"Grenzen gab es früher"
auf der Limes-Route in die Vergangenheit
September 2019
Der Pfosten aus rotem Sandstein steht unscheinbar auf dem schmalen Streifen zwischen Mainufer und Radweg. Buschwerk wirft Schatten auf ihn. Der Steinhauer hat den Stein sauber behauen und eine Schrift eingekerbt. Ich kann sie im Schattenspiel der Büsche kaum entziffern, muss näher heran. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich die Buchstaben über zwei Seiten des Sandsteinpfostens ziehen und an der Kante dazwischen gebrochen wird. Ich beuge mich vor und entziffere: GERMANIEN. Gegenüberliegend lese ich IMPERIUM ROMANUM. Es ist ein Grenzstein, neu errichtet.
In meinem Rücken spüre ich den stechenden Blick des römischen Legionärs. Hinter ihm steigt die schneeweiße Wasserdampfsäule des Kraftwerks Staudinger hoch in den Himmel. Die Tage des Kraftwerks sind ebenso gezählt wie die des römischen Reiches zu seiner Zeit.
Hier, bei Großkrotzenburg, stieß der römische Grenzwall, der Limes, an den Main. Eine Brücke war hier über den Fluss geschlagen, 1800 Jahre vor meiner Zeit. Vielleicht schlummern noch irgendwelche Holzbalken tief im Flussbett. Der stählerne Legionär verrät es mir nicht.
In meinem Rücken spüre ich den stechenden Blick des römischen Legionärs. Hinter ihm steigt die schneeweiße Wasserdampfsäule des Kraftwerks Staudinger hoch in den Himmel. Die Tage des Kraftwerks sind ebenso gezählt wie die des römischen Reiches zu seiner Zeit.
Hier, bei Großkrotzenburg, stieß der römische Grenzwall, der Limes, an den Main. Eine Brücke war hier über den Fluss geschlagen, 1800 Jahre vor meiner Zeit. Vielleicht schlummern noch irgendwelche Holzbalken tief im Flussbett. Der stählerne Legionär verrät es mir nicht.
Eine Reihe weißer Pfähle, gut drei bis vier Meter hoch, weist nach Norden. Ich folge ihrer Richtung. Vor mir liegt Großkrotzenburg. Der alte Ortskern ruht auf den Fundamenten des alten römischen Kastells. Die Straßen im engsten Kern entsprechen immer noch dem Weg, der entlang der Mauern des Kastells lief. Den Germanen war das verlassene Kastell mit seiner steinernen Ummauerung ein willkommener Siedlungsplatz, als die Römer sich im dritten Jahrhundert zurückzogen.
Man ist hier geschichtsbewußt und hat ein Limesmuseum errichtet, geöffnet zweimal im Monat, an einem Sonntagnachmittag. Viele Besucher erwartet man wohl nicht. Römer gibt es immer noch in diesem Städtchen. |
Doch sie bewachen den Limes nicht mehr mit Schwert und Schild, sondern mit Pizzateller und Eisportionierer. Heute ist kein Sonntag, das Museum ist geschlossen. Ich halte mich an das leckere Eis.
Die Römer machten beim Abstecken ihrer Grenzen keine großen Umwege. Vom Main aus führte sie mehr als 10 Kilometer schnurgerade nach Norden bis Marköbel. Im ersten Schritt rodeten sie den Wald auf einer Breite von 40 bis 50 Metern, bauten aus dem geschlagenen Holz Wachtürme, die in Sichtweite zueinander standen und durch einen Weg auf der Rodung verbunden waren. Nach dem unfreiwilligen Rückzug der Römer aus Germanien eroberte sich die Natur wieder diesen Grenzstreifen zurück. Hinter Großkrotzenburg erheben sich dort stolze Buchen und Erlen. Im Frühjahr ist der Waldboden mit Buschwindröschen übersät, ein weißer Teppich, der mich zu Beginn der Fahrradsaison von Jahr zu Jahr aufs Neue begeistert. Jetzt, im Spätsommer, sind nur noch Gräser unter den Bäumen zu sehen. Der Main hat im Laufe der Jahrtausende häufig seinen Flusslauf verändert. Einst bildete er um Großkrotzenburg herum einen großen Halbkreis. Schifflache heißt dieser Bogen. Heute ist er versandet und versumpft und bildet eine Lichtung im Wald. Jetzt, im Herbst, breitet sich ein lichter violetter Teppich auf der Wiese aus. Herbstzeitlose recken ihre weit geöffneten Blüten der Sonne entgegen. Ein kleiner blauer Falter taumelt vor Glück über sie hinweg.
|
Den Sumpf haben die Römer mit einem Knüppeldamm überbrückt. Das Holz ist schon lange vermodert, doch ein schmaler Weg führt durch den Sumpf hindurch. Ich muss höllisch auf den Weg aufpassen. Hoffentlich kommt mir keiner entgegen.
