(Mit) Odysee* nach Istrien
April 2011
Genau 22:00 Uhr zeigt die Digitaluhr am Ostersamstag, als der Bus sich endlich in Bewegung setzt. Eine lange Fahrt durch die Nacht liegt vor uns, ich habe es mir in der vierten Reihe auf einem Doppelsitz gemütlich gemacht. Es war eine freundschaftliche Begrüßung der Mitreisenden, von denen ich schon einige von den zahlreichen weihnachtlichen Fahrten nach Südspanien in den letzten 20 Jahren kenne. Mild ist der Abend, lau die Luft, „für die Jahreszeit zu warm“ würden die Meteorologen sagen. Der Tag hatte schon sehr früh mit einer spontanen Ballonfahrt über die Wetterau begonnen und so schön wie der Sonnenaufgang bei der Fahrt zur Ronneburg, so schön auch der Sonnenuntergang während wir vor dem Subway irgendwo im Mainzer Gewerbegebiet auf den Bus warten.
Ich bin müde. Mehr als 200 Kilometer habe ich in dieser Woche auf dem Fahrrad zurückgelegt, die Kreise rund um Hanau werden immer weiter. Und zum ersten Mal sitze ich ohne Inge im Sambabus. Ein merkwürdiges beklemmendes Gefühl beschleicht mich, Erinnerungen werden wach, ich lasse sie hoch schwappen. Ich kann ein begonnenes Gespräch mit einer Mitreisenden nicht weiterführen, es schnürt mir den Hals zu. Gut wäre es, jetzt jemand ganz Vertrautes neben mir zu haben, einem Menschen, mit dem ich reden könnte, ohne lange auszuholen, der mich einfach versteht, eine Schulter, an die ich mich anlehnen könnte. Es ist die emotionale Einsamkeit, die mich bedrückt. Ich lasse den Gedanken freien Lauf. Langsam hüllt die Nacht mich ein.
Sardinen haben es einfacher. Abwechselnd mit Kopf nach oben und nach unten werden sie in die Büchse eingelegt, Deckel drauf, fertig. Es gibt etwa 324 verschiedene Stellungen, wie man in einem Bus schlafen kann, auf dem Boden lang und quer, über dem Doppelsitz hängend und mit dem Kopf auf der Vorderlehne, die Füße hoch und gekreuzt, eingerollt und im Schneidersitz. Ich habe sie, glaube ich, in dieser Nacht alle durchprobiert. Dromedare können ihre Beine zweimal einknicken, Menschen nur einmal, ich beneide sie in diesem Moment, sie sind dem Menschen entwicklungsmäßig also nicht nur im Wasserspeichern weit voraus. Nüchterne Erkenntnis in dieser Nacht: im Bett schläft es sich eindeutig besser. Ich wünsche mir in diesem Moment ein weiches Bett. In der Schlafstellung des Adels finde ich dann doch den Schlaf. Du kennst diese Schlafstellung nicht? Der Adel hatte in früheren Jahren Angst, im Liegen zu schlafen, denn dann könnten die inneren Organe zerdrückt werden von ihrem Gewicht und man wusste ja auch, dass Tote nur liegen können und hatte Angst, deswegen nicht mehr lebend aufzuwachen. Zudem kam die komplizierte Kleidung samt Perücke, die man auch ungern ablegte, also lehnte man sich einfach mit dem Rücken an die Wand und fand sitzend den Schlaf. Das sicherte so manchem zwar auch nicht das Leben, aber das hatte dann andere Gründe.
Ich bin müde. Mehr als 200 Kilometer habe ich in dieser Woche auf dem Fahrrad zurückgelegt, die Kreise rund um Hanau werden immer weiter. Und zum ersten Mal sitze ich ohne Inge im Sambabus. Ein merkwürdiges beklemmendes Gefühl beschleicht mich, Erinnerungen werden wach, ich lasse sie hoch schwappen. Ich kann ein begonnenes Gespräch mit einer Mitreisenden nicht weiterführen, es schnürt mir den Hals zu. Gut wäre es, jetzt jemand ganz Vertrautes neben mir zu haben, einem Menschen, mit dem ich reden könnte, ohne lange auszuholen, der mich einfach versteht, eine Schulter, an die ich mich anlehnen könnte. Es ist die emotionale Einsamkeit, die mich bedrückt. Ich lasse den Gedanken freien Lauf. Langsam hüllt die Nacht mich ein.
Sardinen haben es einfacher. Abwechselnd mit Kopf nach oben und nach unten werden sie in die Büchse eingelegt, Deckel drauf, fertig. Es gibt etwa 324 verschiedene Stellungen, wie man in einem Bus schlafen kann, auf dem Boden lang und quer, über dem Doppelsitz hängend und mit dem Kopf auf der Vorderlehne, die Füße hoch und gekreuzt, eingerollt und im Schneidersitz. Ich habe sie, glaube ich, in dieser Nacht alle durchprobiert. Dromedare können ihre Beine zweimal einknicken, Menschen nur einmal, ich beneide sie in diesem Moment, sie sind dem Menschen entwicklungsmäßig also nicht nur im Wasserspeichern weit voraus. Nüchterne Erkenntnis in dieser Nacht: im Bett schläft es sich eindeutig besser. Ich wünsche mir in diesem Moment ein weiches Bett. In der Schlafstellung des Adels finde ich dann doch den Schlaf. Du kennst diese Schlafstellung nicht? Der Adel hatte in früheren Jahren Angst, im Liegen zu schlafen, denn dann könnten die inneren Organe zerdrückt werden von ihrem Gewicht und man wusste ja auch, dass Tote nur liegen können und hatte Angst, deswegen nicht mehr lebend aufzuwachen. Zudem kam die komplizierte Kleidung samt Perücke, die man auch ungern ablegte, also lehnte man sich einfach mit dem Rücken an die Wand und fand sitzend den Schlaf. Das sicherte so manchem zwar auch nicht das Leben, aber das hatte dann andere Gründe.
