. Auch hier wieder ein Dankeschön. Vielleicht hört sie es ja im fernen La Bohalle. Dieser Ort gilt als Hochburg dieses Sports. Gleich drei Sportvereinigungen gibt es hier. Sie haben lustige Namen: "Pflüger", "Hoffnung" und "Vereinigte Freunde". Die Männer von einem Dutzend weiterer Vereine rund um und auch in Angers widmen sich diesem Sport, den seit 1970 auch Frauen ausüben dürfen. Das Eigentümliche bei den Spielen ist, dass diejenigen, die sich nicht gerade mit der Kugel abmühen, sich dem Kartenspiel und dem Wein von Anjou widmen. "Boule de Fort" nennt sich dieses Spiel. Beim Verlassen der Bar sehe ich noch ein Plakat, auf dem ein Schreiner die von ihm hergestellten Kugeln anbietet. 200 Euro kostet solch ein Teil aus Holz, in Plastik ist es 40 Euro günstiger. Wir verabschieden uns mit dem Versprechen, dass wird den Sport gerne in Erlensee einführen werden.
Wo bitte geht es nach Angers? Etwas ratlos stehen wir vor unserer Karte. Drei Routen werden angeboten, doch welche ist die empfehlenswerte. Eine Radlerin in unserem Alter sieht unsere fragenden Gesichter und bietet uns ihre Hilfe an. Die Landstraße, meint sie, sei sehr befahren, aber es sei Sonntag und der ist verkehrsarm. Man könne auch durch den Park des Ardoisières fahren und die dritte Route entlang der Loire und dann die Maine hoch. Wir entscheiden uns für die Landstraße. Es ist die kürzeste Route. Der starke Gegenwind hat uns heute viel Kraft abverlangt.
Schon nach drei Kilometern stoßen wir wieder auf den ausgeschilderten Radweg und sind plötzlich mitten im Parc des Ardoisières. Den Begriff kannte ich bislang nicht, das Wort für die schwarzen Platten, die am Eingang des Parks stehen, durchaus: Schiste, Schiefer. Wir sind mitten in der alten Schiefermine von Trélazé gelandet. Gleise einer Schmalspurbahn führen ins Nichts, Birken wachsen zwischen den Schienen. Die beiden Lokomotiven stehen stumm, ihre Räder drehen sich seit langem nicht mehr. Seit dem 15. Jahrhundert wird hier Schiefer abgebaut, anfangs im Tagebau, später auch unter der Erde, wie das rostige Gerüst des alten Förderturms beweist. Mitten in die Mine hat die Gemeinde eine große Sportarena gesetzt. Über einen großzügig ausgebauten Verkehrskreisel ist sie zu erreichen. Wenn heute noch Schiefer abgebaut wird, dann nicht in diesem Park.
Durch triste Vorstadtsiedlungen und Gewerbegebiete erreichen wir das Zentrum von Angers. Es gibt ein paar große Produktionsfirmen. Das bekannteste Produkt ist der Orangenlikör Cointreau. Das alte Zentrum überrascht uns mit wunderschönen Fachwerkhäusern. Sie sind über und über mit geschnitzten Figuren geschmückt. Wieder muss mein Fotoapparat Schwerstarbeit leisten. Er freut sich, als Dieter das Signal zur Weiterfahrt gibt.
Es ist nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel. Unten am Ufer der Maine blicke ich zurück: graue Festung, grauer Schiefer, grauer Himmel. Und am Fuß der Festung zeigt sich der Kulturverfall in Frankreich. "I love Angers" steht in großen Lettern auf der Mauer. Noch vor zwei Jahrzehnten hätte man dort lesen können "J'aime Angers". Wo ist nur der Stolz der Franzosen auf ihre Sprache geblieben?

Wir verlassen Angers über ihre Zuckerseite. Ein großer See breitet sich am Ufer der Maine aus. Im Freizeitpark tummeln sich Kinder und Rentner, mit geblähten Segeln jagen kleine Boote über das Wasser. Hier scheinen die Einwohner der Stadt zu sein, die wir in der leeren Innenstadt vermisst haben. Der Radweg mündet in einen grünen Tunnel, dem wir kilometerweit folgen. Die im Reiseführer angekündigte Fahrradwaschanlage haben wir in Bouchemaine nicht gefunden, dafür aber eine Heerschar von Radfahrern, die uns bis ins Zentrum von La Pointe begleiten. Hier, am Zusammenfluss von Maine und Loire, sind wir plötzlich einsam und allein auf dem Anstieg hoch zu dem Wein von Anjou, der auf der Höhe gedeiht. Eine Windmühle überrascht mich ebenso wie der Blick auf die Spitze der Kathedrale von Angers weit im Norden. Nicht lange kann ich den Blick in die Ferne genießen, denn schon geht es wieder in Schussfahrt ins Tal. Unten begrüßen uns die anderen Radwanderer. Mir schwant, dass wir mal wieder einen Abzweig verpasst haben. Das war wohl die Pointe.
