Im Land der schwarzen Berge
eine Woche ist zu kurz für Montenegro
September 2018
"Gibt es noch ein anderes Flugzeug hier außer unserem?" rutscht es mir über die Lippen, als die Boeing der Montenegro-Airlines vor dem Terminal von Petrovac zum Stehen kommt. Draußen steht eine Gangway, davor ist ein alter Traktor gespannt. Eigentlich ist der Weg bis zum Eingang des Terminals nicht zu übersehen. Aber eine Kette junger Frauen mit gelben Warnwesten achtet darauf, dass wir nicht vom rechten Weg abkommen. Dieser Flughafen ist so klein, dass unsere Koffer schon auf dem Karrussel des Gepäckbandes ihre dritte Runde drehen, bevor wir die Passkontrolle hinter uns gelassen haben.
Nicht nur der Flughafen ist klein, das ganze Land ist es. 620.000 Einwohner leben auf einer Fläche, die gerade mal 60 Prozent von Hessen umfasst. Doch diese kleine Fläche hat es in sich. Auf den knappen 50 Kilometern bis zum Meer, wo Renate, mein Bruder Winni und ich uns für eine Woche einquartiert haben, erlebe ich schon die gesamte Spanne der Landschaft. Die Ebene von Podgorica, der Hauptstadt, wird nach drei Seiten von hohen Gebirgszügen eingerahmt. Nach Südwesten erstreckt sich der Skadarsee, der bis nach Albanien reicht.
Die Spitzen des Bergzuges vor uns liegen gestaffelt im Gegenlicht. Es ist drückend heiß. Über endlose Kurven schraubt der junge Fahrer den Kleinbus den Berg hoch, um schließlich in 700 Meter Höhe den Pass zu erreichen. Etwas holprig ist die Straße, die Federung von Auto und Rücken werden stark strapaziert. Dafür werde ich nun mit grandiosen Blicken auf die Küste belohnt. Nach einer knappen Stunde entlässt uns der Fahrer in die Hotellobby. "Guten Tag und herzlich Willkommen in 'Petrovac na moru' an der schönen Adria-Küste." werden wir im Hotel begrüßt.
Nicht nur der Flughafen ist klein, das ganze Land ist es. 620.000 Einwohner leben auf einer Fläche, die gerade mal 60 Prozent von Hessen umfasst. Doch diese kleine Fläche hat es in sich. Auf den knappen 50 Kilometern bis zum Meer, wo Renate, mein Bruder Winni und ich uns für eine Woche einquartiert haben, erlebe ich schon die gesamte Spanne der Landschaft. Die Ebene von Podgorica, der Hauptstadt, wird nach drei Seiten von hohen Gebirgszügen eingerahmt. Nach Südwesten erstreckt sich der Skadarsee, der bis nach Albanien reicht.
Die Spitzen des Bergzuges vor uns liegen gestaffelt im Gegenlicht. Es ist drückend heiß. Über endlose Kurven schraubt der junge Fahrer den Kleinbus den Berg hoch, um schließlich in 700 Meter Höhe den Pass zu erreichen. Etwas holprig ist die Straße, die Federung von Auto und Rücken werden stark strapaziert. Dafür werde ich nun mit grandiosen Blicken auf die Küste belohnt. Nach einer knappen Stunde entlässt uns der Fahrer in die Hotellobby. "Guten Tag und herzlich Willkommen in 'Petrovac na moru' an der schönen Adria-Küste." werden wir im Hotel begrüßt.
Eine kleine getigerte Katze streicht um meine Hosenbeine. Ihr schmachtender Blick kann Granitbrocken zerfliessen lassen. Doch ich kann ihr keinen Happen bieten. Auch ich muss warten, bis sich der Frühstücksraum unseres Hotels öffnet. "Willst du ein Foto von dir haben?", frage ich sie scherzhaft und nehme meine Kamera von der Schulter. Mir scheint, dass ihr wenig an einem Foto gelegen ist. Der Riemen der Kamera ist da schon interessanter. Er baumelt hin und her und die Kleine versucht ihn mit ihrer Tatze zu fangen. Sie hüpft auf und ab, doch ich gebe ihn nicht her. Wir spielen ein paar Minuten miteinander, dann lenkt sie ein Angler ab. Angelockt vom Geruch des Fisches folgt sie ihm.
Der rote Strand von Petrovac, der gestern bis in die Abendstunden hinein noch belebt war, liegt in dieser frühen Stunde still und leer vor mit. Die kleinen Kieselsteine ruhen sich aus, bevor hunderte von Füßen sie wieder knirschend aneinander reiben. Ein Schatzsucher tastet mit seinem Metalldetektor jeden Quadratmeter des Strandes ab. Vielleicht liegt dort zwischen den kleinen Kieseln ein Schmuckstück, das eine der Badenden gestern verloren hat. Weiter hinten liest ein Hotelangestellter Kippen und Plastikabfälle am hoteleigenen Strandabschnitt auf. Er ist zumindest erfolgreicher. Der erste Schwimmer legt sein Handtuch am Strand ab und geht ins WasserAm frühen Morgen streife ich allein den Strand entlang. Die Dämmerung hat sich schon verzogen, doch die Sonne wartet noch hinter dem Höhenzug auf ihren großen Auftritt. Nur wenige Frühaufsteher sitzen auf den Bänken und warten auf die Sonne. Vereinzelt eilen Frauen und Männer über die Strandpromenade zu ihrem Arbeitsplatz. Die kleine Sichel der Bucht liegt noch im Schatten. Die zahlreichen Restaurants und Läden rechts und links geben sich noch verschlafen. Einsam zieht ein Segelboot vor der Küste vorbei.
Der rote Strand von Petrovac, der gestern bis in die Abendstunden hinein noch belebt war, liegt in dieser frühen Stunde still und leer vor mit. Die kleinen Kieselsteine ruhen sich aus, bevor hunderte von Füßen sie wieder knirschend aneinander reiben. Ein Schatzsucher tastet mit seinem Metalldetektor jeden Quadratmeter des Strandes ab. Vielleicht liegt dort zwischen den kleinen Kieseln ein Schmuckstück, das eine der Badenden gestern verloren hat. Weiter hinten liest ein Hotelangestellter Kippen und Plastikabfälle am hoteleigenen Strandabschnitt auf. Er ist zumindest erfolgreicher. Der erste Schwimmer legt sein Handtuch am Strand ab und geht ins WasserAm frühen Morgen streife ich allein den Strand entlang. Die Dämmerung hat sich schon verzogen, doch die Sonne wartet noch hinter dem Höhenzug auf ihren großen Auftritt. Nur wenige Frühaufsteher sitzen auf den Bänken und warten auf die Sonne. Vereinzelt eilen Frauen und Männer über die Strandpromenade zu ihrem Arbeitsplatz. Die kleine Sichel der Bucht liegt noch im Schatten. Die zahlreichen Restaurants und Läden rechts und links geben sich noch verschlafen. Einsam zieht ein Segelboot vor der Küste vorbei.
Ein zartrosa Schimmer liegt auf dem Wasser und wandert nach Westen. Die kleine Insel vor Petrovac schält sich aus dem Schatten der Nacht. Stumm stehen die eingeklappten Sonnenschirme wie Geister, in Reih und Glied, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Dann stürmt die Sonne über den Bergkamm und taucht die Bucht in morgenwarmes Licht. Als hätten sie auf dieses Signal gewartet, eilen immer mehr Menschen zur Arbeit. Aus der ersten Bar tönt leise Morgenmusik. Der Duft von frischem Kaffee zieht die Promenade entlang. Vorne auf der Mole sitzt ein einsamer Angler, nur ein Frühaufsteher gesellt sich zu ihm. Beide schauen hinaus aufs Meer, wo jetzt die Kapelle auf der kleinen Insel im hellen Licht erstrahlt. Zwei oder drei Fischerboote dümpeln in dem kleinen Hafenbecken fast verloren neben den Freizeitbooten. Sie spiegeln sich im klaren Wasser. Früher fischten die Bewohner von Petrovac im Meer, heute fischen sie in den Geldbörsen der Touristen.