Als ich nach 4 Stunden aufwache, blicke ich durch das Busfenster auf ein Schneefeld, bevor ich es richtig realisiere, taucht der Bus in den Tauerntunnel ein. Auf der Südseite der Tauern setzt schon die Morgendämmerung ein. Wie ein dünner Nebelschleier ziehen Rauchschwaden aus dem Kamin eines Bauernhauses und liegen über dem kleinen Tal. Noch zeigt die Morgengöttin im Osten wenig Interesse an ihrem Farbenspiel, hat ihre Wolkendecke bis über den Kopf hochgezogen und schlummert noch etwas vor sich hin.
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Da ich schon mal wach bin, begebe ich mich mit kühnem Schwung über die quer liegenden Schlafenden zum Fahrer, um mich am frühen Smalltalk mit Rudi und Chris zu beteiligen. Die kleinen Dörfer entlang der Strecke liegen noch im Schlaf, leer das graue Band der Autobahn. Wir bedauern gemeinschaftlich, dass der Bus keinen Tisch mehr hat. Was waren das noch für Zeiten, als wir die Nacht im Bus mit Skatspielen vertrieben, und der Verlierer bei dem zweistündlichem Stopp den Kaffee bezahlen musste.
Auf der Höhe von Villach hat Eos, die Göttin der Morgenröte, dann auch ausgeschlafen und blinzelt mir zwischen den Wolkendecken zu. So mancher Vater wird nun auch rechts und links der Autobahn durch den Garten schleichen, heimlich wie ein Dieb, um dem Osterhasen beim Verstecken der Ostereier zur Hand zu gehen, auf dass die Kinder später beim Sonnenschein bei jedem gefundenen Nest jauchzen können. Schäfchenwolken bedecken den Himmel, noch sind es großen alten Böcke, die sich gemächlich aus der amorphen Masse herauslösen und gemächlich herumstehen, erst später werden dann die Osterlämmer klein und lustig über den Himmel huschen. Als der Bus den Karawanken Tunnel verlässt, begrüßt uns nicht nur ein mehrsprachiges Willkommensplakat als Gast in, sondern auch die Sonne, die jetzt ihre ganze Pracht über die Landschaft streut. Sehr schnell öffnet sich das schmale Tal zu einem weiten Rund, hinter uns die schneebedeckten Berge der Alpen, die uns in einen wunderschönen Tag entlassen.
Auf der Höhe von Villach hat Eos, die Göttin der Morgenröte, dann auch ausgeschlafen und blinzelt mir zwischen den Wolkendecken zu. So mancher Vater wird nun auch rechts und links der Autobahn durch den Garten schleichen, heimlich wie ein Dieb, um dem Osterhasen beim Verstecken der Ostereier zur Hand zu gehen, auf dass die Kinder später beim Sonnenschein bei jedem gefundenen Nest jauchzen können. Schäfchenwolken bedecken den Himmel, noch sind es großen alten Böcke, die sich gemächlich aus der amorphen Masse herauslösen und gemächlich herumstehen, erst später werden dann die Osterlämmer klein und lustig über den Himmel huschen. Als der Bus den Karawanken Tunnel verlässt, begrüßt uns nicht nur ein mehrsprachiges Willkommensplakat als Gast in, sondern auch die Sonne, die jetzt ihre ganze Pracht über die Landschaft streut. Sehr schnell öffnet sich das schmale Tal zu einem weiten Rund, hinter uns die schneebedeckten Berge der Alpen, die uns in einen wunderschönen Tag entlassen.
Die Landstraße führt weg vom Meer einen Hügel hoch zur Grenze von Kroatien, es ist Zeit zum Frühstück. Mit der Kaffeetasse in der einer Hand und einem Schokocroissant in der anderen lässt sich der Panoramablick über die Bucht von Koper besonders schön genießen. Wir lernen, dass wir einen Macchiato bestellen müssen, wenn wir einen Latte Macchiato haben wollen, andere Länder, andere Sitten, und wenn wir dann eine besonders große Portion haben wollen, dann hilft es nicht zu sagen, dass wir einen großen Macchiato haben wollen, sondern dann müssen wir auf das besonders große Glas zeigen und beharrlich darauf bestehen, dass es gefüllt wird, Ich habe diese Lektion zu spät gelernt.
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Einst war Vrsar ein beschauliches Fischerdörfchen an der istrischen Westküste, auch wenn Giacomo Casanova und die Bischöfe von Porec hier bisweilen urlaubten. Der moderne Massentourismus begann schon 1961, als die vorgelagerte Insel Koversada hochoffiziell und mit amtlichem Stempel zur FKK-Insel erklärt wurde. Heute prangt an vielen Häusern die Schrift „Apartment“, neue Viertel sind entstanden und die Fischerboote im Hafen muss man schon zwischen den zahlreichen Yachten suchen. Dennoch ist der Ort von den Bausünden des Massentourismus verschont geblieben, die Neubauten haben sich dem überkommenen Baustil angepasst. So ist der Kirchturm immer noch das im wahrsten Sinne des Wortes herausragende Bauwerk, die Krönung des Hügels, auf dem das alte Vrsar liegt, eine angenehme Stadtkulisse im warmen Morgenlicht, egal von welcher Seite man sich nähert.