Die Eisenbahnstrecke ist unser letzter Begleiter an diesem Tag. Immer wieder jagen TGVs und Regionalzüge in beide Richtungen vorbei. Die Strecke ist viel befahren. Nach rund 80 Kilometern erreichen wir unsere Unterkunft, ein Chambre d'hote im Anbau eines Mini-Schlosses. Doch das Schloss selbst ist nicht die positive Überraschung, sondern die Antiquitätensammlung unserer Gastgeberin Laure. Liebevoll sind Haus und Garten dekoriert.. Wir können wählen, ob wir im Haus oder im Bungalow im Garten übernachten wollen. Die Entscheidung fällt fürs Erstere. Vor dem Bungalow speisen wir heute zünftig französisch mit Baguette, Camenbert und Landwurst. Ich notiere mir die letzten Erlebnisse des Tages in meiner Kladde, bevor ich den Tag beende.
Der Morgen begrüßt mich mit Nieselregen. Es ist kühler als gestern, aber nicht kalt. Unsere Gastgeberin Laure verwöhnt uns mit einem wunderbaren Frühstück und zeigt uns dann den kürzesten Weg unter der Bahnstrecke hindurch an die Loire. Es ist die vorletzte Etappe und der Atlantik schickt uns schon seinen Ruf voraus: Es ist arg windig. Regenwolken hängen am Himmel und hüllen die Loire in einen feinen Dunst. Den Fischer am Ufer lässt es ebenso wenig beeindruckt wie mich. Ich schätze die Abkühlung nach den heissen Tagen. Gegen den Nieselregen hilft "Augen zu und durch". Wir treffen auf deutlich weniger Radwanderer als die letzten Tage. Der Radtourismus an der Loire konzentriert sich wohl vor allem auf die Strecke zwischen Blois und Tours.
Wieder mal heißt es absteigen und Rad schieben. Der Weg unter der Brücke nach Chalonnes führt über scharfkantiges und grobes Pflaster. Das mag ich ganz und gar nicht. Immerhin haben die Radwegeplaner daran gedacht, ein Hinweisschild aufzustellen, das mich rechtzeitig zum Schieben animieren soll. Hinter der Brücke lädt uns der Wirt mit einer Schiefertafel zur Rast ein. Er betont, dass sein Fleisch französischen Ursprungs sei. Für ein Mittagessen ist es aber noch zu früh. Kurz vorher hat sich die Loire in drei Arme verzweigt. Nach Chalonnes kommt also nur, wer bis drei zählen kann. Vor der dritten Brücke knickt der Radweg ab und folgt dem Verlauf der Insel.
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"Stopp Papa!" ruft ein gut 16 jähriges Mädchen, doch Papa radelt weiter. Irgendwie hat sie sich dann aber doch durchgesetzt und kommt mit der Familie auf dem Rad zurück. Ihr Interesse gilt dem Café, vor dem auch wir überrascht stehen: "Lenin Café" steht dort in großen Lettern und derselbe sitzt tönern mit einer Dame auf der Bank davor. Es hat aufgehört zu regnen, doch immer noch stehen die grauen Wolken drohend über dem Fluss. Auf einem alten Ruderboot steht ein Turnschuh. Wer mag ihn verloren haben. |
Kurz vor Montjean endet die Insel und wir müssen ans rettende Südufer. Ein seltsames Bauwerk dominiert das Stadtbild. So oft ich auch hin sehe, schaut mich ein Emoji an, so ein Smiley aus dem Internet. Für eine mittelalterliche Burg sieht es zu neu aus und auch die Konstruktion in der Form einer Brücke passt nicht dazu. Das macht mich neugierig. Eine Infotafel gibt mir Auskunft. Rund um den Turm gibt es mehrere Brennöfen für Kalk. Zum Kalkbrennen braucht man Kohle. Sie war hier vorhanden, in 175 Meter Tiefe. Dieses Bauwerk war der Förderturm.