Eine Katze jagd vor mir vorbei und klettert einen Baumstamm hoch. Ein Vogel zwitschert oben in der Krone. Doch so sehr sie auch von Ast zu Ast steigt, der Vogel spielt Katz und Maus mit ihr und lässt sie dann in der Baumkrone allein zurück. Für mich ist jetzt Zeit für das gemeinsame Frühstück.
Eine Katze jagd vor mir vorbei und klettert einen Baumstamm hoch. Ein Vogel zwitschert oben in der Krone. Doch so sehr sie auch von Ast zu Ast steigt, der Vogel spielt Katz und Maus mit ihr und lässt sie dann in der Baumkrone allein zurück. Für mich ist jetzt Zeit für das gemeinsame Frühstück.
Von dem alten Petrovac der Fischer ist wenig übrig geblieben, ein Dutzend Häuser, gemauert aus dem Bruchstein der Berge. Dazu haben sich im Laufe der Jahre immer mehr Hotels und Apartementhäuser gesellt, erbaut im phantasielosen Stil der Goldgräberzeit des Tourismus. Am anderen Ende der Bucht wird gerade ein großer Hotelkomplex aus Beton hochgezogen. Die Baustelle dominiert die gesamte Bucht. Montenegro, so habe ich gelesen, will im Tourismus wachsen. Das Wachstum sehe ich buchstäblich vor mir. Die kleine Kirche wirkt zwischen all den neuen Bauten verloren. Doch der Garten ist für Renate eine Oase der Stille. Es entsteht ein schönes Aquarell.
Nach dem Frühstück beginnt die Parade der Kinderwagen. Ein Dutzend steht neben der Treppe, die zum Kieselstrand führt. Es sind viele Familien mit kleinen Kindern, die hier ihren Urlaub verbringen, daneben aber auch Rentner. Während auf der anderen Seite der Adria schon die Badesaison beendet ist und die Hotels für den Winter eingemottet werden, herrscht hier noch lebhaftes Treiben. |
Sonnenabeter*innen kennt man von südlichen Stränden genügend. Sie cremen sich am Morgen mit Sonnemilch ein, legen sich regungslos auf ihr Handtuch und verlassen es nur, um den Sonnengrill mit dem Bratwurstgrill zu den Essenszeiten zu tauschen. Hier entdecke ich eine neue Art dieser Spezies. Sie stehen mit geschlossenen Augen aufrecht zur Sonne gewandt, die Arme seitlich von sich gespreizt, so wie manche Betende. Sie sind die wahren Sonnenanbeter*innen.
Kaum dass ich das Hotel verlasse, umhüllt mich ein babylonisches Sprachengewirr. Die zahlreichen Speisekarten, die mir auf dem Weg entlang der Promenade entgegen gehalten werden, enthalten in der Regel nur drei Sprachen: Montenegrinisch, Russisch und Englisch. Da Montenegrinisch eine südslawische Sprachvarietät ist - diesen Begriff habe ich zum ersten Mal in Wikipedia kennengelernt - haben die serbischen Touristen, die es neben den Russen hier in Vielzahl gibt, keine Verständigungsprobleme. Was die Verständlichkeit der Preise auf der Speisekarte angeht, bin ich im Vorteil. Nach der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2006 hat sich die neue Regierung eine elegante Lösung einfallen lassen. Statt eine eigene Währung zu kreieren, hat man einfach den Euro zum Zahlungsmittel bestimmt. Montenegro gehört zwar nicht zur Eurozone, das macht aber nichts. Euros gibt es ja genügend. Mir erspart dieser Schachzug das lästige Umrechnen. Und dass die Preise in der Straße hinter der Strandpromenade günstiger sind als vorne ist auch eine Binsenweisheit.
Langsam versinkt die Sonne hinter dem Horizont. Ein Ausflugsboot mit Glasboden verspricht eine unvergessliche Fahrt mit Einblicken in die Unterwasserwelt. Ich bin sofort Feuer und Flamme und mein Bruder auch. Glasklar ist das Wasser unter uns. Ein Schwarm kleiner Fische fühlt sich wohl im Licht der Unterwasserscheinwerfer. Auch seltsam anmutende Nadelfische mit langem spitzen Maul umschwärmen unser Ausflugsboot. Langsam steuert es auf die zwei Inseln vor der Küste zu. Seeigel bevölkern den steinigen Boden tief unter uns, dazwischen einige Seegurken und auch ein paar Seesterne. Die großen Fische lassen sich nicht blicken. Ist ja auch nichts Neues! Dafür ist der Blick auf Petrovac wunderschön. Noch bevor wir zu Bett gehen, buchen wir für morgen einen Mietwagen. Der Serviceschalter ist direkt neben unserem Hoteleingang.
Langsam versinkt die Sonne hinter dem Horizont. Ein Ausflugsboot mit Glasboden verspricht eine unvergessliche Fahrt mit Einblicken in die Unterwasserwelt. Ich bin sofort Feuer und Flamme und mein Bruder auch. Glasklar ist das Wasser unter uns. Ein Schwarm kleiner Fische fühlt sich wohl im Licht der Unterwasserscheinwerfer. Auch seltsam anmutende Nadelfische mit langem spitzen Maul umschwärmen unser Ausflugsboot. Langsam steuert es auf die zwei Inseln vor der Küste zu. Seeigel bevölkern den steinigen Boden tief unter uns, dazwischen einige Seegurken und auch ein paar Seesterne. Die großen Fische lassen sich nicht blicken. Ist ja auch nichts Neues! Dafür ist der Blick auf Petrovac wunderschön. Noch bevor wir zu Bett gehen, buchen wir für morgen einen Mietwagen. Der Serviceschalter ist direkt neben unserem Hoteleingang.
"Heute fahren wir Taxi." sage ich scherzhaft, als ich den cremefarbenen Touran sehe, den der Mitarbeiter der Mietwagenfirma mir gerade übergibt. Von der Farbe her genau wie ein deutsches Taxi, nur das Schild auf dem Dach fehlt.
Fast lautlos gleitet das Boot durch den grün gesäumten Kanal. Leise plätschern die Wellen, die dem Schnitt des Buges durch das Wasser folgen. Stumm stehen die Schilfhalme zu Tausenden am Ufer, kein Lüftchen bewegt ihre dünnen Hälse. Raiko, unser Bootsführer, weist uns ab und zu auf einen Graureiher hin, der scheinbar leblos am Ufer steht, genauso starr und stumm wie die Schilfhalme um ihn herum. Ein gelbfüßiger Reiher eilt vor uns davon.
Hinter uns liegt das quirlige Virpazar. Gleich hinter dem Bahnübergang, wo der Abzweig von der Landstraße ist, sind wir von jungen Männern angesprochen worden, ob wir eine Bootsfahrt machen wollen. Ausflugsboote gibt es hier ausreichend und selbst jetzt, in der Nachsaison, auch genügend Touristen. Da waren wir noch unentschlossen und sind erst mal durch den kleinen Ort geschlendert. Ein paar Stände mit den üblichen Angeboten für Touristen, eine Gulaschkanone, die wohl noch aus der Zeit der italienischen Besatzung stammt, und überall junge Männer, die Touristen zu einer Bootsfahrt animieren. Nein, auf ein Schiff mit dutzenden anderen Touristen wollen wir nicht. Langsam füllt sich der Ort. Eigentlich wollten wir schon unsere Fahrt fortsetzen, als Renate einen älteren Mann auf einem Steg unterhalb der Brücke sitzen sieht. „Golden Frog“ steht über ihm geschrieben, "Goldener Frosch". Er hat es sich darunter gemütlich gemacht. Schnell sind sich beide handelseinig und so schippert Raiko uns drei nun hinaus auf den Skadar-See.
Fast lautlos gleitet das Boot durch den grün gesäumten Kanal. Leise plätschern die Wellen, die dem Schnitt des Buges durch das Wasser folgen. Stumm stehen die Schilfhalme zu Tausenden am Ufer, kein Lüftchen bewegt ihre dünnen Hälse. Raiko, unser Bootsführer, weist uns ab und zu auf einen Graureiher hin, der scheinbar leblos am Ufer steht, genauso starr und stumm wie die Schilfhalme um ihn herum. Ein gelbfüßiger Reiher eilt vor uns davon.