Entengrütze bedeckt das braune Wasser. Es strahlt hellgrün im Licht der herbstlichen Sonne. Im Sommer quaken seltene Frösche und Kröten im Sumpf. Schade, dass sie sich nicht mal für einen Moment zeigen.
Schnurgerade führt nun der Weg durch den Wald. Einer Informationstafel entnehme ich, dass er auf der Wallkrone des Limes verläuft. Doch die Sohlen der Menschen, die seit 1800 Jahrhundert diesen Weg liefen, haben den Wall abgetragen. Apropos „liefen“. Die katholischen Priester aus Großkrotzenburg, das zum Mainzer Bistum gehörte, mussten auch eine kleine Gemeinde im protestantischen Oberrodenbach betreuen. Und so sah man des Sonntags den Pfaffen mit wehendem Rockschoß durch den Wald nach Rodenbach eilen, um seinen Schäfchen dort die Messe zu lesen und bisweilen auch die Leviten. Das brachte diesem Wegstück im Volksmund den Namen „Pfaffendamm“ ein.
Entengrütze bedeckt das braune Wasser. Es strahlt hellgrün im Licht der herbstlichen Sonne. Im Sommer quaken seltene Frösche und Kröten im Sumpf. Schade, dass sie sich nicht mal für einen Moment zeigen.
Schnurgerade führt nun der Weg durch den Wald. Einer Informationstafel entnehme ich, dass er auf der Wallkrone des Limes verläuft. Doch die Sohlen der Menschen, die seit 1800 Jahrhundert diesen Weg liefen, haben den Wall abgetragen. Apropos „liefen“. Die katholischen Priester aus Großkrotzenburg, das zum Mainzer Bistum gehörte, mussten auch eine kleine Gemeinde im protestantischen Oberrodenbach betreuen. Und so sah man des Sonntags den Pfaffen mit wehendem Rockschoß durch den Wald nach Rodenbach eilen, um seinen Schäfchen dort die Messe zu lesen und bisweilen auch die Leviten. Das brachte diesem Wegstück im Volksmund den Namen „Pfaffendamm“ ein.
Bislang bin ich auf dem Radweg der Spur der weißen Pfähle gefolgt. Im Wald tragen Bäume die weißen Markierungen. Jetzt knickt der Weg jäh ab. Auf dem Weg zur Klosterruine Wolfgang verliere ich die weiße Spur. Der Weg ist weiterhin mit dem schwarzen Wachturm auf weißem Grund gekennzeichnet, das Zeichen für den Limes-Wanderweg.
Im stillen Wald laufen in meinem Kopf Bilder ab, wie es wohl zur römischen Zeit ausgesehen haben mag. Der breite gerodete Streifen durchschnitt den Wald, ließ ihm aber seine eigenen Geräusche. Nur wenn eine Kohorte von Söldnern von einem Kastell zum anderen marschierte, knirschte der Sand unter den vielhundertfachen Sohlen, gepaart mit dem Klirren der Waffen, die aneinander rieben, und dem Knacken der hölzernen Räder der Karren, die ihnen folgten.
Unvermittelt ist es mit der Ruhe vorbei. Kurz vor Erlensee stehe ich auf einer Autobahnbrücke. Im Kinzigtal ballt sich der Ost-West-Verkehr. Die Geräusche der A45, der A66, der Bundesstraße, der ICE-Strecke Frankfurt-Fulda und der Einflugschneise zum Frankfurter Flughafen formen sich zu einem auf- und abschwellenden Rauschen, einem vielstimmigen Chor der modernen Mobilität.
Im stillen Wald laufen in meinem Kopf Bilder ab, wie es wohl zur römischen Zeit ausgesehen haben mag. Der breite gerodete Streifen durchschnitt den Wald, ließ ihm aber seine eigenen Geräusche. Nur wenn eine Kohorte von Söldnern von einem Kastell zum anderen marschierte, knirschte der Sand unter den vielhundertfachen Sohlen, gepaart mit dem Klirren der Waffen, die aneinander rieben, und dem Knacken der hölzernen Räder der Karren, die ihnen folgten.
Unvermittelt ist es mit der Ruhe vorbei. Kurz vor Erlensee stehe ich auf einer Autobahnbrücke. Im Kinzigtal ballt sich der Ost-West-Verkehr. Die Geräusche der A45, der A66, der Bundesstraße, der ICE-Strecke Frankfurt-Fulda und der Einflugschneise zum Frankfurter Flughafen formen sich zu einem auf- und abschwellenden Rauschen, einem vielstimmigen Chor der modernen Mobilität.