Schon am ersten Tag schlendere ich gemütlich durch die engen Gassen, die immer wieder auf kleine Plätze führen, wo man wahlweise in der Sonne oder im Schatten in einem kleinen Buffet seinen Machiato genießen kann. Im Sommer steht sich sicher die Touristen die Beine in den Bauch, um einen der begehrten Schattenplätze zu ergattern, doch jetzt herrscht angenehme Ruhe und die Sonnenplätze sind sowieso die begehrteren. In den kleinen Hanggärten neben den Häusern sind die Feigen schon auf Essgröße herangereift und harren der warmen Frühlingssonne um süß und weich zu werden. Acht Eisdielen hat die kleine Viola gezählt, achtmal kühles Vergnügen, wenn auch nicht am selben Tag, derweil unten im Hafen die Ausflugsboote saisonverschlafen dümpeln. Draußen vor der Küste tummeln sich ein paar kleine Eilande zwischen den wenigen Segelbooten, die sich jetzt aufs Meer heraustrauen. Und des Abends sitzen die Alten immer noch auf dem Bänkchen vor der Haustür und halten mit den Vorbeikommenden ein Schwätzchen. Das kenne ich nur noch aus meiner Kindheit, wir nannten es damals maien.
Unsere Apartments liegen am Ortseingang, dort wo tagsüber ein Esel klischeehaft weidet, ein Fotomotiv „wie aus alten Tagen“, Meerblick gibt es hier keinen, dafür abends Igel im Garten und Frühstück unterm Mandelbaum. Jeder kennt die Geschichte von Nikolausi und dem Osterhasi, am Sonntagmorgen beim Einkauf im Konzum wurde sie zur Realsatire: Osterhasen gab es keine zu kaufen, dafür Schoko-Nikoläuse von Lindt im Angebot, wenn Gerhard Polt das wüsste. Aber dann habe ich nach langem Suchen doch noch einen Osterhasen als Geselle für den Nikolaus gefunden. Und wie man sieht, haben sie sich auch schon mit Kuschel und Stups angefreundet.
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25. April: Egal, ob Fjord oder Kanal, der Limski-Kanal ist einen Besuch wert, und auch zwei.
Istrien ist ein Stück größer als das Saarland und hängt wie eine Rebe mit prall reifen Trauben an der Nordecke der Adria, aufgehängt am Dreiländereck von Italien, Slowenien und Kroatien. Die lange venezianische und kurze italienische Herrschaft hat ihre Spuren in Gastronomie, Sprache und Brauchtum hinterlassen. Die drei geografischen Regionen Rot-Istrien, Gelb-Istrien und Weiß-Istrien sind nicht politischer Natur, sondern der Farbe des Bodens geschuldet, die den Kalkstein bedeckt. Eisenoxid hat hier im Westen die Erde rot gefärbt. Die Erosion des Kalksteins hat die Karstlandschaft gestaltet, die zerklüftete Küste ebenso geschaffen wie die zahlreichen Höhlen. Am Flughafen von Vrsar stellt Chris den Bus ab. Einige Cesnas stehen hier. Auch einige Oldtimer, die ihre Glanzzeit schon lange hinter sich haben, warten am Rande des Flugfeldes halb in Büschen versteckt auf den Liebhaber, der sich ihrer erbarmt. Von hier führt ein Radweg den Limski-Kanal entlang, staubig und geschottert, man muss schon mit guten Reifen ankommen. Wir nehmen den Radweg zu Fuß. Vor vielen Millionen Jahren wollte ein griechischer Gott seiner Angebeteten ein Stück Apfel abschneiden. Ungeschickt wie man in solch einer Situation ja oft ist, rutschte sein Messer aus und schlitzte die Landschaft von der Küste aus bis weit ins Landesinnere auf. Heute ist der Schnitt eine der Hauptattraktionen der istrischen Küste, so dass die kroatische Regierung nur noch Ausflugsbooten den Zugang zum Kanal gewährt. Fische und Muscheln fühlen sich in dem Kanal sehr wohl, eine Fischfarm reiht sich an die andere, ebenso wie Muschelbänke. Die zahlreichen Möwen wissen es zu schätzen.
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Unsere Wanderung führt uns zur Piratenhöhle, und würde der Lautsprecher der Bar nicht irgendwelche Schlager plärren, so wäre die Idylle nicht zum Aushalten. Die Piratenhöhle liegt am Steilhang des Kanals in halber Höhe, etwa 30 Meter geht es in den Fels hinein, für die Passagiere der Ausflugsboote ein Muss. Jetzt in der Vorsaison ist es noch ruhig, vom Ausguck aus kann man weit in den Limski-Kanal hinein blicken, doch mehr als zwei Personen dürfen da nicht hoch, etwas abenteuerlich ist die Konstruktion schon. Ich hole schon mal tief Luft für den Rückweg, denn es gilt über einen steilen Pfad wieder 50 Höhenmeter zu überwinden, derweil die Jugendlichen der Reisegruppe unten im Wasser plätschern. Die Küste Istriens ist wahrlich nichts für Liebhaber langer ausgedehnter Sandstrände, wer die sucht, muss sich schon an die gegenüberliegende italienische Seite der Adria begeben. Dafür finden sich hier überall ruhige Buchten, die in die zerklüftete Küste eingeschnitten sind. In diesen Buchten fanden die Piraten, die in früheren Jahren den venezianischen Dogen etwas von ihrem Reichtum abjagen wollten, eine Zeitlang Unterschlupf.
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Auf halber Höhe stoße ich auf einen metallenen Käfig, der hoch über dem Abgrund hängt. Sicher haben dort die Piraten widerspenstige venezianische Adlige eingesperrt und des morgens ins Meer getaucht, um das Lösegeld zu erpressen. Glaubt ihr nicht? Na ja, hätte doch so sein können, die einsame Küste gibt allerlei Anlass zu derartigen Fantasien.