Hinter uns liegt das quirlige Virpazar. Gleich hinter dem Bahnübergang, wo der Abzweig von der Landstraße ist, sind wir von jungen Männern angesprochen worden, ob wir eine Bootsfahrt machen wollen. Ausflugsboote gibt es hier ausreichend und selbst jetzt, in der Nachsaison, auch genügend Touristen. Da waren wir noch unentschlossen und sind erst mal durch den kleinen Ort geschlendert. Ein paar Stände mit den üblichen Angeboten für Touristen, eine Gulaschkanone, die wohl noch aus der Zeit der italienischen Besatzung stammt, und überall junge Männer, die Touristen zu einer Bootsfahrt animieren. Nein, auf ein Schiff mit dutzenden anderen Touristen wollen wir nicht. Langsam füllt sich der Ort. Eigentlich wollten wir schon unsere Fahrt fortsetzen, als Renate einen älteren Mann auf einem Steg unterhalb der Brücke sitzen sieht. „Golden Frog“ steht über ihm geschrieben, "Goldener Frosch". Er hat es sich darunter gemütlich gemacht. Schnell sind sich beide handelseinig und so schippert Raiko uns drei nun hinaus auf den Skadar-See.
Langsam weicht das Schilf zurück, die Wasserfläche weitet sich aus. Vor mir breitet sich vor mir ein Teppich aus von unzähligen Teichmummeln, jener schüchternen Kusine der Seerose, die es nicht wagt, ihre gelbe Blüte weit auszubreiten, sondern sie eher wie eine halb geöffnete Knospe bei sich behält. Ein Kormoran steht auf dem kahlen Ast einer Baumleiche, die aus dem Wasser ragt. Er spreizt seine Flügel weit von sich, auf dass seine Federn, noch nass vom letzten Tauchgang, schnell trocknen. Nach Süden verliert sich der See hinter dem Horizont, begleitet von dunklen Bergrücken zu seiner Rechten wie zur Linken.
Raiko steuert auf die Brücke zu, über die gerade ein Zug rattert. Er bringt Touristen in die Badeorte an der Küste. Während wir unter der Brücke durch gleiten, taucht ein graues Gemäuer auf. Es ist die Festung Lesendro, die erst im Jahr 1843 errichtet wurde. Sie sollte hier die Grenze zwischen Montenegro und dem Osmanischen Reich sichern. Hinter der Festung baut sich vor mir ein wunderbares Panorama auf: blau die Wasserflächen zwischen den grün-gelben Teppichen der Teichmummeln, in der Ferne ein Hügelsaum, an dem sich grüne Wälder hoch ziehen, und über allem der blaue Himmel. Ich kann gut verstehen, dass die Wachsamkeit der Soldaten angesichts dieses schönen Ausblicks gelitten hat. Noch im Jahr ihrer Fertigstellung überrannten die Türken diese Festung und mussten sie erst 1878 wieder abgeben. Damals lag die Festung auf einer der vielen Inseln im Skadar-See. An der Festung vorbei gleiten wir in den Mündungsbereich des Moraca, einem der Zuflüsse.
Raiko reisst mich aus meinen Gedanken und erzählt von dem Artenreichtum über und unter der Wasseroberfläche. Mehr als zweihundert Wasserbewohner und mindestens ebenso viele sollen sich in der Luft tummeln. Der jugoslawische Staat erhob daher diesen See im Jahr 1983 zum Nationalpark. Einige der Gefiederten können wir beobachten, während uns Raiko immer weiter in den nördlichen Ausläufer des Sees hinein steuert. Kleine gelbfüssige Reiher im weißen Federkleid warten auf den Fischhappen, den sie sich zum Mittagsmahl wünschen, immer wieder Graureiher, die geduldig ausharren, Möwen, die über uns kreisen, eine Schar weißer Gänse, die etwas entfernt wie an einer Kette aufgereiht auf dem Wasser dümpeln, Vogelstimmen kleiner Singvögel, die sich irgendwo gut vor uns versteckt haben, Kormorane im schwarzen Kleid, Schwäne, die majestätisch ihre Bahn ziehen, und Blesshühner, deren Jungvögel über die großen Blätter der Teichmummeln vor uns weg stieben. Mich beeindruckt diese Artenvielfalt, obwohl ich nur einen kleinen Ausschnitt zu sehen bekomme.
Ich schrecke durch ein lautes Wassergeräusch auf. Wir haben eine Kuh beim Bad gestört. Jetzt bemüht sie sich wieder auf das rettende Ufer der Insel zurück. Auf der anderen Seite taucht ein kleines Fischerdorf auf. Dort ballerte der kleine Stevan Jovetić so lange mit dem Ball an die Hauswand, bis sein Vater ihn ins nahe Podgorica zum Fußballtraining schickte. Der Vater ist Fischer geblieben, der Sohn ist heute ein berühmter Fußballspieler von Montenegro, der zur Zeit für den AS Monaco spielt. Seit 1955 durchschneidet die Eisenbahnlinie und die Landstraße den winzigen Ort. Der neue jugoslawische Staat ließ damals hier an der engsten Stelle des Sees die Brücke und einen Damm bauen. So entstand die kürzeste und schnellste Verbindung zwischen Belgrad und der Adria mit der wichtigen Hafenstadt Bar. Malerisch spiegelt sich das Wrack eines alten Fischerbootes im Wasser.
„Hallo“ ruft Raiko dem Fischer zu, der mit seinem kleinen Boot auf uns zu kommt. „Wie war dein Fang heute?“ „Drei Aale und ein Karpfen“ kommt als Antwort zurück. Aale sind bei den Fischern sehr beliebt, da sie einen guten Preis bringen. Nach zwei Stunden taucht vor uns wieder das mächtige Partisanendenkmal an der Brücke von Virpazar auf. Es erinnert an den Kampf, der 1945 zum Abzug der Italiener aus dieser Region führte. Türken und Skipetaren, Italiener und Serben, und viele andere fremde Herrscher haben diese Region schon beherrscht. Im Jahr 2006 erklärte Montenegro seine Unabhängigkeit von Serbien. Seinen Namen hat es aber von den venezianischen Herrschern seit dem Mittelalter behalten.
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Eigentlich will ich die breite Straße nehmen, die bald nach der Brücke rechts abbiegt. Doch der Wegweiser ist eindeutig. Dieses schmale und steile Sträßchen, zugeparkt und gespickt mit Schlaglöchern, führt uns nach Ostros. Ich bin froh, dass mir gerade kein Wagen entgegen kommt. Oberhalb des letzten Hauses öffnet sich ein erster Blick auf den See. Es ist ein herrlicher Blick über die Nordspitze des Sees, nur ein kleiner aber beeindruckender Ausschnitt des Ganzen. In der Ferne führt die Brücke über die Engstelle und ich kann den Eingang des Kanals sehen, der nach Virpazar führt. Das Meer der Teichmummeln breitet sich zu unseren Füßen aus. Dazwischen sehe ich sandige Flecken. Der Pegel des Skadar-Sees liegt zur Zeit mehrere Meter unter seinem Winterstand. Der See atmet im Verlauf des Jahres, verändert seine Grösse je nach Jahreszeit zwischen 370 und 550 km². So schön der Blick ist - ich muss mich losreissen, denn eine lange Strecke liegt vor uns.
Die Strasse steigt weiter an, führt zwischen Buschwerk und Zäunen hindurch. An einer Ausweichstelle halte ich kurz, um einen Camper durch zu lassen. "Der hat Mut," denke ich mir, "dass er so eine kleine Straße fährt." Ohne Ausweichstelle muss man sich einigen, wer rückwärts fährt, bis eine Ausweichstelle kommt. Die nächste Ausweichstelle liegt etwas weiter vor mir, doch sie kommt zur rechten Zeit. Vor uns breitet sich eine große Bucht aus. Das Grün der Berge zieht sich bis ans Wasser. Weit draußen liegt eine winzig kleine Insel. Mit dem Teleobjektiv hole ich sie mir heran. Es ist Grmozur, eine alte osmanische Festung, die als Gefängnis diente. Dort sollen, so heißt es, nur Nichtschwimmer inhaftiert worden sein. Das Gleiche galt für die Gefängnisaufseher. Gelang einmal dennoch einem Häftling die Flucht ans rettende Ufer, so musste der verantwortliche Aufseher dessen Strafe bis zum Ende absitzen. Ein zerstörerisches Erdbeben setzte dieser Regel ein Ende. Das Pärchen, das gerade da draußen über die Mauerreste klettert, braucht sich darum keine Sorgen mehr zu machen.