An der Brücke treffe ich zum ersten Mal auf die braune Beschilderung des überregionalen Limesradweges. Sie führt mich am Rande des Auenwaldes, der Bulau, zur Kinzig. Hier treffe ich auch wieder auf die weiße Pfahlmarkierung. Jenseits der Kinzigbrücke liegt ein Ausgrabungsgelände. Es sind die Fundamente eines römischen Bades. Dahinter erstreckte sich einst das Kastell, eine Anlage für 500 Soldaten, einer Kohorte. Vor den Toren lag das Lagerdorf. Zusammen mit all den Handwerkern, dem Hufschmied und dem Waffenschmied, dem Wagner und dem Küfer, dem Böttger und dem Sattler, dem Metzger und dem Bäcker, den Händlern, den Fischern und den Schiffsleuten, die für die Versorgung zuständig waren, lebten seinerzeit wohl ein Mehrfaches an Menschen hier am Ufer der Kinzig. Für die damalige Zeit war es eine ausgesprochen große Siedlung. Da lohnte sich die Anlage eines öffentlichen Bades. Zwischen den alten Fundamenten spielen nun Kinder. Von dem Kastell selbst ist nichts mehr erhalten. Wohntürme haben seinen Platz eingenommen.
Quer über den Bürgersteig der Leipzigerstraße zieht sich ein Band aus Kopfsteinpflaster. Das Band markiert den Verlauf des Limes, der sich vor und hinter mir in Wohngebieten verliert. Mich erinnert es an eine Demarkationslinie und eine solche war der Limes ja auch. Unter Archäologen ist der Streit, ob der Limes mehr der Unterdrückung des Warenschmuggels oder mehr der militärischen Absicherung der Ostgrenze des Römischen Reiches diente, noch nicht beendet. Die Mehrheit spricht sich fürs Ersteres aus. Doch mir stellt sich angesichts der Tatsache, dass gut zwanzigtausend Soldaten und mehr diese Grenze absicherten, die Frage, ob dieser Aufwand für die Unterbindung von Warenschmuggel nicht doch sehr hoch ist. Immerhin fiel die Zeit des massiven Ausbaus des ursprünglich nur gerodeten Grenzstreifens zu einem hohen Wall mit Graben in eine Zeit der Unruhen auf Grund verschlechterter Klimabedingungen. Dazu schreibt Wikipedia: „Das Jahr 145 n. Chr. gilt als ein Zeitpunkt, in dem eine Epoche mit niedrigeren Temperaturen und ungünstigem Klimafaktoren begann, die bis 285 n. Chr. angehalten haben soll. Fest steht, dass die Unruhe zunahm.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_R%C3%B6mer_in_Germanien). |
Hinter dem Markierungsstreifen verliere ich wieder die Beschilderung des Radweges. In diesem Sommer ist der Verlauf des Limes vom Main bis in die Wetterau neu markiert worden. Die weißen Pfähle und Baummarkierungen wurden erstellt und Skulpturen mit Informationstafeln aufgebaut. Vielleicht hätte man bei diesem Aufwand auch der Wegbeschilderung etwas Zeit widmen sollen. Erlensee ist bekannt für seine Liebe zu Verkehrskreiseln wie dem Wasserkreisel, dem Erlenkreisel und natürlich auch dem Limeskreisel. Am Wegekreisel, der das Städtchen als Kreuzungspunkt zweier großer Handelswege des Mittelalters auszeichnen soll, halte ich mich Richtung „Hohe Straße“. Die liegt nördlich.
Dazu muss ich erst nach Langendiebach. Am mittelalterlichen Wachturm mit seinem verlassenen Storchennest öffnet sich der alte Ortskern. Schmucke Fachwerkhäuser säumen die engen und verwinkelten Gassen. Das sind vielfach schöne Fotomotive. Wohl kein Zufall, dass eine von ihnen „Enge Gasse“ heißt. In den 80er Jahren wurde der Wert dieser alten Bausubstanz erkannt und mit einer Erhaltungssatzung als Gesamtdenkmal geschützt. Abgeschlossen wird der alte Ortskern wieder von einem Wachturm mit Storchennest. Dieses Nest wird seit Jahren von Störchen bewohnt. Jetzt ist die Storchenfamilie schon auf dem Weg in den Süden. Ein grauer Kater in einem idyllischen Hof beobachtet mich auf meiner Weiterfahrt.