Montjean kann aber auch andere Sehenswürdigkeiten aufweisen. Die Landschaftskulisse von Montjean animierte schon den Landschaftsmaler William Turner. Warum nicht auch moderne Künstler in die Stadt holen. Am Ufer der Loire findet sich jetzt eine ganze Kollektion moderner Kunst wie das Schrottkrokodil des Künstlers Douglas Wong Aguire, das am Wegesrand vor mir sein Maul aufreisst, als wolle es mich verschlucken. Aperopos verschlucken, jetzt ist Zeit für ein zweites Frühstück. Vor einer Patisserie im Ort stehen schon viele schwer bepackte Fahrräder. Die Kuchentheke lockt auch mich. Ich will es nicht verschweigen: Flan gehört zu meinen Lieblingsspeisen.
Eine stabile Brücke aus der Blütezeit des Gusseisens führt mich nach Ingrandes. Heute ist Brückenhopsen angesagt, so scheint es mir. Der Radweg wechselt immer wieder von einer Seite der Loire auf die andere. Diesmal führt er mich zu einem kleinen Schlösschen, das reizvoll am Ortsausgang steht. Wieder einmal begleitet uns die Eisenbahn viele Kilometer weit. Die Brücke von Ancenis wird mir in Erinnerung bleiben. Solch eine Holperstrecke habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Die weitere Strecke führt durch den Gemüsegarten von Nantes. Grüne Schläuche ziehen sich über Hunderte von Metern. Nein, hier wird kein Plastik angebaut, sondern Salat und Co.
Ein warmer Wind treibt die Wolken über den Himmel. Neben dem Wind zeigt nun auch die Loire, dass wir uns dem Atlantik nähern. Ein altes Fischerboot liegt im nassen Schlamm. Ebbe und Flut wirken bis 100 Kilometer in den Lauf der Loire hinein. Und nun fängt es an zu regnen. Schnell die Regenjacke angezogen, um dann festzustellen, dass sie gar nicht mehr wasserdicht ist. Selten ist die Freude so groß, als jetzt, wo die Sonne sich wieder in den Pfützen spiegelt. Doch Sonne und Regen treiben ein Spiel mit mir. Mal zeigt sich die eine, mal der andere. Auf der Brücke nach Mauves kämpfe ich mit schwerem Seitenwind. Da muss die höchste Stufe der Elektrounterstützung helfen.
Ein warmer Wind treibt die Wolken über den Himmel. Neben dem Wind zeigt nun auch die Loire, dass wir uns dem Atlantik nähern. Ein altes Fischerboot liegt im nassen Schlamm. Ebbe und Flut wirken bis 100 Kilometer in den Lauf der Loire hinein. Und nun fängt es an zu regnen. Schnell die Regenjacke angezogen, um dann festzustellen, dass sie gar nicht mehr wasserdicht ist. Selten ist die Freude so groß, als jetzt, wo die Sonne sich wieder in den Pfützen spiegelt. Doch Sonne und Regen treiben ein Spiel mit mir. Mal zeigt sich die eine, mal der andere. Auf der Brücke nach Mauves kämpfe ich mit schwerem Seitenwind. Da muss die höchste Stufe der Elektrounterstützung helfen.
Nantes begrüßt uns gleich zweisprachig "Nantes - Naoned". Wir sind in der Bretagne angekommen. Auf den Radwegeschildern sind jetzt innerstädtisch keine Kilometerangaben mehr, sondern Minutenangaben bis zum Ziel.
Von der Loire aus folgen wir ihrem Nebenfluss, der Erdre, bis ins Stadtzentrum. Am alten Fabrikgelände von "Lu", bekannt für seine kleinen Butterpäckchen und süßen Plätzchen, verschwindet er in einem Tunnel. Darüber braust die Eisenbahn. Wir lassen uns den Weg in unser Hotel erklären. Eigentlich ist er ganz einfach. Wir müssen nur der grünen Linie auf dem Pflaster folgen. Und tatsächlich, wir stehen alsbald vor unserem Hotel. 87 Kilometer zeigt der Tacho heute an.Zu diesem Hotel möchte ich mal wieder Dieter sprechen lassen: "Unser Hotel ist das billigste der Stadt, liegt in der engsten Altstadtgasse, hat erstaunlicherweise einen Stern, immerhin, wohl für die Lage, und die Fahrräder dürfen im Frühstücksraum stehen. Mal sehn, ob sie morgen noch da sind. Am nächsten Morgen: ja, die Räder waren ordentlich an die Seite geräumt und nahmen ein Drittel des Frühstücksraumes in Anspruch. Was aber dennoch genug Platz ließ für das „Petit“ Dejeuner (2 x 5 g Marmelade, 1 Croissant, 1/6 Baguette). Und für ein halbes Dutzend junger afrikanischer Männer."