Am nächsten Morgen erkunden wir den hinteren Teil des Limski-Kanals. In der Nacht hatte es geregnet, dicke Tropfen an meinen Fensterladen geklopft. Doch ich war zu müde, um sie hereinzulassen und so zogen sie weiter. Zum Frühstück unter dem Mandelbaum ist es wieder frühlingshaft warm. Schon der Weg dorthin zeugt von der Attraktion für Touristen. Erst reiht sich ein Restaurant an das andere, in dem knusprige Spanferkel schon am Vormittag am Grill brutzeln. Schön einladend sehen sie ja aus, aber es ist noch zu früh, ein andermal werde ich ihnen meine Aufwartung machen. Buden am Straßenrand mit Ausguck folgen, von ihnen kann man einen Blick in den Kanal werfen, doch zuvor wird uns von den Budenbesitzern großzügig Käse zum Probieren angeboten. Schafskäse geräuchert und ungeräuchert, Ziegenkäse mit und ohne Trüffel, mmmh, ich kann nicht widerstehen und ein runder Käselaib wandert in Renu's Rucksack, dazu ein Glas Lindenhonig, nur den Grappa in den schön geformten Flaschen, mit Birnen-, Zitronen-, Pflaumen-, Kirsch- und Honiggeschmack. Die lasse ich stehen.
Die Wanderung beginnt an dem verlassenen Dorf Dvigrad weit oberhalb des Limski-Kanals. Die Szenerie ist wie im Süden Frankreichs. Eine schmale Straße führt immer tiefer in die Schlucht. Der bewaldete Hang lässt wenig Raum für einen Ausblick. Dann öffnet sich der Blick auf eine Burgruine, die imposant auf einer Erhebung im Tal thront. Dvigrad ist eine mittelalterliche Siedlung. Als die Pest im 17. Jahrhundert hier wütete, verließen die Bewohner das Dorf und siedelten sich auf der Hochebene einige Kilometer weiter an. Ich laufe etwas die Straße zurück, um eine schöne Stelle für ein Foto zu finden. Als ich zurückkomme, merke ich, dass ich die Gruppe verloren habe. Macht nichts. Gestern Abend habe ich noch in dem Buch von Ulrike Wirth “Auf dem Sternenweg bis ans Ende der Welt“ über einen Tag gelesen, den sie allein auf dem Jakobsweg verbracht hatte. Ihre Gedanken in der Einsamkeit haben mich sehr beeindruckt, sodass ich gar nicht gram bin, dass die Gruppe mir weit voraus ist. Schön ist es, die Natur allein zu genießen. Unterhalb der Burgruinen steht eine romanische Kirche, ein Friedhof ist um sie herum angelegt, es ist sehr still. Hier biegt der Wanderweg von der Landstraße ab. Ich setze mich immer wieder auf einen Stein am Wegesrand, notiere meine Gedanken in der Kladde (so entstehen meine Reiseberichte) und lausche den Stimmen der Vögel, die mit dem Summen der Bienen einen vielstimmigen Chor bieten. Es ist lange her, dass ich eine solche Stille verspürt habe, eine Stille, die selbst meinen Tinnitus übertönt. Der Wind trägt mir den Duft von Klee und Thymian, von Rosmarin und allerlei anderen Wildkräutern in die Nase, es ist ein Genuss, tief durchzuatmen und all die angenehmen Duftnoten herauszuschmecken. Immer wieder bleibe ich stehen, mal sind es die beiden kleinen Falter, die vor mir im Liebesspiel tanzen, um sich danach auf einem Grashalm zu vereinigen (bald wird es viele kleine Falter geben), mal einfach nur das Gelb von kleinen Blumenblüten, das mich fesselt. Hätte ich weiland im Biologieunterricht besser aufgepasst, dann könnte ich jetzt die Namen der Vögel und die Bezeichnungen der vielen Pflanzen nennen, die ich sehe und höre, so jedoch kann ich nur schwärmen, wie intakt die Natur hier noch ist.
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Ich bin froh, dass ich mir vor kurzem Wanderschuhe gekauft habe, so lässt es sich auf dem steinigen Weg gut laufen. Eine Hummel schaut mir interessiert beim Schreiben zu, da ich ihr aber keinen Nektar anbiete, verlässt sie mich brummend wieder. Das Tal, durch das der Weg führt, ist tief in die Hochebene eingeschnitten. Vor Urzeiten floss hier ein Fluss, der sich in den Limski-Kanal ergoß. Heute fließt er ein paar Etagen tiefer im Untergrund, sein Ziel ist immer noch der Kanal. Der Wind, der auf der Hochebene noch die Büsche und Bäume zwirbelt und wirbelt, streift hier im geschützten Tal als sanfter Hauch durch die Windungen des Tals, ich packe meine Jacke in den Rucksack. Eine Gruppe violetter Blumen zieht mich an. Schwarzweiße Hummeln tummeln sich zwischen den Blumen, nektartrunken von Blüte zu Blüte, derer es viele gibt. Meine Gedanken wandern wieder, Erinnerungen werden wach, Erinnerungen an Begegnungen mit lieben Menschen in meinem Leben, aber gerade in den letzten Jahren, erfüllte Träume und unerfüllte Wünsche, Menschen, die mir viel gegeben haben, Menschen die das Leben weiter wandern ließ, so wie der Wind, der mich kurz streift. Leben heißt Kommen und Gehen, Leben heißt glücklich sein, wenn man einen Freund gefunden hat, Freunde, die einen begleiten, mal nur für eine kurze Zeit, mal etwas länger, manche ein Leben lang. Jeder Freund ein wertvolles Geschenk, das ich dankbar annehme. Freunde sind mein Salz in der Lebenssuppe. In den vergangenen drei Monaten nach Inges Tod habe ich viele Gespräche geführt mit Freunden, darunter ein schriftlicher Austausch über drei Wochen, der leider jäh abgebrochen ist. Ich bin dankbar für jedes dieser Gespräche, da es mir weitergeholfen hat in der Bewältigung der Trauer und beim Finden meines weiteren Lebensweges. Sehr vertrauliche Gespräch waren dabei, die ich nicht mit jedem führen kann, und ich hege auch den Funken Hoffnung, jenen so abrupt beendeten Austausch, der mir so wichtig ist, wieder aufnehmen zu dürfen.