Dazu muss ich erst nach Langendiebach. Am mittelalterlichen Wachturm mit seinem verlassenen Storchennest öffnet sich der alte Ortskern. Schmucke Fachwerkhäuser säumen die engen und verwinkelten Gassen. Das sind vielfach schöne Fotomotive. Wohl kein Zufall, dass eine von ihnen „Enge Gasse“ heißt. In den 80er Jahren wurde der Wert dieser alten Bausubstanz erkannt und mit einer Erhaltungssatzung als Gesamtdenkmal geschützt. Abgeschlossen wird der alte Ortskern wieder von einem Wachturm mit Storchennest. Dieses Nest wird seit Jahren von Störchen bewohnt. Jetzt ist die Storchenfamilie schon auf dem Weg in den Süden. Ein grauer Kater in einem idyllischen Hof beobachtet mich auf meiner Weiterfahrt.
Zwischen hochgeschossenem Mais komme ich nach Neuberg. Die Wegweisung bringt mich in ein Neubaugebiet. Palisadenweg, Germanenstraße, Chattenweg, An den Römertürmen: Es geht hier auf kurzer Strecke gleich durch die ganze germanisch-römische Geschichte. Nur Asterix und Obelix fehlen noch. Der Himmel ist blau, wenige Wolken zieren ihn. Über mir kreuzen Flugzeuge im Landeanflug auf den Frankfurter Flughafen meine Strecke.
Dann geht es zum ersten Mal bergauf. Ein Ausläufer des Ronneburger Hügellandes liegt wie eine Schranke zwischen Neuberg und Marköbel. Auf dem Kamm lasse ich mich auf einer lauschigen Bank nieder. Über die Ähren eines Kornfeldes hinweg ragt in der Ferne die Skyline von Frankfurt in den Himmel. Es ist ein beachtlicher Ausblick, den ich in Ruhe genieße.
Dann geht es zum ersten Mal bergauf. Ein Ausläufer des Ronneburger Hügellandes liegt wie eine Schranke zwischen Neuberg und Marköbel. Auf dem Kamm lasse ich mich auf einer lauschigen Bank nieder. Über die Ähren eines Kornfeldes hinweg ragt in der Ferne die Skyline von Frankfurt in den Himmel. Es ist ein beachtlicher Ausblick, den ich in Ruhe genieße.
Nach der Pause geht es bergab. Der Feldweg ist nicht geteert, sondern geschottert, mit tiefen Fahrspuren. Ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht ins Rutschen und Schleudern komme.
Ein markanter Turm erhebt sich über die Hauptstraße von Marköbel. Es ist ein Tor zum alten Ortskern. Dieser Kern ist fast identisch auf den Fundamenten des römischen Kastells errichtet. Ich kann mir vorstellen, dass dort, wo das Stadttor steht, auch zur römischen Zeit schon die Händler mit ihren Ochsenwagen zur Kontrolle anhalten mussten. Marköbel zählt zu den vier, fünf großen Kastellen zwischen Main und Taunushöhe, die eine große Kohorte mit 500 Söldnern beherbergten. Diese römische Handelsstraße wurde später im Mittelalter zur „Hohen Straße“, die von der Messestadt Frankfurt am Main zur Messestadt Leipzig führte. Ihren Namen führt sie übrigens nicht, weil sie in der Regel auf den Höhen verlief, sondern weil sie der Reichshoheit des Kaisers unterlag.
Eine massive Sperrwand aus Eichenbohlen, dahinter eine Reihe weißer Pfähle: ich stehe vor der Rekonstruktion des zweiten Bauabschnitts des Limes, datiert auf die Zeit 119/120 n.Chr. Anfangs war nur eine breite Schneise in den Wald geschlagen worden, die von einer Reihe von Wachtürmen gesichert war. Offensichtlich musste die Grenze besser abgesichert werden. Hier, auf dem Boden vor der Rekonstruktion, ist auf einer großen Betonplatte der gesamte Verlauf des Limes vom Rhein bis zur Donau abgebildet. Ganz oben kann ich schön den Höcker sehen, den er in der Wetterau bildet. Mit einem letzten Blick auf die Karte mache ich mich auf zum Anstieg auf den nächsten Hügel des Ronneburger Hügellandes.
Ein markanter Turm erhebt sich über die Hauptstraße von Marköbel. Es ist ein Tor zum alten Ortskern. Dieser Kern ist fast identisch auf den Fundamenten des römischen Kastells errichtet. Ich kann mir vorstellen, dass dort, wo das Stadttor steht, auch zur römischen Zeit schon die Händler mit ihren Ochsenwagen zur Kontrolle anhalten mussten. Marköbel zählt zu den vier, fünf großen Kastellen zwischen Main und Taunushöhe, die eine große Kohorte mit 500 Söldnern beherbergten. Diese römische Handelsstraße wurde später im Mittelalter zur „Hohen Straße“, die von der Messestadt Frankfurt am Main zur Messestadt Leipzig führte. Ihren Namen führt sie übrigens nicht, weil sie in der Regel auf den Höhen verlief, sondern weil sie der Reichshoheit des Kaisers unterlag.