Im Herzen der Bucht liegt Godinje. Im Schatten der Ruine einer alten Mühle picknicken wir. Es summt und brummt voller Lebensfreude im blühenden Efeu. Renate pflückt ein paar Feigen hinter der Ruine, eine willkommene Bereicherung der kargen Speisetafel. "Schau mal die Umweltplakette an der Windschutzscheibe" bemerkt grinsend mein Bruder. Tatsächlich, da klebt eine. Sie ist mir aus lauter Gewohnheit gar nicht aufgefallen. Sogar das KFZ-Kennzeichen steht noch drauf. "MKK ...". Natürlich, jetzt ergibt die Farbe des Autos einen Sinn. Dieser Touran ist mal als Taxi im Main-Kinzig-Kreis gefahren. Genau da wohne ich. Die 28.803 Kilometer auf dem Tacho habe ich angesichts der Bereifung sowieso nicht geglaubt. Da fehlt mindestens eine 2 davor. Ich nehme mir vor, nach der Rückkehr in Erlensee mal nach dem Vorbesitzer des Taxis zu forschen. Er wird sich sicher wundern, wo sein Auto jetzt fährt und wie jung es geworden ist.
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In der Straßenkurve vor uns kann ich ein merkwürdig anmutendes Schild ausmachen. Zimmer und Wein werden mir angeboten. Dahinter stehen Weinstöcke und ein halbfertiger Neubau. Die Armierungsstäbe ragen in den Himmel, als wollten sie um eine milde Gabe für den Weiterbau bitten. Wein ist eine wichtige Einnahmequelle der Bewohner dieser Region. Je weiter wir kommen, desto häufiger werden wir zur Weinverkostung animiert. Vom Weinbau verstehen die Bewohner dieser Region eine Menge. Renate und Winni haben während unseres Aufenthalts in Montenegro so manchen guten Tropfen genossen. Inzwischen sind wir schon recht hoch gekommen. Das See-Panorama weitet sich aus. Dafür scheint die Straße immer enger zu werden. Manchmal muss ich trocken schlucken, wenn ich sehe, wie es direkt neben der Straße steil abwärts geht.
Der kleine Friedhof von Duravici liegt etwas unterhalb der Straße. Das ist mir schon mehrfach aufgefallen, dass die Friedhöfe weit ausserhalb der Ortschaften liegen. Die meisten haben, im Gegensatz zu diesem, keine Kapelle. Eigentlich haben wir nur wegen dem neuen Ausblick auf die Küste nach Süden angehalten, doch das freundliche Lächeln der Bäuerin hält uns an ihrem kleinen Verkaufsstand fest. Wein gibt es, rot und weiß, dazu Honig und Olivenöl, alles, was die Natur hier bietet. Und da gibt es noch eine rote Flüssigkeit in einer Plastikflasche. ORAH steht auf dem handgeschriebenen Aufkleber. Mit Mimik, Händen und ein paar Sprachbrocken findet Renate heraus, dass es ein nichtalkoholischer Getränk aus Aronia, der kleinen schwarzen Apfelbeere, ist. Doch als reiner Saft ist er säuerlich. Die findige Bäuerin hat ihn mit Honig gesüßt und mit Kaffee versetzt. Ein köstliches Getränk, das natürlich sofort in unseren Rucksack wandert. Um die acht Euro, die sie dafür verlangt, ist es uns nicht leid. Sie lebt mit ihrem Mann von dem kargen Land und dem kleinen Verkaufsstand. Sie haben es verdient.
Die Straße windet sich in zweihundertfünfzig Metern oberhalb des Sees um jeden Bergvorsprung, zieht sich in Seitentäler hinein, um dann weiter anzusteigen. Aus einem unerklärlichen Grund ist plötzlich der Straßenbelag erneuert. Eine glatte Teerfläche, die zum schnellen Fahren anregt, wäre da nicht der nahe Abgrund und der tolle Ausblick. Eine Inselwelt breitet sich vor der Küste aus. Alte Gemäuer, die sich beim Blick durchs Teleobjektiv als gepflegte Klosteranlagen entpuppen, waren einst auf diesen Inseln einsame Refugien für Mönche. An einem Aussichtspunkt oberhalb von Murici verweilen wir eine Zeitlang. Unten kann ich einen der wenigen Badestrände am Skadar-See erkennen. Auf dieser Seeseite fällt der Berg steil ins Wasser. Das hat ihm mit Sicherheit seine Ursprünglichkeit bewahrt. Jenseits des Sees sehe ich die Ebene von Podgorica. Dort ist das Seeufer versumpft. Wir warten schon lange auf eine schattige Bar. Dies wäre doch der richtige Ort dafür, so mit Panoramablick und Parkplätzen. Doch ausser Parkplätzen gibt es nur den Panoramablick. Die Bar fehlt.
Nach Murici wird der Strassenverlauf immer abenteuerlicher. Steil führt sie hoch, die Trasse ist in den Hang hinein geschnitten. Ich atme tief durch, als ich diese Trasse sehe und hoffe, dass mir auf diesem Stück niemand entgegen kommt. Für den immer schöneren Ausblick auf die Küstenlinie habe ich keine Fiduz. Ich habe Glück und biege am Ende des Hangs um die Kurve. Hätte ich unten am Aussichtspunkt ein Königreich für ein kühles Getränk gewettet, so wäre ich das Königreich jetzt los. Vor uns liegt die lang ersehnte Bar, dazu Parkplatz und Panoramablick. Die alte Dame in Schwarz zeigt auf meine Frage nach einem Kaffee nur zu dem großen Getränkekühlschrank. Dort stehen drei gekühlte Becher Nescafé Xpress, die richtige Anzahl für uns. Bei 35 Grad im Schatten schaue ich großzügig über das Haltbarkeitsdatum hinweg, Hauptsache kühl. Der Blick entlang der Küste nach Süden ist überwältigend. Wie Perlen reihen sich kleine Inseln in Ufernähe auf. "Manastiri", sagt die alte Dame in Schwarz und deutet nach unten. Die Klosteranlage auf einer der Inseln ist deutlich zu erkennen.
Nach ausgiebiger Rast setzen wir unsere Fahrt fort. Die Straße führt jetzt vom See weg ins Landesinnere. Doch nach ein paar hundert Metern wird die Fahrt jäh unterbrochen. Maultiere ziehen am Straßenrand entlang, erfreuen sich an den leckeren Gräsern und Kräutern. "Halt doch mal kurz," bittet mich Renate und kramt in ihrem Rucksack. Sie fördert eine kleine Tüte mit Vollkornbrot zu Tage, der Rest unserer Verpflegung vom Flug gestern. Einer der Mailtiere schnuppert erst an dem Happen, dann lässt er ihn sich genüsslich auf der Zunge vergehen. Noch mehr, scheint sein Blick zu sagen, doch die Tüte ist leer. Er glaubt es nicht so ganz und steckt seinen langen Kopf durchs Fenster in den Wagen. Von Renate höre ich nur ein "Oh, oh, oh!". Enttäuscht wendet er sich dann wieder den Gräsern zu.
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Rechts und links der Landstraße liegen kleine Weiler. Der Weinbau dominiert die Landschaft. In einer großen Kurve werden wir durch das grüne Hochtal wieder zum See zurück geführt. Bei der Lektüre des Reiseführers hatte ich noch darüber gelächelt, dass die Panoramastraße entlang des Skatar-Sees nur für schwindelfreie Autofahrer und Turboradfahrer empfohlen wird. Jetzt stehen sie vor mir, eine ganze Gruppe von Turboradfahrern. Die letzten kommen schweißtriefend die steile Straße hoch. Ich winke ihnen aufmunternd zu, bevor wir unsere Fahrt fortsetzen.