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Die abgeschliffenen Felsen am Hang des weiten Tales geben Zeugnis von den Wassermassen, die einst hier durch jagten und den Hang abgeschliffen haben. Nach zwei Stunden kündet ein plötzlicher Wind und das Rauschen des Verkehrs auf der nahen Landstraße vom Ende der Wanderung und dann stehe ich schon am Kanal, den manche auch großzügig Fjord nennen. Etwas Sand, Schilf, leere ausrangierte Muschelkisten und rechter Hand eine lange Reihe von Restaurants, in denen die zahlreichen Bus- und Autowanderer vor großen Schüsseln mit Muscheln sitzen. Ich begnüge mich damit, Tagliatelle mit wildem Spargel zu bestellen, Als ich den Teller sehe, fällt mir ein uralter Witz ein: Der Kellner fragt den Gast beim Abräumen, wie er das Schnitzel gefunden habe, worauf dieser antwortete, rein zufällig, unter einer Nudel. Glaubt mir, die Nudel habe ich heute nicht suchen müssen.
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Während sich die Nachmittagssonne im grünen Wasser des Limski-Kanals spiegelt, fährt das Boot, das uns zurückbringt langsam entlang der Muschelbänke und Fischfarmen, lässt uns nochmals einen Blick auf die Piratenhöhle werfen und steuert im kühnen Schwung über das offene Meer den Hafen von Vrsar an. Ein paar Tomaten, etwas grüner Salat, dazu Oliven und Käse, und schon schnippele ich mir meinen Salat zusammen, auf den ich mich schon den ganzen Tag gefreut habe. Und pünktlich zum Schlafen gehen fallen ein paar Tropfen, um die trockene Landschaft zu nässen, das nenne ich gutes Timing.
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27. April: „Fremder, der du durch Istrien reisest, vergiss Pula nicht.“
Kurz nach 7:00 Uhr habe ich mich aus dem Bett gerollt, nach der Morgenwäsche mein Müsli geknabbert und in aller Ruhe den Tag begrüßt. Jetzt sitze ich in der frühen Sonne vor dem Buffet „Ana“ und beobachte die Männer im Inneren, deren gegerbte und mit tiefen Furchen gezeichnete Gesichter schon von langem Aufenthalt in dieser Räucherkammer Zeugnis ablegen. Irgendwann werden sie wohl ausreichend geräuchert sein und auf dem Markt verkauft werden können. Ich warte auf den Bus nach Pula, dem eigentlichen Zentrum ganz im Süden von Istrien. Während die Reisegruppe heute weiter im Norden eine mehrstündige Wanderung zu einem Wasserfall geplant hat, zieht es mich zu Kultur und Geschichte. Bisweilen genieße ich es, alleine unterwegs zu sein, so wie heute wieder.
Das südwestliche Drittel von Istriens ist platt wie eine Flunder, Ortschaften erkennt man schon von weitem an dem Kirchturm, der schmal und mit steiler Spitze wie ein Zeiger in die Luft hochragt, höher als bei uns üblich und getrennt von der Kirche gebaut, welche sich eher zwischen die Reihen der Häuser duckt. Der Campanile, wie sich der Kirchturm hier nennt, und die Lage des Ortskerns auf einer leichten Erhöhung verleihen diesem Teil Istriens eine eigene Note, einen unverkennbaren Charakter.
Das südwestliche Drittel von Istriens ist platt wie eine Flunder, Ortschaften erkennt man schon von weitem an dem Kirchturm, der schmal und mit steiler Spitze wie ein Zeiger in die Luft hochragt, höher als bei uns üblich und getrennt von der Kirche gebaut, welche sich eher zwischen die Reihen der Häuser duckt. Der Campanile, wie sich der Kirchturm hier nennt, und die Lage des Ortskerns auf einer leichten Erhöhung verleihen diesem Teil Istriens eine eigene Note, einen unverkennbaren Charakter.
Pula gilt als älteste Siedlungsstätte Istriens, die Römer haben den Wein- und Olivenanbau kultiviert, die Venezianer haben Istrien eher vernachlässigt, und die k.u.k.-Monarchie fand dann endlich einen Hafen für ihre Kriegsmarine, den sie schnell ausgebaut und mit einer Eisenbahnlinie nach Wien versehen hat. Die Eisenbahnlinie gibt es heute noch, aber die durchreisenden Touristen zieht es eher in das gut erhaltene Amphitheater. Auch wenn so mancher Dogenpalast in Venedig aus den Quadern gebaut wurde, die vormals die Zuschauerränge bildeten, so blieb doch noch genügend Bausubstanz vorhanden, um die einstige Größe des Amphitheaters zu zeigen. 24.000 Menschen fanden Platz, um zu sehen, wie Krisan, der Raufbold, den beiden Löwen das Fürchten lehrte, Krisan, den die Reiseführer gern als den Asterix Istriens titulieren, weil er so manchen Spaß mit den Römern trieb. Mit den Vergleichen haben es die Istrianer gern, so nennen sie Rovinj das Venedig Istriens und den Limski-Kanal stufen sie gern als 8. Weltwunder ein.
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Der Bummel durch die Altstadt rund um das hoch gelegene Kastell offeriert mediterranen Flair, von realsozialistischem Baustil keine Spur. Anders der Amerikanismus, der mit dem westlichen Einfluss Einzug gehalten hat und heute vor dem Tor zur Altstadt bei nervtötender Musik Werbung für Coca-Cola macht. Grundnahrungsmittel, das zeigt ein Blick in die Auslagen, sind billig, ein Bällchen hervorragend mundendes Schokoladeneis für 70 Cent, ein großes Stück Pizza für 1 Euro und 20 Cent – Herz was willst du mehr.