Eine massive Sperrwand aus Eichenbohlen, dahinter eine Reihe weißer Pfähle: ich stehe vor der Rekonstruktion des zweiten Bauabschnitts des Limes, datiert auf die Zeit 119/120 n.Chr. Anfangs war nur eine breite Schneise in den Wald geschlagen worden, die von einer Reihe von Wachtürmen gesichert war. Offensichtlich musste die Grenze besser abgesichert werden. Hier, auf dem Boden vor der Rekonstruktion, ist auf einer großen Betonplatte der gesamte Verlauf des Limes vom Rhein bis zur Donau abgebildet. Ganz oben kann ich schön den Höcker sehen, den er in der Wetterau bildet. Mit einem letzten Blick auf die Karte mache ich mich auf zum Anstieg auf den nächsten Hügel des Ronneburger Hügellandes.
Mitten auf dem weiten Acker steht markant ein einsamer Baum. Jetzt, wo das Feld abgeerntet ist, fällt er mir noch mehr auf, als sonst. Vielleicht liegt es auch daran, dass jetzt ein weißer Pfahl als Zeichen des Limes daneben steht. Meine Neugier ist geweckt. Auf einem Grasstreifen fahre ich dort hin. Als Anfang des letzten Jahrhunderts aus Anlass einer Flurbereinigung hier ein Waldstück gerodet wurde, haben die Bauern den recht gut erhaltenen Limes-Wall einfach abgetragen und eingeebnet. Der „Großherzogliche Denkmalpfleger für die Altertümer“ Professor Anthes kam zu spät aus Wiesbaden angereist, um dies zu verhindern. An dieser Stelle wurde daher der Verlauf des Limes mit einem Grenzstein markiert, mitten auf dem Feld.
Gut einhundert Meter weiter endet das Feld. Es öffnet sich ein grüner Tunnel im dunklen Wald. Zwei Tafeln, zwischen denen ein Spalt frei ist, markieren auch hier den Grenzverlauf. Durch den Spalt schaue ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Die Blickachse ist der genaue Grenzverlauf des Limes. Das kleine Denkmal mitten auf dem Feld liegt genau auf dieser Linie. „Germanien“ steht auf der linken Tafel. |
Sie ist aus Holz und verwittert. Die rechte ist aus robusterem Sandstein. Sie steht für das römische Reich. Da geht mir so manches durch den Kopf: Die Geschichte hat gezeigt, dass das scheinbar edlere Baumaterial ein marodes Reich auch nicht stützen kann.
Ich tauche in den grünen Tunnel ein. Schon bald muss ich meine Fahrt wieder stoppen. Ein mächtiges Baumdenkmal erhebt sich neben dem Weg. Es ist die Drusus-Eiche. Gut 400 Jahre soll sie alt sein und hat einen Blitzeinschlag überlebt. Nero Claudius Drusus Germanicus war ein römischer Feldherr, der sich im Kampf gegen die Chatten ausgezeichnet hat. Er war bei seinen Soldaten sehr beliebt. Daher wurden ihm auch viele Denkmäler gesetzt. Warum diese Eiche seinen Namen trägt, verrät mir die Info-Tafel am Wegesrand nicht. Eindrucksvoll ist der Baumveteran dennoch.
Er wurzelt auf einem Wall, der sich des Weges entlang zieht. Es ist die Wallkrone des Limes, die hier im Hammersbacher Oberwald über eine Länge von drei Kilometern noch durchgehend erhalten ist. Auf diesem Abschnitt des Limes lerne ich die dritte Ausbaustufe kennen, den Wall mit Graben. Schnurgerade führt der Weg an ihm entlang. Mich ergreift ein ehrfürchtiges Gefühl. Vor 1800 Jahren haben Sklaven einen Graben ausgehoben und diesen Wall aufgeschüttet. Es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Ab und zu sind römische Insignien an dieser Strecke aufgebaut: ein überdimensionales Schwert mit Schild, Quader mit römischem Steingut, Pfähle mit den eingravierten Namen germanischer Stämme.
Er wurzelt auf einem Wall, der sich des Weges entlang zieht. Es ist die Wallkrone des Limes, die hier im Hammersbacher Oberwald über eine Länge von drei Kilometern noch durchgehend erhalten ist. Auf diesem Abschnitt des Limes lerne ich die dritte Ausbaustufe kennen, den Wall mit Graben. Schnurgerade führt der Weg an ihm entlang. Mich ergreift ein ehrfürchtiges Gefühl. Vor 1800 Jahren haben Sklaven einen Graben ausgehoben und diesen Wall aufgeschüttet. Es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Ab und zu sind römische Insignien an dieser Strecke aufgebaut: ein überdimensionales Schwert mit Schild, Quader mit römischem Steingut, Pfähle mit den eingravierten Namen germanischer Stämme.