Von der Loire aus folgen wir ihrem Nebenfluss, der Erdre, bis ins Stadtzentrum. Am alten Fabrikgelände von "Lu", bekannt für seine kleinen Butterpäckchen und süßen Plätzchen, verschwindet er in einem Tunnel. Darüber braust die Eisenbahn. Wir lassen uns den Weg in unser Hotel erklären. Eigentlich ist er ganz einfach. Wir müssen nur der grünen Linie auf dem Pflaster folgen. Und tatsächlich, wir stehen alsbald vor unserem Hotel. 87 Kilometer zeigt der Tacho heute an.Zu diesem Hotel möchte ich mal wieder Dieter sprechen lassen: "Unser Hotel ist das billigste der Stadt, liegt in der engsten Altstadtgasse, hat erstaunlicherweise einen Stern, immerhin, wohl für die Lage, und die Fahrräder dürfen im Frühstücksraum stehen. Mal sehn, ob sie morgen noch da sind. Am nächsten Morgen: ja, die Räder waren ordentlich an die Seite geräumt und nahmen ein Drittel des Frühstücksraumes in Anspruch. Was aber dennoch genug Platz ließ für das „Petit“ Dejeuner (2 x 5 g Marmelade, 1 Croissant, 1/6 Baguette). Und für ein halbes Dutzend junger afrikanischer Männer."
Am frühen Morgen ist es in der Gasse vor dem Hotel noch ruhig. Der Pizzalieferant von UBER hat seine Tasche wieder mit genommen. UBER vermittelt nicht nur Fahrdienste, sondern auch Fastfood, wie ich jetzt zum wiederholten Mal auf dieser Reise feststelle. Der Metzger hat die Rollläden hoch gezogen. Der Schweinskopf an der Fassade hat, so wie seine Kolleg*innen neben ihm, seine Frisur noch nicht ordentlich gerichtet.
Nun lernen wir auch den Sinn der grünen Linie kennen. Er führt in einer Schleife durch die gesamte Innenstadt. "Le voyage à Nantes ", "der Ausflug nach Nantes" heißt der Rundweg und führt uns zu diversen Objekten aus Kunst und Stadterneuerung. Gleich das erste Kunstwerk steht neben dem Hotel auf dem mittelalterlichen Marktplatz: "Der Schritt zur Seite" von Philippe Ramette. Ich muss erst genau hinschauen, um zu erkennen, dass ich nicht einer optischen Täuschung aufgesetzt bin. Die Statue steht tatsächlich mit einem Bein wie selbstverständlich in der Luft. Das nächste, was ich auf dem Weg entlang der grünen Linie sehe, gehört sicher nicht zur offiziellen Präsentation der "Voyage à Nantes". Es ist ein Flüchtlingscamp mitten in der Stadt. Es sind diejenigen, denen die Stadtverwaltung keinen Hotelgutschein gegeben hat, wie den jungen afrikanischen Männern in unserem Hotel. Am Rande der Zeltstadt waschen sich einige, andere gehen dem Gebet nach. Solch ein Bild ist für mich verstörend. Gibt es denn keine andere Unterkunftsmöglichkeiten in der Stadt oder soll das Zeltlager abschreckend wirken?
Nun lernen wir auch den Sinn der grünen Linie kennen. Er führt in einer Schleife durch die gesamte Innenstadt. "Le voyage à Nantes ", "der Ausflug nach Nantes" heißt der Rundweg und führt uns zu diversen Objekten aus Kunst und Stadterneuerung. Gleich das erste Kunstwerk steht neben dem Hotel auf dem mittelalterlichen Marktplatz: "Der Schritt zur Seite" von Philippe Ramette. Ich muss erst genau hinschauen, um zu erkennen, dass ich nicht einer optischen Täuschung aufgesetzt bin. Die Statue steht tatsächlich mit einem Bein wie selbstverständlich in der Luft. Das nächste, was ich auf dem Weg entlang der grünen Linie sehe, gehört sicher nicht zur offiziellen Präsentation der "Voyage à Nantes". Es ist ein Flüchtlingscamp mitten in der Stadt. Es sind diejenigen, denen die Stadtverwaltung keinen Hotelgutschein gegeben hat, wie den jungen afrikanischen Männern in unserem Hotel. Am Rande der Zeltstadt waschen sich einige, andere gehen dem Gebet nach. Solch ein Bild ist für mich verstörend. Gibt es denn keine andere Unterkunftsmöglichkeiten in der Stadt oder soll das Zeltlager abschreckend wirken?