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Ich folge den Wegweisern, die zum Kastell hoch weisen und weiß den herrlichen Rundblick zu schätzen, vom Landesinneren über die Stadt bis hin zum Hafenareal, und ich kann, wie könnte es anders sein, auch der Versuchung nicht widerstehen, die schmale Wendeltreppe auf den Wachturm hochzusteigen, hier gibt es den schönsten Blick auf das Amphitheater. Ich belohne mich mit einem Machiato in einer der zahlreichen Bars, bevor ich wieder zum Bus zurück schlendere. Eins ist sicher: Trier hat mit dieser Partnerstadt eine gute Wahl getroffen. Der Markt von Pula ist allemal einen Besuch wert. Rund um eine alte Markthalle reihen sich Obst- und Gemüsestände und hier wandert endlich der ersehnte wilde Spargel in meinen Rucksack. Er hat einen ganz intensiven Geruch. Gemeinsam mit Renu und der kleinen Viola wird er abends blanchiert und mit Rührei und Pellkartoffeln, Butter und Salz verzehrt und sein Weg führt folgerichtig von meinem Rucksack weiter in meinen Magen. Der untere Stängel des Halmes ist, das stellen wir schnell fest, hart und ungenießbar, aber der obere Teil ausgesprochen köstlich und zart. Und wie er noch tagelang an diesen Genuss erinnert, weiß ein jeder.
28. April: Ein Urlaub ohne Besuch einer Höhle ist wie ein Fisch ohne Wasser
Der Reiseführer preist die Grottenolme an, die nackt und blind im Innern der Höhle im unterirdischen See leben, und wie bestellt bewegt sich so ein 30 cm langer Olm durch das seichte Wasser tief unten in der Höhle von Baredine Jama. Ein Jahrhundert kann ein Grottenolm werden und solange braucht normalerweise auch ein Stalagmit, um einen Millimeter zu wachsen, hier unten gibt es einen, der es auf viele Zentimeter bringt. Ein dünner Strahl Wasser ergießt sich von oben auf ihn und seine Tropfen zerspringen hörbar auf seiner Spitze und laufen dann langsam den Schneemann runter, wie diese Figur genannt wird. Von der gegenüberliegenden Wand beobachten eine Madonna und der kleine dickbäuchige Buddha das Geschehen, vielfältig sind die Formen, die das Kalkwasser in Jahrmillionen formt und im schummrigen Licht der Höhle ist meine Fantasie nochmals so kreativ. Mit Begeisterung habe ich die verschiedenen Formationen und Lichtspiele fotografiert, doch nun ruft der Führer zum Rückweg auf. In diesem Moment erkläre ich mich für verrückt und wünsche mir einen Aufzug herbei. Das wusste ich doch schon vorher! Die 14 Grad Dauertemperatur in der Höhle sind sehr angenehm, auch die Luft bekommt mir gut, aber nun soll ich 67 Meter wieder in die Höhe steigen, steile Treppen, mir schwant Übles. Im Unterschied zu den meisten anderen Höhlen, die ich kenne, führt die Höhle von Baredine Jama einfach nur steil nach unten, einfach nur runter, und da muss ich wieder hoch. Mit einem saftigen Trinkgeld verabschiede ich mich von dem Führer am Tageslicht, nicht nur, weil er mit seiner starken Taschenlampe mir so manche Tropfsteinformation und Figur ausgeleuchtet hat, sondern auch, weil er mich altes schnaufendes Dampfross so geduldig nach oben begleitet hat.
Das nahegelegene Porec gilt als touristisches Zentrum von Istrien. Die schöne Altstadt legt Zeugnis davon ab. Die Fassaden sind auffallend gut renoviert und im Erdgeschoss residiert ein Restaurant, eine Boutique ein Eissalon oder auch ein Pizzaladen. Die Zahl der Touristen, die im Sommer durch diesen Ort ziehen, muss gewaltig sein, um all die Tische und Speisesäle zu füllen. Der Reiseführer preist besonders die Basilika an, ich muss gestehen, für kroatische Verhältnisse mag sie ein Highlight sein, verglichen mit ihresgleichen eher nicht. Dennoch hat man von dem Turm der Basilika einen herrlichen Rundblick über Porec und die Küstenlinie; als hätte ich nicht schon genügend Treppen in der Höhle von Baredine Jama erklommen, muss ich altes Dampfross da auch noch hoch, aber wat mut, dat mut. Und der Macchiato im "Casablanca" schmeckt anschließend besonders gut.
Am Abend unterm Mandelbaum lese ich das Buch von Ulrike Wirth zu Ende. Es hat mich fasziniert, ihren Jakobsweg nach verfolgen zu können, ihre Sprache ist gefällig, ihre Worte treffen den Kern, ihre Gedanken bewegen mich. Der letzte Satz jetzt besonders: „im Grunde sind wir alle EINS: Eine große Pilgerfamilie unterwegs im Spiel des Lebens ...“ Inges Pilgerweg ist beendet, ich bewege mich weiter, mir kommen die Tränen, ich ziehe mich zurück. Auf meinem Netbook läuft in diesem Moment von den Dire Straits „Brothers in Arms“, eine Musik, die wir beide mochten und oft gehört haben. Und dann fällt der Titel des Buches mir in die Augen „Auf dem Sternenweg bis ans Ende der Welt.“ Das Symbol der Sterne, ein Symbol, das mich mit einem anderen Menschen verbunden hat, vielleicht auch in diesem Moment ein Symbol für mich.