Ein Weg durchbricht den Wall. Dahinter sehe ich zwischen den Bäumen ein weißes Gebäude. Wieder ist es meine Neugierde, die mich antreibt. Dann stehe ich vor einem Wachturm. Gewiss, es ist ein Nachbau. Die ersten Türme waren aus Holz gebaut. Holz verrottet aber irgendwann einmal. Daher wurden diese durch Steintürme ersetzt. Eine Handvoll Soldaten waren zur Grenzsicherung in dem Turm untergebracht, unten die Lebensmittel, darüber der Wohn- und Schlafraum und in der obersten Etage der Wachraum. Der Zugang zum Turm ist nur mit einer Leiter zu erreichen, er liegt in der 1. Etage. Die Türme rechts und links davon standen auf Ruf- und Sichtweite im
Abstand von etwa 800 Metern. So konnten Nachrichten bis zu den Kastellen schnell weiter gegeben werden. Dort waren eine größere Zahl von Legionären stationiert. Es gab sogar schnelle Eingreiftruppen. Gewiss, der Limes war keine undurchdringliche Grenze. Für mich ist diese massive Präsenz von Söldnern dennoch ein Indiz für die vorrangig militärische Grenzsicherung. Aber ich bin halt kein Archäologe, sondern nur ein Mensch mit einem guten Menschenverstand, denke ich zumindest.
Ich rolle entlang des Walls, über jede Welle, durch jede Niederung in diesem Wald. Dann endet das Waldstück und ich stehe wieder vor einem der stählernen Söldner. Im Tal vor mir liegt Altenstadt. Auch hier war einst der Standort einer Kastells. Im Laufe der Jahre wurde es immer weiter ausgebaut und verstärkt. Durch das Tal der Nidder führte schon in vorrömischer Zeit eine Straße nach Fulda. Aber auch der Glauberg wurde im Auge behalten, denn dort siedelte sich nach den Kelten ein germanischer Stamm an. 150 Söldner sicherten diesen Grenzposten. |
Gleich hinter Altenstadt geht es wieder bergauf. Zwischen hohen Maisfeldern muss ich ganz schön in die Pedale treten. 11 % Steigung, die sind auch mit dem Elektrorad nicht so einfach zu nehmen. Unten am Berg ist eine schwarze Bremsspur in den Asphalt gegraben. Oben liegt ein Waldkinderspielplatz. Die Kinder werden gerade von ihren Müttern abgeholt. Da hat wohl ein Autofahrer zu spät vor der Kurve gebremst. Aber wie es scheint, ist alles nochmals gut gegangen. Ich lasse mich nach dem Aufstieg auf einer Ruhebank nieder. Vor mir breitet sich in der Mittagssonne das Ronneburger Hügelland aus. Im Tal ragt der spitze Kirchturm von Altenstadt in die Höhe, um ihn herum zahllose Hausdächer.
Mit Schwung und Hurra geht es hinter der Höhe wieder bergab. Hinter dem Wald sehe ich erneut weiße Stelen. Ich bin auf dem richtigen Weg., auch wenn von Wall und Graben nichts mehr zu sehen ist. Vor mir liegt Stammheim. Hinter den ersten Häusern taucht dann das Schloss auf. Es sieht schmuck aus, muss es auch sein. Ein Privatmann hat das Schloss aufgekauft und renoviert. Als Hochzeitslocation ist es weit über die Region hinaus bekannt. Ist auch ein schöner Fleck inmitten der Fachwerkkulisse dieses Ortes. Das gusseiserne Tor verwehrt mir den Zugang. Heute will wohl niemand heiraten.
Die Hauptstraße zieht sich lang hin. Etwas abseits der Bushaltestelle gibt es eine regionale Besonderheit: die Mitfahrerbank. Da die Busse nicht so oft fahren, kann ich mit einem Schild neben der Bank signalisieren, in welchen Stadtteil von Florstadt ich will, und brauche nur noch zu warten, bis ein Autofahrer hält und mich mitnimmt. Eine tolle Idee, wie mir eine Erstklässlerin bestätigt, die gerade des Weges kommt. Ihr Schulkamerad knabbert derweil wortlos an seinem Pausenbrot. Heute nehme ich den Dienst nicht in Anspruch. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs.