Nun kommen wir auf das alte Werftgelände. Dort, wo bis Ende der 80er Jahre gebaut und gehämmert, genietet und geschweißt wurde, entwickelt die Stadtverwaltung gerade ein Kultur- und Freizeitgelände. Gleich am Anfang steht die große Werfthalle. "Les Machines de L'Ile" steht in großen Lettern über der Halle. Darunter wartet ein Elefant auf seinen Auftritt.
Nantes ist die Geburtsststadt von Jules Verne. Als Auto von Reise- und Abenteuerromanen mit Sciencefictionanteil bekannt, nahm er mit viel wissenschaftlicher und technischer Intuition manche später realisierte Entwicklung vorweg, so Wikipedia. Das liest sich schön, ist aber auch so. Er ließ sich dabei auch von Naturforschern beraten. Francois Delarozière und Pierre Orefice sind in seine Fussstapfen getreten. Sie kommen aus der Welt des Straßentheaters. Inspiriert wurden sie auch von Leonardo da Vinci, der ja nicht allzu weit von hier seinen Lebensabend verbracht hat. Doch sie schreiben nicht, sondern setzen ihre Ideen in Maschinen um. Beide sind Kunstschaffende, die im Rahmen der Stadterneuerung dieses Projekt umsetzen. Eben setzt sich der Elefant in Bewegung. Langsam hebt er zwei Füße und setzt sie weiter vorne wieder auf. Im gleichmäßigen Gang bewegt er sich aus der Halle heraus. Zwölf Meter ist er hoch und kann 50 Besucher mit sich tragen. Beine, Rüssel und Körper sind in Holz gekleidet, die Ohren aus Leder. Der Rüssel hebt und senkt sich und ehe sich die Zuschauer am Rande versehen, besprüht er sie mit einem Wassernebel. Ich renne nicht davon. Es ist erfrischend an diesem Morgen. Er geht weiter in Richtung des großen Karussells, das weiter hinten steht. Große phantasievolles Meeresgetier à la Jules Verne bevölkern das Karussell. Überall stehen Menschenschlangen, um mit dem Elefanten oder dem Karussell fahren zu können. Na ja, man fährt zwar nicht mit dem Elefanten, aber eigentlich doch, denn er wird von einem riesigen Traktor voran getrieben. Mich überrascht die Natürlichkeit, mit der er sich bewegt. Seine beiden Konstrukteure haben wochenlang den Bewegungsablauf von Elefanten studiert, um ihn dann in ihrer Konstruktion umzusetzen. So haben sie die Spur von Jules Verne aufgenommen und wandeln in ihr weiter. In Abwandelung eines bekannten Spruches aus der Antike sage ich: "Leser, kommst du nach Nantes, so gehe in die "Les Machines de L'Ile" und schaue, was auch ich dort gesehen habe."
An der "Les Machines de L'Ile" treffen wir wieder die junge Engländerin von gestern. Sie ist mit ihrem Fahrrad in Norwich gestartet und will bis an die Algarve. Als Dieter hört, dass sie Engländerin ist, wechselt er sofort die Sprache. Doch sie meint nur lakonisch, hier in Frankreich spreche sie nur Französisch. Für eine Engländerin spricht sie diese Sprache ausgezeichnet. Wir wünschen ihr viel Glück und Erlebnisse. Sie hat noch eine weite Strecke vor sich. Chapeau!

Wir lassen Nantes an der Autobahnbrücke hinter uns und staunen über den Koch, der auf kreative Art seine alten Töpfe verwendet. Würde hier in Deutschland jemand seine Töpfe an die Hauswand nageln, dann würde er wahrscheinlich für verrückt erklärt werden. Nicht so in Frankreich. Nur bei Regen mag sich vielleicht der eine oder andere Nachbar aufregen. Aber das legt sich dann wieder. Kilometerweit zieht sich eine Industriebrache entlang der Loire. Der Niedergang der Werftindustrie hat seine Spuren hinterlassen.
Zwischen Nantes und Saint Nazaire zieht sich eine weitere Kette von Kunstwerken. "Estuaire" - "Mündung" wird sie bezeichnet. Da steht ein Haus im Wasser, scheint zu versinken, da wird ein "Jardin Étoilé" in einer Mischung aus Altholzverwertung und Hochbeeten angelegt, oder ein überdimensionaler Seeigel scheint auf den Kai gesprungen zu sein.