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29. April – der Tag erwacht
Eigentlich wollte ich heute Morgen die Rückkehr der Fischerboote vom nächtlichen Fang erleben und das Ausladen des Fangs, das bringt immer schöne Motive, aber als ich um 7:00 Uhr hier am Hafen ankomme, sitzt nur ein einsamer Fischer vor drei Kisten und seine einzige Aktivität besteht darin, den Möwen die Innereien, die er ausnimmt, vorzuwerfen. Ab und zu schlendert ein Passant vorbei und wirft einen müden Blick in die Kisten. Na ja, dafür hat das Internetcafé, was tatsächlich ein Café mit Internet ist, offen und schon lugt die Morgensonne um die Ecke. Die Gitarre der Rockmusik, die aus dem Lautsprecher tönt, weckt im Einklang mit dem Macchiato meine Lebensgeister und ich nutze die Morgenkonzentration, um an meinem Reisebericht zu schreiben. Heute Abend gibt es hier das Fischerfest, da bin ich mal gespannt, ich befürchte, dass es sehr touristisch sein wird, es soll laut Reiseführer alle vier Wochen stattfinden. Das erinnert mich an das traditionelle Weinfest in einem Bergdorf auf Rhodos, es findet wöchentlich mittwochs statt und ist fester Bestandteil des Programms der Pauschaltouristen und Kreuzschiffsfahrer, mal schauen.
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Von hier oben, auf dem 60 Meter hohen Campanile, der die Landzunge von Rovinj krönt, hat man einen herrlichen Blick auf Stadt und Buchten, es ist die Belohnung für einen Aufstieg, der es in sich hat. Es sind nicht die drei Einhalbmeter hohen Stufen, die aus dem Kirchenschiff in den Campanile führen, auch nicht die 5 Steinstufen ohne Geländer, gefolgt von einer wirklichen vertrauenswürdigen Holztreppe, die den wendelnden Aufstieg einleitet, es ist das darauffolgende Etwas, das man als Leiter-ähnliche Treppe kennzeichnen könnte. Die Sparren sind dick, etwa ein drittel Fuß tief, werden von vertrauenswürdig starken Nägeln aus dem 17. Jahrhundert gehalten und der Zwischenraum zur nächsten Sparre öffnet den Blick nach unten. Natürlich könnte ich vielleicht nach vorne schauen beim Aufstieg, aber dann treffe ich womöglich nicht die nächste Sparre, also MUSS ich nach unten schauen, um nach oben zu kommen. Die ausgetretenen Sparren lassen erahnen, dass diese Konstruktion so alt ist wie der Campanile aus dem Jahr 1680. Aber nachdem ich, erleichtert um einen guten Liter Angstschweiß, mich endlich auch aus der Ausstiegsluke auf die Plattform geschwungen habe, erhalte ich den Lohn meiner Mühe, wirklich ein herrlicher Rundblick mit kräftigen Farben vor einem tiefschwarzen Himmel am nordöstlichen Horizont. An schönen und klaren Tagen, so erklärt später ein Reiseführer seinen staunenden Zuhörern, kann man von hier aus die Dolomiten sehen. Zum Dank dafür verzichte ich auch, wie ein Zettel vielsprachig ganz unten am Fuß des Campaniles erbittet, auf das Läuten der Glocken, die steif und stumm über mir hängen. Die Beschreibung des Abstiegs erspare ich euch.
Der Blick auf das Nordufer der Altstadt erinnert tatsächlich an Venedig, Fassaden bis an die Wasserlinie, Anlegestellen für Boote und schmale Treppen zwischen den Hausreihen, die an der Wasserlinie abrupt enden. Die Torbögen und Hausfassaden landeinwärts in den engen Gassen lassen den jahrhundertelangen Einfluss Venetiens erkennen. Immer wieder sieht man zwischen den Häusern den Campanile der Wallfahrtskirche Sv Eufemija auf der Spitze der Landzunge über der Altstadt gelegen. Vor der Spitze der Landzunge enden die Hausreihen, sodass sich mir beim Verlassen der barocken Kirche durch das Hauptportal ein weiter Blick aufs Meer öffnet. Zwischen den Häusern führt immer wieder eine Treppe zum Wasser und auf fast jeder finden sich Tische und Stühle von der angrenzenden Weinstube, auf denen weinselig eine internationale Gesellschaft das Mittagessen ausklingen lässt. Auch unten am Hafen, dort wo am Trg Tita das zentrale Stadttor den Weg in die ursprüngliche Altstadt öffnet, ist der venezianische Einfluss unverkennbar und das liegt sicher nicht an den Eisdielen, deren Zahl das Zählvermögen der kleinen Viola übersteigt. Ich gönne mir vier leckere Bällchen, um die Kalorien, die ich im Campanile gelassen habe, wieder aufzufrischen, strecke die Füße von mir, beobachte das flanierende Publikum und beschließe, dass mir dieses Städtchen gefällt. Eine liebe Fotomail am frühen Morgen hatte meine Stimmung schon deutlich gebessert. Nun geht es mir bei italienischem Flair zu moderaten Preisen wieder gut. Wieder einmal fällt mir auf, wie viele Radurlauber hier an der istrischen Küste sind und so steigt die Vorfreude auf meine Rückkehr nach Hause, um auch wieder aufs Rad steigen zu können, obwohl, so ein paar Tage länger, das wäre doch auch nicht schlecht.
30. April – der letzte Tag
Grau ist der Himmel über Vrsar, es riecht nach Regen, aber wie in den letzten Tagen scheint er eher die Felder der Bauern im Innern Istriens zu beglücken, als unser Küstenstädtchen. Trotz des leichten Windes ist es hier mild, ich bummle mit Renu und der kleinen Viola durch den Ort. Es gibt wenige verfallene oder verkommene Häuser, die meisten sind gut erhalten oder gar renoviert, nicht überkandidelt. Auffallend ist, dass alle Häuser Fensterladen haben, ein Detail, das uns beiden sehr gefällt. Neben Fassaden aus geputztem Stein stehen Häuschen mit rotem oder gelbem Anstrich, aber Farbe findet sich vor allem an den Fenstern, den Fensterladen und den Eingangstüren. Von olivgrün über alle Blautöne bis hin zu lila und rot ist die ganze Farbpalette vertreten. Kein Wunder, dass schon morgens um 8:00 Uhr an dem kleinen Baumarkt neben unserem Apartment-Haus Hochbetrieb herrscht, die Kroaten sind ebenso wie die zahlreichen Slowenen, die hier ein Häuschen ihr Eigen nennen, ganz offensichtlich begeisterte Maler. Aber nirgends wirken die Farben aufgesetzt oder kitschig. Es ist der mediterrane Charme, der sich hier ausdrückt. Und überall hängt die Wäsche zum Trocknen, teilweise abenteuerlich über die Straße oder quer über die Hofeinfahrt an einer Zugleine, der Wind, der vom Meer kommt, trocknet die großen Betttücher ebenso schnell wie die schmalen Handtücher, die T-Shirts ebenso wie die meist weiße Unterwäsche, und so manch gewaltiger, na ja, da will ich lieber schweigen ...