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Die Besiedlung nimmt zu, der Zustand der Straße wird deutlich besser. Rote Fahne mit schwarzem doppelköpfigem Adler, sie flattert an einem neuen Wohnhaus. Diese Fahne kenne ich doch. Wenig später dann eine Schule, davor ein Denkmal für Skanderbeg, dem Nationalhelden von Albanien. Eindeutig, wir sind im Gebiet der albanischen Minderheit angekommen. Dies zeigen auch die Minarette der Moscheen, die uns jetzt an Stelle der Kirchtürme begleiten. Schon bald erreichen wir Ostros, dem größten Ort am Westufer des Sees. Vom See sehen wir zwar noch nichts, dafür einige Restaurants und Geschäfte entlang der breiten Dorfstraße. Wir halten uns nicht auf. Vor uns auf dem Bergsporn liegt Stegvas. Direkt hinter Ostros steigt die Straße wieder steil an. Sie ist mit einer Leitplanke abgesichert, ein ungewohnter Anblick nach den letzten dreissig Kilometern.
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Welch ein phantastischer Blick: nach Norden die Küstenlinie mit der Inselwelt, nach Nordosten die weite Ebene von Podgorica, nach Südosten die hohe Bergkette und dann die Ebene von Skodra, und mitten drin die blaue Fläche des Sees. Vor 45 Jahren stand ich schon einmal am Ufer dieses Sees, damals auf der albanischen Seite bei Skodra. Jetzt liegt die albanische Grenze nur ein paar hundert Meter von mir entfernt hinter dem Funkturm. Immer wieder kommen Ausflügler, die staunend am Aussichtspunkt halten.
Dies ist der südlichste Punkt der Panoramastraße, nun geht es zurück. Hinter dem Aussichtspunkt knickt die Straße scharf ab. Wieder ist die Trasse in die Bergflanke geschnitten. Dies ist die Abbruchkante des Küstengebirges, das sich entlang der Adria durch ganz Kroatien und Montenegro zieht. Nach Süden hin breitet sich ein fruchtbares Tal aus. Tief unter mir fliesst die Buna, der Grenzfluss, vom Skadar-See zur Adria.
Dies ist der südlichste Punkt der Panoramastraße, nun geht es zurück. Hinter dem Aussichtspunkt knickt die Straße scharf ab. Wieder ist die Trasse in die Bergflanke geschnitten. Dies ist die Abbruchkante des Küstengebirges, das sich entlang der Adria durch ganz Kroatien und Montenegro zieht. Nach Süden hin breitet sich ein fruchtbares Tal aus. Tief unter mir fliesst die Buna, der Grenzfluss, vom Skadar-See zur Adria.
Die Feuchtigkeit der Nacht liegt als zarter Dunstschleier über den Niederungen der Bergtäler. Wir sind in aller Frühe aufgebrochen. Ich will heute erfahren, ob die hohen Berge von Montenegro tatsächlich schwarz sind. Dazu müssen wir uns in den Osten des Landes begeben.
Jäh fällt die Felswand um vier- oder fünfhundert Meter ab, bis sie im schmalen Spalt zum Talgrund der Moraca hin verschwindet. Gut fünfzig Meter oberhalb der Talsohle stehe ich auf dem schmalen Parkstreifen vor dem dunklen Tunneleingang. Außer einem leichten Rauschen ist von dem Fluss nichts zu bemerken. Touristen drängeln sich auf diesem schmalen Platz, Busse kommen und spucken sie aus, Busse saugen sie wieder ein und fahren weiter. Auch wir sind mit einem Bus unterwegs, haben eine Eintagestour in die hohen Berge Montenegros gebucht. Diese Schlucht hier ist wahrlich abenteuerlich. Schon seit dem wir hinter Podgorica die Ebene verlassen haben und in das enge Tal der Moraca eingetaucht sind, denke ich immer wieder an den Roman von Karl May "In den Schluchten des Balkan". Als Kind habe ich ihn verschlungen. |
Eng rücken die Felswände zusammen, geben dem Sonnenlicht jetzt zum Ende des Sommers nur noch wenig Raum, um diese grandiose Szenerie auszuleuchten. Wir waren als letzte in den Bus zugestiegen und mussten uns mit den drei noch freien Plätzen verstreut im Bus zufrieden geben.. Mein Platz ist der mittlere auf der Rückbank mit freiem Blick nach vorne. Ich sitze zwischen einem österreichischen Pärchen und zwei jungen Frauen, die von irgendwo aus der ehemaligen Sowjetunion herkommen. Ihr Hauptaugenmerk während der Fahrt gilt vor allem ihrem Smartphone. Rechts und links saust die Landschaft vorbei, während sich vor mir der Mut der montenegrischen Autofahrer auf der engen und kurvenreichen Straße entfaltet.
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Jetzt bedauere ich es sehr, dass ich auf diese Reise nur meine Reisekamera, die Lumix, mitgenommen habe, weil ich das Gewicht meiner Spiegelreflexkamera samt Ausrüstung scheute. Die schönsten Motive jagen am Busfenster vorbei, die Lumix schafft es nicht, sie zu fokussieren. Jenseits des Flussufers stehen blaue Baracken in Reih und Glied. Die ganze Anlage sieht neu aus. Dann entdecke ich die chinesischen Schriftzeichen auf den Baracken. Ob es wohl ein chinesisches Logistiklager hier an der Landstraße nach Belgrad ist? Eigentlich erhasche ich die Szene nur aus den Augenwinkeln. Zu schön ist die Schlucht, zu schön die Landschaft mit den steilen bewaldeten Berghängen unter blauem Himmel. Die Straße beschreibt eine lang gezogene Kurve. Vor mir tauchen die gewaltigen Pfeiler einer Brücke auf. Wieder stehen blaue Baracken in Reih und Glied. Eine Gruppe von chinesischen Arbeitern im einheitlichen Overall marschiert über die Baustelle. Fast wie eine Militärkolonne, so scheint es mir. Die Pfeiler ragen gut einhundert Meter hoch, tragen schon den Überbau der Brücke, auf dem später die Fahrbahn ruhen wird. Unser Reiseleiter klärt uns auf. Diese Baustelle ist Teil des chinesischen Mammutprojektes "Neue Seidenstraße". Eine chinesische Bank finanziert mit 800 Millionen Euro einen Teil des Budgets von zwei Milliarden Euro, die die 160 Kilometer lange Autobahn von der serbischen Grenze bis zur Adria kosten wird. Dafür dürfen sie dann später die Maut kassieren. Der montenegrinische Staat hat sich mit seinem Anteil damit aber auch gewaltige finanzielle Anstrengungen auferlegt. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2017 gerade mal 4,1 Milliarden Euro. Die große Hoffnung liegt auf den zusätzlichen Einnahmen aus dem Tourismus, der, so die Wunschvorstellung, durch diese schnelle Verbindung nach Belgrad angekurbelt wird.
Langsam weitet sich die Schlucht zu einem grünen Tal. Wieder dürfen wir den Bus verlassen. Das erste, was ich zu sehen bekomme, sind eine Vielzahl von Andenkenständen mit den landestypischen Produkten wie Wein, Honig und Olivenöl, über die gerade eine andere Busgruppe herfällt. Daneben gibt es einen Stand mit christlichen Andenken, allen voran eine Vielzahl von Ikonen. Neben den Ikonen werden auch Selfie-Sticks angeboten. Man geht mit der Zeit. Wir sind am Kloster von Moraca angekommen. Im Gespräch mit dem Reiseleiter folge ich dem breiten Fußweg, der seit knapp 900 Jahren geradewegs zur Klosterpforte führt. Bienenstöcke und Rosen begleiten mich. Rechter Hand liegt die Felskante, an der ein Bach über einen Wasserfall 33 Meter tief hinab stürzt, um sich dort unten mit der Moraca zu vereinen.