Bei Pellerin wechseln wir wieder das Ufer. Die Fähre ist kostenlos. Pferde und ihre Reiter müssen, so das Piktogramm auf dem Boden, die gleiche Spur benutzen, wie Fußgänger und Radfahrer. Kann ganz schön eng werden.
Zwischen Nantes und Saint Nazaire zieht sich eine weitere Kette von Kunstwerken. "Estuaire" - "Mündung" wird sie bezeichnet. Da steht ein Haus im Wasser, scheint zu versinken, da wird ein "Jardin Étoilé" in einer Mischung aus Altholzverwertung und Hochbeeten angelegt, oder ein überdimensionaler Seeigel scheint auf den Kai gesprungen zu sein.
Bei Pellerin wechseln wir wieder das Ufer. Die Fähre ist kostenlos. Pferde und ihre Reiter müssen, so das Piktogramm auf dem Boden, die gleiche Spur benutzen, wie Fußgänger und Radfahrer. Kann ganz schön eng werden.
Eine Schleuse führt in den stillgelegten Canal de la Martinière. Oben fliesst ein Segelboot über die Mauer so wie eine Uhr von Dali. Wieder ein Kunstwerk der "Estuaire", diesmal von Erwin Wurm. Nun geht es 15 Kilometer schnurgerade den Kanal entlang. Wo bitte geht es zum nächsten Schatten, denke ich bisweilen. Unter einem schattigen Baum, direkt hinter dem Beginn des Kanals, stand eine Bank, darüber ein Schild "Pause". Genau die wünsche ich mir jetzt herbei.

Palmboeuf ist schon ein verrückter Name für eine Stadt. Wie der wohl zustande gekommen ist. Wir müssen eine Zwangspause einlegen. Dieter hat ein kleines Problem mit seinem Schutzblech. Nachdem der Reifen wieder rund laufen darf, suchen wir ein Bistro. Eine Patisserie bietet sich an. In der Nähe gibt es zwei Häuser mit einer verrückten Fassade. Treibholz, alte Stühle, Möbelteile, alles schön sauber auf die Fassade montiert, da lacht doch Dieters Herz.
Auf der gegenüberliegenden Seite reiht sich eine Raffinerie an die andere. Große Ozeantanker liegen dort und lassen sich leer saugen. Auf unserer Seite stehen Fischerhütten auf hohen Stelzen im Wasser. An einem langen Ausleger hängt ein großes Netz. Ich argwöhne, dass hier bei Flut das Netz ins Wasser gelassen wird. Ein langer Steg führt zu den Hütten, die Tür mit einem Schloss gesichert.
Welch ein Bild: In einem weiten S-Bogen spannt sich eine Brücke über die Loire. Es ist die Brücke von Saint Nazaire. Mehr als 3300 Meter ist das gesamte Baumwerk lang, das freitragende Mittelstück über 400 Meter. Bei Niedrigwasser ist die Fahrbahn 67 Meter über dem Wasserspiegel.
Auf der gegenüberliegenden Seite reiht sich eine Raffinerie an die andere. Große Ozeantanker liegen dort und lassen sich leer saugen. Auf unserer Seite stehen Fischerhütten auf hohen Stelzen im Wasser. An einem langen Ausleger hängt ein großes Netz. Ich argwöhne, dass hier bei Flut das Netz ins Wasser gelassen wird. Ein langer Steg führt zu den Hütten, die Tür mit einem Schloss gesichert.
Welch ein Bild: In einem weiten S-Bogen spannt sich eine Brücke über die Loire. Es ist die Brücke von Saint Nazaire. Mehr als 3300 Meter ist das gesamte Baumwerk lang, das freitragende Mittelstück über 400 Meter. Bei Niedrigwasser ist die Fahrbahn 67 Meter über dem Wasserspiegel.
Bevor wir den Fluss überqueren, wollen wir der Seeschlange noch einen Besuch abstatten. Es ist Ebbe, gerade die richtige Zeit, um dieses letzte Kunstwerk der "Estuaire" zu sehen. Es scheint fast so, als sei wirklich ein Seeungeheuer an den Strand gespült worden, das Skelett windet sich im Niedrigwasser. Dem möchte ich nicht auf hoher See begegnet sein. Sein Maul ist groß genug, um einen menschlichen Happen zu verschlucken, selbst einen so langen Lulatsch wie mich.