Die Hauptstraße zieht sich lang hin. Etwas abseits der Bushaltestelle gibt es eine regionale Besonderheit: die Mitfahrerbank. Da die Busse nicht so oft fahren, kann ich mit einem Schild neben der Bank signalisieren, in welchen Stadtteil von Florstadt ich will, und brauche nur noch zu warten, bis ein Autofahrer hält und mich mitnimmt. Eine tolle Idee, wie mir eine Erstklässlerin bestätigt, die gerade des Weges kommt. Ihr Schulkamerad knabbert derweil wortlos an seinem Pausenbrot. Heute nehme ich den Dienst nicht in Anspruch. Ich bin mit dem Fahrrad unterwegs.
Hinter Stammheim geht es über Wirtschaftswege entlang abgeernteter Felder bis nach Staden. Langsam wird die Landschaft flacher. Gleich am Ortsrand eine Wiese, ein grünes Geviert zwischen neuen Einfamilienhäusern. Am Rand der Wiese wieder weiße Stelen. Hier stand früher ein Kleinkastell. Die Fundamente waren bis vor 100 Jahren noch zu sehen. Wo mögen sie heute sein? Das Schloss unten an der Nidda hingegen strahlt noch im alten Glanz. Es gehörte einst einer Nebenlinie der Ysenburger Fürstenfamilie. Doch es ist schon lange im bürgerlichen Privatbesitz. Heute beherbergt es ein beliebtes Restaurant. Im Schlossgraben spiegeln sich die roten Geranien und die Fische springen nach Mücken. Wegen der vielen Brücken über den Burggraben und den Mühlbach nennt man Staden auch „Klein Venedig“. Ich warte einen Moment, ob ein Gondoliere mit einem schmachtenden Lied auf den Lippen anlegt, um mich mitzunehmen, doch vergebens.
Hinter dem Schloss überquere ich die Nidda und biege in die flache Ebene der Wetterau ein. Rehe kreuzen meinen Weg. Irgendwo vor mir steigen kleine Flugzeuge vom Flughafen Reichelsheim in die Höhe. Ich höre nur das Brummen ihrer Motoren. Der Radweg führt kreuz und quer über Wirtschaftswege zwischen weiten Feldern hindurch. Der Limes, so erkenne ich immer wieder mal an den weißen Stelen, verlief am Rande der Hügel im Osten. Der Radweg macht jetzt erst mal einen großen Schlenker nach Reichelsheim. Entlang einer kleinen Bahnlinie werde ich durch ein Feuchtgebiet geführt. Es muss ein Eldorado für Vögel sein. Neben einem Beobachtungsstand gibt es eine ganze Reihe von Ruhebänken, von denen aus man zu bestimmten Zeiten sicher viele seltene Vogelarten beobachten kann. Außer mir lässt sich im Moment niemand darauf nieder. Von seltenen Vögeln sehe ich auch nichts. Nur wie auf Bestellung stolziert ein Storch vor mir über die Wiese.
Erst vor Bingenheim treffe ich wieder auf den Limes. Bingenheim liegt vor Echzell. Auch dieser kleine Ort hat ein Schloss. Heute ist es Wohnort und Arbeitsstätte der Lebensgemeinschaft Bingenheim, einer Einrichtung für seelisch-pflegebedürftige Menschen. Bis Echzell ist die Wegführung wieder identisch mit dem Limesverlauf. Doch weder Wall noch Graben erinnern an ihn. In Echzell endet der kürzlich neu markierte Abschnitt der Limesroute. Hier stand das größte Kastell in der Wetterau. Außer der Erinnerung an ein Eliteheer von eintausend bewaffneten Reitern, die im Kastell lebten, ist nichts von ihm geblieben.
Apropos Söldner: Ich habe so einiges auf den Infotafeln entlang der Strecke gelernt. Zum Beispiel auch, dass diese Soldaten im eigentlichen Wortsinn keine Legionäre waren. Es waren Soldaten, zusammengewürfelt aus den verschiedensten Volksstämmen, die von den Römern unterjocht waren. Sie wurden fern ihrer Heimat eingesetzt und immer wieder an andere Grenzabschnitte verlegt, damit es keine Fraternisierung mit den dort lebenden Menschen gab. Erst nach 25 Jahren Waffendienst erhielten sie die römischen Staatsangehörigkeit und nur als solche durften sie die Bezeichnung „Legionär“ tragen. Wie viele von ihnen mögen überhaupt diese lange Wartezeit überlebt haben? |
Teil 2 - von Echzell bis Butzbach
Inzwischen sind 4 Wochen vergangen. Ein außergewöhnlich warmer Oktobertag hat mich heute zum zweiten Teil der Limesroute in der Wetterau eingeladen. Es wird bunt in Hessen. Essigbaum und wilder Wein konkurrieren um die schönsten Rottöne, während das zarte Gelb der Eichenblätter erst im Gegenlicht so richtig zur Geltung kommt. Der Herbst ist gerade dabei, sein schönstes Kleid anzulegen und die Sonne lacht vom blauen Himmel.