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Welch eine Pracht in Gold und Silber! Es ist eng in der Klosterkirche, viele Dutzend Touristen drängen sich in dem schmalen Raum neben einigen wenigen Gläubigen. Die Wände sind überdeckt mit Ikonen und christlichem Schmuck. Fresken schmücken die Decke. "No Fotos!" ertönt es hinter mir. Doch der strenge Ordnungsruf des Novizen gilt einem anderen. Ich halte meine Kamera in diesem engen Raum sorgsam geschützt. Angesichts der Enge flüchte ich in den Klostergarten, wo ich Renate treffe. Im Halbkreis um die Kirche zieht sich das Klostergebäude. In seinem Schatten sitzt ein Pope im Kreise älterer Pilgerinnen. Sie nehmen ihr Mittagessen zu sich. Eine andere Gläubige sitzt allein auf einer Bank, mit dem Gebetbuch in der Hand. Dazwischen huschen Touristen über den sorgsam gepflegten Rasen, fotografieren die Klosterkirche von allen Seiten und Perspektiven, machen Selfies mit und ohne Stick oder hasten zur Toilette. Die Gläubigen scheint es nicht zu stören. Wir setzen uns an der Klostermauer auf eine schattige Bank und beobachten das Treiben. Es ist eine seltsame Mischung aus frommen Besucher*innen und fotografierenden Touristen. Ganz offensichtlich haben Heiligtum und Tourismus Platz nebeneinander. Am Rande der Schlucht steht noch ein kleines Kapellchen. Das Glück ist mir hold, dass ich genau den Moment erwische, in dem der Innenraum leer ist. Die alten Fresken sind sehr beeindruckend. Nach einigen Momenten der Kontemplation, in denen ich alleine bin, betritt ein junger Mann den Raum. Er stellt sich für ein kurzes Gebet vor den kleinen Altar. Und wieder erfasst mich dieses seltsame Gefühl der Mischung von Heiligtum und Touristenattraktion.
85 Prozent der Fläche Montenegros sind von Bergen bedeckt. Bislang kenne ich sie nur von unten. Wir verlassen das Tal der Moraca. Nun erklimmt der Reisebus die Höhen. In einem weiten Bogen zieht sich die Straße entlang des Berghangs hoch. Immer wieder erhasche ich schöne Ausblicke ins Tal und auf das Bergpanorama. Die Klosteranlage wirkt von hier oben wie die Faller-Häuschen auf einer Spielzeugeisenbahn. Schließlich erreichen wir in eintausend Meter Höhe den Pass und dahinter ein saftiges Hochtal. Auch die Eisenbahn hat es bis hier hoch geschafft und kann sich nun auf der flachen Strecke erst mal ausruhen.
Der Bus muss weit ausholen, um ohne Schrammen auf die schmale Brücke zu kommen. Es ist die Zufahrt zum Biosphärenreservat Biogradska Gora. Immer höher schraubt sich der Bus in zahllosen Kurven und Serpentinen. Die PKWs hinter uns müssen sich in Geduld üben. Der Lohn ist ein Bergsee, der sich zwischen dem alten Baumbestand eingerichtet hat. Welch eine Einsamkeit zwischen diesen hohen Bergen. Diese Einsamkeit teile ich mit den 50 Mitreisenden unseres Busses und den Reisenden anderer Busse, die sich hier in nicht aller Stille versammelt haben. Brautpaare, deren Trauzeuginnen in Stöckelschuhen über den Waldboden stolpern, lassen sich vor romantischer Kulisse am Seeufer ablichten. Die Bergeinsamkeit wird froh sein, wenn wir sie wieder verlassen haben.
Zabljac steht auf dem Wegweiser, dem der Bus in Mojkovac folgt. Wir verlassen die Hauptstrasse, die nach Belgrad führt, und folgen einem kleinen Tal. Mir fällt auf, dass sich die Bauweise der Häuser hier deutlich von dem mediterranen Einheitsbaustil an der Küste unterscheidet. Die Dächer haben ein Spitzdach, fallen nach allen vier Seiten ab und sind vielfach grün. Auch neue Häuser werden in diesem Stil gebaut. Schon bald gräbt sich das kleine Flüsschen Tara neben der Straße in das Gestein ein und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Eine Rafting-Station lädt uns zu einer Bootstour ein. "Nein danke, heute nicht, vielleicht das nächste Mal," denke ich mir. Die Straße muss sich inzwischen ihren Weg entlang des steilen Abhangs suchen. In einer engen Kurve hält der Bus plötzlich an. Der Reiseleiter mahnt uns, nicht auszusteigen, sondern nur nach rechts zu schauen. Dort sehen wir tief unten das Flussbett der Tara, eingezwängt zwischen Felsen und Geröll. Der Aussteig wäre eh nur etwas für sehr mutige Menschen, denn wenn es hier je eine Leitplanke gegeben hat, dann ist sie schon lange beim Schrotthändler gelandet. Gut 50 Meter geht es steil nach unten. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen geht es weiter. Die Tara-Schlucht, so erläutert der Reiseleiter, ist mit 78 Kilometern Länge und 1300 Metern Tiefe an der ausgeprägtesten Stelle die größte Schlucht Europas, und zählt mit der Colorado-Schlucht in den USA, dem Colca-Tal in Peru und ein paar asiatischen Schluchten zu den größten und eindrucksvollsten der Welt.
Im kühnen Bogen spannt sich die Đurđevića-Tara-Brücke über die Schlucht. Die Fahrbahn ist geschwungen und passt sich damit organisch in die Landschaft ein. Mit Ehrfurcht betrete ich das Bauwerk und schaue nach unten. Einhundertfünfzig Meter unter mir steuern zwei Rafting-Boote durch das Wildwasser. Die Brücke wurde von 1938 bis 1940 nach den Plänen des Architekten Mijat S. Trojanović erbaut. 1942 legte der Architekt als Partisan selbst den Sprengsatz, um einen Bogen der Brücke zu sprengen. Als die italienischen Besatzer seiner habhaft wurden, haben sie ihn im Angesicht der zerstörten Brücke hingerichtet. Ein Denkmal erinnert heute an ihn. Die meisten Besucher würdigen diese Gedenkstätte keinen Moment, sondern strömen auf die Brücke. Wild ist die Landschaft, die Berge türmen sich auf und zwängen den kleinen Fluss Tara in die enge Schlucht. Irgendwo dort oben müssen die Nachkommen des Schut aus dem Karl-Mai-Roman noch leben.
Ein Motorgeräusch schreckt mich auf. Versonnen bin ich über die schmale Fahrbahn gegangen und stehe nun vor einem kleinen Lieferwagen. Der Fahrer kennt wohl die Gedankenlosigkeit der Touristen angesichts dieses tollen Spektakels und ist selbst aufmerksam. Mein Interesse war auf die Zip-Line gerichtet. Stell dir vor, du sitzt auf einem schmalen Brett, das an einem Stahlseil hängt. Du bist natürlich mit einem Gurt gesichert. Dann gibt dir der Helfer einen kräftigen Anstoß und ab geht die Fahrt über den Abgrund. Tief unter dir siehst du die Schlucht mit dem tosenden Wasser. Gefühlte zehn Minuten hast du Zeit, dich an dieses mulmige Gefühl zu gewöhnen, bevor du die Talstation auf der anderen Seite der Schlucht erreichst. Gerade rauscht wieder eine junge Frau auf dem schmalen Sitz vorbei. Zumindest versucht sie es, doch sie bleibt über dem Abgrund stecken. Was muss jetzt in der jungen Frau vorgehen? Doch schnell kommt ein Mitarbeiter mit einem elektrobetriebenen Gefährt am Sicherungsseil, um sie den Rest der Strecke zu begleiten. So eine Seilfahrt ist doch eigentlich lustig und sicher auch, denke ich mir, aber es kommt mir nicht in den Sinn, mich drüben an der Bergstation in die lange Schlange für eine Schussfahrt anzustellen. Auf der Brücke selbst findet das Marathon der Selfies statt. Klick und abgeschickt an die Freunde in aller Welt von Nagasaki über Kiew bis nach Berlin.