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Gerade als wir ratschlagen, ob wir die Brücke mit dem Fahrrad überqueren oder den kostenlosen Fahrradshuttle nehmen sollen, empfiehlt uns eine deutsche Radwanderin, die es mitbekommt, den Fahrradshuttle. Sie ist gestern mit dem Fahrrad über die Brücke geradelt, hatte arg mit der Steigung von 5,6 Prozent bei starkem Seitenwind zu kämpfen und fühlte sich nicht sicher auf dem schmalen Streifen, der für Fahrradfahrer optisch von der Fahrbahn abgetrennt ist. Sie nimmt jetzt den Shuttle und wir auch. Die Fahrt über die Brücke vermittelt mir schöne Eindrücke. Ich schaue nach vorne und sehe, wie sich der Verkehr die steile Rampe hoch zieht. Ich schaue zur einen Seite die Loire hinauf und sehe Saint Nazaire auf der anderen Seite vor mir liegen. Mitten im Stadtzentrum, wie mir scheint, ankert ein Kreuzfahrtschiff. Die Fahrt ist viel zu kurz, um alles aufzunehmen, was es zu sehen gibt. Doch wir müssen gleich mit anpacken, um die Fahrräder vom Anhänger zu holen. An der Haltestelle warten schon die nächsten Radwanderer für die Überfahrt. Ich drücke dem Fahrer ein kleines Dankeschön in die Hand und frage ihn, warum die Fahrt kostenlos sein. "Aus Sicherheitsgründen" sagt er. Ich kann es verstehen, nachdem ich den Verkehr auf der Brücke gesehen habe.
Saint Nazaire empfängt uns im Hafengebiet. Auf dem Fahrradstreifen sind Piktogramme angebracht, die zeigen, welche Seite Radfahrern und welche Seite Fußgängern vorbehalten ist. Auch an die Gleichberechtigung ist gedacht. Die Piktogramme kommen alle fünfzig Meter, dabei ist abwechselnd ein Arbeiter und eine Arbeiterin zu sehen. Die Verwaltung denkt mit. Die Werftindustrie, die bis vor 40 Jahren in Nantes war, ist inzwischen hier angesiedelt. MAN baut große Schiffsmotoren und in Trockendocks werden gerade zwei Kreuzfahrtschiffe überholt. An einem der beiden komme ich fast auf Armeslänge vorbei. Die Arbeiter unten im Dock wirken wie Spielzeugfiguren vor dem blauen Rumpf des Schiffes. Hinter der Werft liegt der U-Boot-Bunker der deutschen Wehrmacht. Im Zentimeterabstand ist der Beton mit Stahldrähten versetzt. Selbst die stärksten Bomben der Alliierten konnten ihm nichts anhaben. Der Radweg führt uns vom alten militärischen Gelände zum Strand. Ein Kormoran spreizt gerade seine Flügel, um sie in der Sonne zu trocknen. Ähnlich wie er breitet eine Statue ihre Arme aus. Es ist ein Kriegerdenkmal, ins Wasser der Bucht gebaut. Am Ende der Bucht breiten sich wieder Dutzende von Netzen vor Fischerhütten aus.
Eigentlich sind es nur noch fünf Kilometer bis zum Ziel. Doch wir nehmen den Umweg über die Bucht von Pouliguen. Es geht quer durchs Land nach Norden. Dann sind wir mitten im Sommervergnügen der Franzosen gelandet. Wie eine Sichel schmiegt sich die Bucht ans Meer. Zehn Kilometer feinster Sandstrand erfreuen hier die Badegäste von La Baule-Escoubiac und Pornichet. Ein Hotel reiht sich an das andere. Gleich auf 24 Feldern wird gerade vor mir Beachball gespielt, überall werden Liegestühle und Schirme zum Mieten angeboten. Das ist Badeurlaub live für Sonnenanbeter, nicht für mich. Wir bleiben nicht lange, sondern wenden uns jetzt unserem eigentlichen Ziel zu. Es geht nach Süden. Nach fünf weiteren Kilometern haben wir dann endlich unser Ziel erreicht, St. Marc sur Mer. Über 900 Kilometer liegen hinter uns. Jetzt müssen wir nur noch Monsieur Hulot finden.
Da steht er ja. Endlich haben wir ihn gefunden. "Bonjour Monsieur Hulot." Er steht am Geländer, hat seine Hände in den Rücken gestützt und schaut auf den Strand. Da müssen wir natürlich gleich ein Erinnerungsfoto machen. Monsieur Hulot wendet sich uns leider nicht zu. Ein Bösewicht hat ihm die Pfeife geklaut. Er ist zu sehr damit beschäftigt, den Bösewicht am Strand auszumachen.