Am Hafen sind die Buden und Tische vom gestrigen Fischerfest wieder abgeräumt, es war doch nicht so touristisch, wie befürchtet, hatte tatsächlich den Charakter eines kleinstädtischen Volksfestes und die beiden Jungs, die im Internetcafé Blues und Oldies zum Besten gaben, erhielten auch den gebührenden Beifall. Nun quengelt wieder die Jukebox, manchmal wünsche mir einen Seitenschneider zur Hand.
Gegen 17:00 Uhr setzt sich der Reisebus zur Rückfahrt in Bewegung, Ich habe diesmal einen Doppelsitz direkt am hinteren Einstieg mit mehr Beinfreiheit. Je weiter wir in den Norden Istriens kommen, desto bergiger wird die Landschaft, um schließlich vor Koper jäh ins Tal zu stürzen. Hier ist die Straße gesäumt von weißblühenden Robinien, deren süßer Geruch bis in den Bus dringt und mich an meine Kindheit erinnert. Langsam senkt sich die Sonne gen Westen, ihr Licht wird intensiver und voller, schmeichelt dem Auge und sättigt die Farben der Landschaft. In der Ferne erscheinen die Spitzen der Alpen. Ein Heißluftballon hängt über einem Tal. Vor dem Karawanken Tunnel liegt bereits ein leichtes Alpenglühen auf den Bergspitzen, derweil sich die Wolken des Tages wie eine weißgewaschene Federdecke in die Täler zwischen den Bergrücken schmiegt.
Als die Dunkelheit der Nacht mich umfängt und die Positionslampen des Busses wie goldene Irrlichter auf den zahllosen gläsernen Schallschutzwänden tanzen, kommen die Gedanken wieder. Eine Filmszene aus meiner Jugendzeit steht mir vor Augen, eine Szene, die sich damals in meinen Gedanken festgesetzt hat und jetzt plötzlich wieder vor mir steht: „Alice's Restaurant“, so heißt der Film, irgendwann im Verlauf der Handlung findet die Beerdigung eines Protagonisten statt, das offene Grab liegt auf einem Hügel und die Freunde stehen drum herum, nicht im Kreis, nicht als Gruppe, sondern fast jeder für sich, alleine, im Angesichts des Todes steht jeder für sich alleine, muss alleine damit zurande kommen, so geht es mir im Moment. So wie die Sonne heute Abend plötzlich hinter einer dunklen Wolke verschwunden ist, so nimmt mich manchmal die Trauer ein, und so wie sie strahlend am Morgen aufgeht, so setzt sich dann das Leben fort. Das Leben ist für mich im Moment ein Auf und Ab und ich bin der kleine Korken, der von den Wellen hin und her gespült wird, mal von einer Welle überschwappt und heruntergezogen wird, und doch bald wieder auf der Wellenkrone tanzt, im Auf und Ab der Wellentäler, um mich schließlich auf dem Strand wiederzufinden, mit festem Boden unter den Füßen, wann auch immer dies sein wird. All meine Freunde können mir nicht diese emotionale Einsamkeit nehmen. Aber sie können mir helfen, meinen weiteren Weg zu finden, dafür sage ich Dankeschön.
Und morgen tanzt der Korken wieder ganz oben auf dem Wellenkamm.
Als die Dunkelheit der Nacht mich umfängt und die Positionslampen des Busses wie goldene Irrlichter auf den zahllosen gläsernen Schallschutzwänden tanzen, kommen die Gedanken wieder. Eine Filmszene aus meiner Jugendzeit steht mir vor Augen, eine Szene, die sich damals in meinen Gedanken festgesetzt hat und jetzt plötzlich wieder vor mir steht: „Alice's Restaurant“, so heißt der Film, irgendwann im Verlauf der Handlung findet die Beerdigung eines Protagonisten statt, das offene Grab liegt auf einem Hügel und die Freunde stehen drum herum, nicht im Kreis, nicht als Gruppe, sondern fast jeder für sich, alleine, im Angesichts des Todes steht jeder für sich alleine, muss alleine damit zurande kommen, so geht es mir im Moment. So wie die Sonne heute Abend plötzlich hinter einer dunklen Wolke verschwunden ist, so nimmt mich manchmal die Trauer ein, und so wie sie strahlend am Morgen aufgeht, so setzt sich dann das Leben fort. Das Leben ist für mich im Moment ein Auf und Ab und ich bin der kleine Korken, der von den Wellen hin und her gespült wird, mal von einer Welle überschwappt und heruntergezogen wird, und doch bald wieder auf der Wellenkrone tanzt, im Auf und Ab der Wellentäler, um mich schließlich auf dem Strand wiederzufinden, mit festem Boden unter den Füßen, wann auch immer dies sein wird. All meine Freunde können mir nicht diese emotionale Einsamkeit nehmen. Aber sie können mir helfen, meinen weiteren Weg zu finden, dafür sage ich Dankeschön.
Und morgen tanzt der Korken wieder ganz oben auf dem Wellenkamm.
E N D E
* Odysee ist ein kleiner Busreiseveranstalter aus Köln.