Ein Motorgeräusch schreckt mich auf. Versonnen bin ich über die schmale Fahrbahn gegangen und stehe nun vor einem kleinen Lieferwagen. Der Fahrer kennt wohl die Gedankenlosigkeit der Touristen angesichts dieses tollen Spektakels und ist selbst aufmerksam. Mein Interesse war auf die Zip-Line gerichtet. Stell dir vor, du sitzt auf einem schmalen Brett, das an einem Stahlseil hängt. Du bist natürlich mit einem Gurt gesichert. Dann gibt dir der Helfer einen kräftigen Anstoß und ab geht die Fahrt über den Abgrund. Tief unter dir siehst du die Schlucht mit dem tosenden Wasser. Gefühlte zehn Minuten hast du Zeit, dich an dieses mulmige Gefühl zu gewöhnen, bevor du die Talstation auf der anderen Seite der Schlucht erreichst. Gerade rauscht wieder eine junge Frau auf dem schmalen Sitz vorbei. Zumindest versucht sie es, doch sie bleibt über dem Abgrund stecken. Was muss jetzt in der jungen Frau vorgehen? Doch schnell kommt ein Mitarbeiter mit einem elektrobetriebenen Gefährt am Sicherungsseil, um sie den Rest der Strecke zu begleiten. So eine Seilfahrt ist doch eigentlich lustig und sicher auch, denke ich mir, aber es kommt mir nicht in den Sinn, mich drüben an der Bergstation in die lange Schlange für eine Schussfahrt anzustellen. Auf der Brücke selbst findet das Marathon der Selfies statt. Klick und abgeschickt an die Freunde in aller Welt von Nagasaki über Kiew bis nach Berlin.
Der Reiseleiter ruft und ich muss mich losreißen von diesem Spektakel. Spätestens jetzt wünsche ich mir den Mietwagen herbei, da der Bus im Höllentempo von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten jagt. Doch für eine gemütliche Fahrt mit dem Mietwagen hätten wir mindestens zwei Tage einplanen müssen. Dazu ist eine Woche Aufenthalt im Land der schwarzen berge viel zu kurz. Apropos schwarze Berge: bislang habe ich die Berge nur als Grün und bisweilen als karstiges Weiß erlebt. Aber noch sind wir nicht am höchsten Punkt unseres Ausflugs angekommen.
Wieder spuckt uns der Bus aus. Eine Stunde gibt uns der Reiseleiter für den Weg zum Crno Jezero, dem schwarzen Waldsee im Durmitor-Nationalpark. Der Weg zum See ist gespickt mit kleinen Buden, an denen die Naturprodukte der Region angeboten werden: Honig, Fruchtmarmelade, Kräutertee, eingelegte Nüsse, Steinpilze frisch und getrocknet, Wein und Becher mit frischen Waldbeeren. Eh ich mich versehe, hält Renate mir schon einen Fruchtbecher hin. Sie war halt schneller an ihrem Geldbeutel als ich. Je weiter wir auf dem Weg zum See kommen, desto tiefer fällt der Preis für die getrockneten Steinpilze, von 45 Euro das Kilo auf 25 Euro. Der Weg führt über eine kleine Anhöhe. Oben steht ein Bänkchen im Schatten der hohen Bäume. Ich lasse mich nieder und beobachte die Menschen auf dem Weg zum und von dem See, bis Renate und Winni mich auf dem Rückweg wieder auflesen. |
"Wie in den Dolomiten" sage ich spontan, als wir den Gebirgsstock des Durmitor passieren. Bis über 2400 Meter türmen sich zahlreiche Berge in die Höhe. Immer wieder sehe ich Ferienhaussiedlungen entlang der Landstraße, erbaut im Stil finnischer Holzhäuser, aber mit dem typischen grünen Dach dieser Region. Dies ist das Wintersportzentrum von Montenegro. Die Wiesen sind sattgrün und ziehen sich über sanfte Hügel am Fuß des hohen Berge. Heuschober zieren sie. Die Dächer sind tief herunter gezogen, das Zeichen einer schneereichen Gegend. Der Herbst kündigt sich an, die ersten Bäume kleiden sich bunt. Es ist Zeit für die Mittagspause.
Langsam senkt sich die Sonne. Jetzt, im Licht der schleierverhangenen Nachmittagssonne sind die hintereinander gestaffelten Berge grau und dunkel. Nun wird mir bewußt, warum Montenegro als Land der schwarzen Berge bezeichnet wird.
Der Reiseleiter erzählt stolz, dass es in dem kleinen Montenegro sechs Nationalparks gibt. Er preist mit diesem Argument seine Heimat als ökologisches Land, während dessen ich die Plastikflaschen und bunten Plastiktüten zähle, mit denen der Straßenrand zugemüllt ist. Allein diese sechs Nationalparks sind schon eine Reise wert. Das mit der Ökologie muss man hier noch lernen.
Der Reiseleiter erzählt stolz, dass es in dem kleinen Montenegro sechs Nationalparks gibt. Er preist mit diesem Argument seine Heimat als ökologisches Land, während dessen ich die Plastikflaschen und bunten Plastiktüten zähle, mit denen der Straßenrand zugemüllt ist. Allein diese sechs Nationalparks sind schon eine Reise wert. Das mit der Ökologie muss man hier noch lernen.
Langsam schält sich das mächtige Kreuzfahrtschiff aus dem Dunst des Horizonts und passiert die Meerenge, die von drei Festungen bewacht wird. Ein grauer Himmel hat den Sonnenschein der vergangenen Tage abgelöst. Ich stehe auf der obersten Plattform der Forte Mare von Herceg Novi, einem Bollwerk, dessen ebenso graue wie wehrhafte Mauern den kleinen Hafen bewachen. Der alte Ortskern hinter mir streckt sich rechter Hand aus, geht in ein Sammelsurium von Hotelbauten im mediterranen Einheitsstil über. Dahinter beginnt eine schmale langgezogene Halbinsel, die sich vor mir bis zur Meeresmündung zieht. Der diesseitige Hügelhang gehört noch zu Montenegro, der rückseitige zu Kroatien. Über mir flattert die montenegrinische Fahne im steifen Wind, der gleiche Wind, der in der Bucht die Wellen vor sich her treibt. Tief unter mir räkeln sich am schmalen Kiesstrand eine Handvoll Strandschönheiten. Über deren Tugend wacht die große Statue von König Stefan Tvrtko I. Linker Hand öffnet sich die Bucht, hier Boka genannt, weit nach Südosten. Früher muss dies ein Eldorado für Seeräuber gewesen sein, denn vom Meer her ist die große Bucht nicht einzusehen. Doch diese Zeit ist schon lange vorbei. Die Herrscher des Hinterlandes erkannten früh den strategischen Wert der Bucht und ließen sich im 14. Jahrhundert hier nieder. Zwischen den schmucken Häusern sehe ich immer wieder Reste der alten Festungsanlage. Das milde Klima sorgte schon früh für zahlungskräftige Badegäste, sodass sich der Ort heute mit schöner Architektur schmückt, zumindest, was den Ortskern betrifft. Die Bausünden rechts und links der Altstadt sind die Opfergaben des jugoslawischen Sozialismus für das Volk, das auch an dieser schönen Bucht teilhaben wollte. Diese Gegend ist die Urzelle des Tourismus in Montenegro. Die Spitze des Orjen-Gebirges in meinem Rücken hüllt sich in Wolken.
Langsam gleitet das Ausflugsboot an der Küste der Boka entlang. Boka heißt Mund. Boka Kotorska, wie der genaue Name dieses Fjordes lautet, ist der dritte Nationalpark, den wir in dieser Woche kennen lernen. Die Bucht scheint kein Ende zu nehmen. Am nördlichen Ufer, der Sonnenseite, reihen sich kleine Ortschaften, aus deren Mitte die Kirchturmspitzen ragen. Auch in den dem Orjen-Gebirge vorgelagerten Hügeln haben sich fromme Mönche niedergelassen und Sakralbauten errichtet.