Monsieur Hulot ist der Protagonist in dem Kultfilm "Die Ferien des Monsieur Hulot". Wie muss es gewesen sein, als im Juli 1951 der Schauspieler und Regisseur Jacques Tati mit seiner Schar von Filmemachern in dieses beschauliche Strandbad eingefallen ist, um den Film zu drehen.
Ein Hotel am Strand, eine Handvoll Häuser dahinter und davor das weite Meer. Irgendwie ist der Ort immer noch so verträumt geblieben, wie in dem Film. Hier gibt es keine Kinderanimation, wie in der Bucht von Pouliguen, kein Platzhirschverhalten beim Kampf um den schönsten Liegeplatz, keine Beachballfelder und keine Urlaubermassen, die jeden Morgen an den Strand strömen. Der Ort hat sich noch etwas von der Atmosphäre des Films erhalten. Das Hotel ist das gleiche "La Plage", wenn auch inzwischen renoviert. Nur die Filmkulissen sind abgebaut, die Klapptür zum Restaurant knarrt nicht mehr. Die Zeit hat sie mit sich genommen. Auch die Kellner sind jünger und freundlicher geworden. Die Fleischportionen werden auch nicht mehr nach der Leibesfülle bemessen. Der Film wurde während des laufenden Sommerbetriebes des Hotels gedreht. Als aber jetzt Punkt dreizehn Uhr sich die Tür öffnet, die Hotelgäste ins Restaurant strömen und mehrsprachig den Raum füllen, kommt ein klein wenig von der Filmatmosphäre auf. Ich schließe meine Augen und kann mich leicht in den Film versetzen. Als ich sie öffne, bin ich immer noch im Film. Zu sehr erinnert alles an den Film. Nein, ich habe nicht das Zimmer mit der Dachluke. Diese war nur Kulisse. Ein Zimmer mit Meerblick hatte ich auch nicht. Dieses war mir dann doch zu teuer.
Ein Hotel am Strand, eine Handvoll Häuser dahinter und davor das weite Meer. Irgendwie ist der Ort immer noch so verträumt geblieben, wie in dem Film. Hier gibt es keine Kinderanimation, wie in der Bucht von Pouliguen, kein Platzhirschverhalten beim Kampf um den schönsten Liegeplatz, keine Beachballfelder und keine Urlaubermassen, die jeden Morgen an den Strand strömen. Der Ort hat sich noch etwas von der Atmosphäre des Films erhalten. Das Hotel ist das gleiche "La Plage", wenn auch inzwischen renoviert. Nur die Filmkulissen sind abgebaut, die Klapptür zum Restaurant knarrt nicht mehr. Die Zeit hat sie mit sich genommen. Auch die Kellner sind jünger und freundlicher geworden. Die Fleischportionen werden auch nicht mehr nach der Leibesfülle bemessen. Der Film wurde während des laufenden Sommerbetriebes des Hotels gedreht. Als aber jetzt Punkt dreizehn Uhr sich die Tür öffnet, die Hotelgäste ins Restaurant strömen und mehrsprachig den Raum füllen, kommt ein klein wenig von der Filmatmosphäre auf. Ich schließe meine Augen und kann mich leicht in den Film versetzen. Als ich sie öffne, bin ich immer noch im Film. Zu sehr erinnert alles an den Film. Nein, ich habe nicht das Zimmer mit der Dachluke. Diese war nur Kulisse. Ein Zimmer mit Meerblick hatte ich auch nicht. Dieses war mir dann doch zu teuer.
Leise schlagen die wellen an den Strand. Kinderrufe dringen zu mir hoch. Der Ostwind.lässt die Europafahne flattern. Es wird Abend. Die Flut erreicht ihren höchsten Punkt. Containerschiffe und Tanker kommen von der Reede, um die leeren Plätze zu füllen, welche die auslaufenden Schiffe frei gemacht haben. Ich sitze an der Promenade. Erntefrische Aprikosen, Käse und Baguette bereichern heute mein Abendessen. Das ferne Südufer der Loire, die Vendée, wird von den letzten Sonnenstrahlen ins feinste Licht gesetzt. Auf der Promenade beginnt ein Kleinkunst-Spektakel. Der "Kleine Mann" kämpft mit modernen Campingzelten, die sich zwar selbst entfalten, aber nicht wieder zusammengefaltet werden wollen. Mehr wirft das Wurfzelt ihn, als umgekehrt. Doch zum guten Schluss bleibt er doch der Sieger. Es ist ein schönes Ausklang einer wunderbaren Reise.
E N D E
dieser Reise
hier zur Illustration abschließend noch die Route und ein Blitzlicht darauf, wie ich meine Reiseberichte erstelle
dieser Reise
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