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Große Hafenkräne bemühen sich, die Frachtschiffe zu entladen. Doch ihre Zeit scheint gezählt. Bijela im mittleren Teil der Boka ist für seine Werftindustrie und den Wirtschaftshafen bekannt. Doch hinter den Hafenkränen recken sich jetzt Baukräne in den Himmel. Gerade wird dort Porto Novi aus dem Boden gestampft, eine Exclusiv-Enklave für die Reichen dieser Welt, eine supermoderne Stadt mit zahlreichen Anlegestellen für Luxusjachten. Die Boka ist schon seit einiger Zeit Treffpunkt des internationalen Jetset geworden, zuerst in Tivat am gegenüber liegenden Ufer, und jetzt Bijela. Die Regierung hat diesen Trend kräftig gefördert, der Sprit für die Jachten ist steuerfrei, irgendwo wollen die Milliardäre ja auch sparen.
Vor mir taucht Verige, die engste Stelle der Boka auf: Nur zweihundert Meter liegen das Nord- und das Südufer auseinander. Für einen kleinen Moment beleuchtet ein Sonnenstrahl die grün patinierte Kuppel der Kirche auf der kleinen Halbinsel. Dann zieht sich der Himmel wieder zu. Langsam gleitet unser Schiff an den Ortschaften rechts und links der Engstelle vorbei. Wieder ein Kirchturm! Beim Näherkommen erkenne ich, dass er zu einer komplett neuen Ortschaft gehört, die vom Seeufer den Hang hoch gezogen wird, Einheitsbaustil für alle Häuser im Planquadrat. Die Boka ist ein begehrter Ort für Investoren geworden.
Hinter der Engstelle weitet sich die Bucht wieder. Hohe Berge säumen das Ufer. Das Schiff steuert geradewegs auf ein kleines Eiland zu. Nur eine Kirche und ein Nebengebäude stehen auf der flachen Insel. Es ist Gospa od Škrpjela, auf Deutsch: Sankt Marien auf dem Felsen. Angeblich haben zwei Fischer im Jahr 1452 auf einem Felsen im See eine Ikone mit dem Bildnis der Gottesmutter gefunden. Zu ihren Ehren wurde der Felsen befestigt und die Kirche darauf gebaut. Seit damals findet jedes Jahr eine nächtliche Bootsprozession von Perast am Ufer bis zur Insel statt. Jedes dieser Fischerboote ist mit Steinen beladen, die rund um das Eiland im See versenkt werden, um diese künstliche Insel zu stabilisieren. Ach ja, nur Männer dürfen das machen.
Wir sind nicht die einzigen, die diese Insel besuchen. Während ich um die Kirche herum gehe, um mir die schönste Fotoperspektive zu suchen, kommt ein starker Wind auf. Renate und Winni schaffen er gerade noch bis in die Kirche,. Ich suche Schutz auf unserem Ausflugsboot. Dann fallen dicke Regentropfen vom Himmel. Erst ein paar, dann immer mehr, dann schüttet es wie aus Kübeln. Wer vom Regen überrascht wurde, zieht sich irgendetwas über den Kopf und rennt zu seinem Schiff. Auf Regen war natürlich niemand vorbereitet. In einer kurzen Regenpause kommen Renate und Winni zurück aufs Schiff. Doch die Pause währt nur kurz. Der Regenvorhang zieht sich schnell wieder zu und lässt das Ufer und die Inseln bei der Weiterfahrt nur schemenhaft erscheinen. Schade um die Aussicht auf die schönen Städtchen, die jetzt am Ufer vorbei gleiten.
Doch wie im April wechseln Regen und Sonnenschein. So sind die schmucken Ortschaften entlang der Boka doch immer wieder zu sehen. Schließlich erreichen wir das Ende der Bucht. Vor uns liegt Kotor mit seiner prächtigen Altstadt. Zwei mächtige Kreuzfahrtschiffe liegen am Kai. Doch wo ist die berühmte Altstadt? Fast scheint es, dass auch unser Kapitän die Altstadt sucht, den er dreht zwei Runden in der Bucht. Schließlich kommt die Ansage, dass wir wegen des starken Windes nicht anlegen können. Enttäuschung macht sich breit. Doch der Kapitän versucht, zu beruhigen: "Wir bringen Sie zurück nach Tivat. Dort stehen Busse bereit, die Sie nach Kotor bringen."
Die Altstadt von Kotor, Weltkulturerbe, 1979 durch ein starkes Erdbeben zerstört, inzwischen wieder aufgebaut. Als ich endlich vor dem Tor zur Altstadt stehe, weiß ich, warum wir die Altstadt vom Wasser aus nicht gesehen haben. Das große Kreuzfahrtschiff liegt keine fünfzig Meter von der Stadtmauer entfernt am Kai. Es überragt die gesamte Stadt. Durch das enge Tor drängen sich die Touristen. Die Hilfen zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben haben viele Bewohner wohl zum Anlass genommen, sich ausserhalb der Altstadt neu an zu siedeln. Fast in jedem Haus in den engen Gassen ist ein Laden, der auf die Geldbürsen der Touristen lauert. Wo sich keine Ladentür öffnet, ist meist eine kirchliche oder kommunale Einrichtung untergebracht. Nach der Irrfahrt auf dem See bleibt uns nur eine halbe Stunde für diese historische Städte, die am Fuß einer hohen Steilwand kauert.
Inzwischen hat sich auch bei uns herum gesprochen, dass der Wetterumsturz uns den Bora gebracht hat, einen starken Wind, der die kroatische Küste herunter jagt. Das sind keine schönen Aussichten für uns, denn der Bora wird die nächsten Tage das Land regieren. Die Wellen auf dem See werden stärker, der Schiffsmotor muss harte Arbeit leisten, um uns nach Tivat zu bringen. Uns gegenüber sitzt ein junges serbisches Pärchen am Tisch. Sie waren auch nicht auf dieses Wetter vorbereitet. Die junge Frau friert sich zu Tode. Renate legt ihr ihren Schal um, das hilft. Wieder beleuchtet ein Sonnenstrahl das Ufer. "Jetzt fehlt nur noch der Regenbogen," meint der junge Mann. Wie auf Bestellung geht plötzlich ein lang gezogenes "Ohhhhh" durch das Schiff. Da steht der Regenbogen, wunderschön, über dem See. Ich stürme mit allen anderen raus aufs Deck. Die Windböen sind so stark, dass sie mir die Worte, kaum formuliert, von den Lippen reißen. Doch dieses Erlebnis tröstet über das ansonsten triste Wetter hinweg.
Hinter dem Tunnel von Kotor nach Tivat beginnt die Welt des Luxus, so scheint es mir. Eine endlose Reihe von Werbetafeln wie entlang der Highways in den Vororten amerikanischer Großstädte wirbt für Parfüm, exklusives Outfit für Kinder, Autos, Möbel und Immobilien, die sich der Normalbürger von Montenegro mit Sicherheit nicht leisten kann. Aus dem Militärflughafen von Tivat ist ein Landeplatz für Privatjets geworden. Über einen kleinen Hügel erreichen wir die Bucht von Budva. Eigentlich ist die Natur der Reichtum von Montenegro. An den Stränden rund um Budva wird sie wild zugebaut. Da es nicht mehr möglich ist, in die Breite zu bauen, geht es jetzt in die Höhe, sowohl auf einem handtuchbreiten Grundstück, als auch am Steilhang. Die Sünden der 70er Jahre in Spanien lassen grüßen.
Abschied am Abend. In einem kleinen Restaurant in einer Seitengasse hinter unserem Hotel lassen wir die Woche zur Livemusik einer Männercombo ausklingen. Draußen pfeift der Bora. Die junge Frau vor der Tür, deren Aufgabe es ist, Gäste ins Restaurant zu komplimentieren, zieht sich ihre dünne Jacke noch fester um die Schultern. Die Strandpromenade ist leer gefegt. Ich sinniere, welchen Eindruck Montenegro bei mir hinterlässt. Auf dem kurzen Weg zum Hotel baut sich bei mir das Bild von der Ankunft am Flughafen auf: Ein alter verrosteter Traktor, Hinterlassenschaft der sozialistischen Ära, zieht die Gangway zum Flugzeug. Das ist, wie mir scheint, typisch für dieses Land zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein Land im Aufbruch. In einem Teil brescht die Zeit voran, in dem anderen ist sie noch stehen geblieben. Und alles liegt eng beieinander. Hinter dem Horizont glüht noch einmal die Sonne auf, bevor sie uns verlässt.