Ich starte in Echzell, dort wo der erste Teil der Limesroute endete. Hier sehe ich zum letzten Mal die weißen Pfähle, die den Verlauf des Limes markieren. Den Waldrand entlang verlasse ich Echzell. Vor Bisses steht ein Rüttelfalke über dem Feld. Der Acker ist schon für die neue Saat bereitet, die Mäuse sind dem Falken schutzlos ausgeliefert. Es gibt viele Mäuse in diesem Jahr. Im Kirchturm von Langendiebach ziehen Schleiereulen schon die zweite Brut in diesem Jahr hoch. Etwas weiter vor mir eilt eine kleine Gruppe von Kranichen nach Süden. So schnell kann ich gar nicht die Kamera zücken, dann sehe ich sie nur noch als kleine schwarze Punkte, die am Himmel tanzen. Die Wetterau ist hier sehr weitläufig.
|
Hinter Bisses wird es hügelig. Die Route führt über die Landstraße. Der Limes zog sich einst westlich der Straße entlang. Der Wall und der Graben sind inzwischen eingeebnet. In Unter-Widdersheim bin ich froh, dass ich die Landstraße verlassen kann. Nicht jeder Autofahrer hält 1,50 Meter Abstand zu mir. Da kann es einem manchmal recht mulmig werden. Unter-Widdersheim wartet mit einem netten alten Ortskern und dem sagenumwobenen „Kindstein“ auf. Vor mir steht er nun, groß, breit und grau wie der Basalt, aus dem der Vogelsberg ist. Genau genommen ist es ein Phonolith, auf Deutsch: Klingstein. Solche Menhire gibt es an einigen Stellen in Hessen. Sie stammen aus der Megalithkultur vor gut 5000 Jahre. Die Sage berichtet, dass in dem Stein die ungeborenen Kinder hausen sollen. Man höre sie schreien, wenn man das Ohr an den Stein legt. Heute habe ich keine Lust auf Kindergeschrei.
|
Ein glänzender Schienenstrang zieht sich nach Nordwesten. Ich folge ihm, mal rechts, mal links, bis zu einem See. Kahle tote Baumstämme ragen aus dem Wasser. Es sieht dunkel aus, so wie im Moor. Hinter dem Bahndamm ein zweiter See. Sie gehören zur Wetterauer Seenplatte, ein gutes Dutzend Seen von Menschenhand erschaffen. Lange Jahre wurde in diesem Teil der Wetterau Braunkohle abgebaut und im nahen Wölfersheimer Kraftwerk verstromt. 1991 wurde das Kraftwerk stillgelegt und zurückgebaut. Der Schlot ist gefallen, neue Gewerbe siedelten sich an. Die Seen füllten sich mit Wasser.
Ich erinnere mich an die Kraniche, die eben vorüberzogen. Dieser See muss doch ein idealer Rastplatz für Kraniche sein, denke ich mir. Am Bahndamm vor mir sitzt ein Mann mit Feldstecher. Als er ihn absetzt, spreche ich ihn an. „Nein“, sagt er, „Heute gibt es hier wenige Kraniche.“ Und ich erfahre, dass die Masse dieser Durchreisenden noch nicht im Hessenland angekommen ist. „Ja, letzte Woche, da waren rund 1000 hier. Sie lieben es, mit den Füßen im Wasser zu stehen.“ Mal schauen, ob ich in diesem Jahr den Zug der Kraniche mit erleben darf. Ich wünsche ihm noch einen schönen Tag und setze meine Reise fort. Hinter dem kleinen, dunklen See liegt Inheiden. Mein Blick fällt zwischen Herbstblattwerk auf einen weiteren See. Er sieht nicht abgestorben und moorig aus, eher im Gegenteil. Bunte Ferienhäuser zieren sein Ufer.
Schön wäre es, wenn jetzt wenigstens die Limesroute gut ausgeschildert wäre. Seit Echzell habe ich mich mehr oder minder an dem Radreiseführer orientiert. Das bedeutet für mich immer wieder anzuhalten, Karte rauskramen, aufblättern, neu orientieren und dann bisweilen doch auf gut Glück weiterzufahren. Dass ich jetzt bis Hungen auf einer viel befahrenen Landstraße radeln muss, ist nicht mein Fehler. Hier fehlt einfach ein Radweg. Die zahlreichen LKW-Fahrer freuen sich sicher auch nicht über den rot gekleideten Radfahrer, der sie zum Abbremsen zwingt.
Ich erinnere mich an die Kraniche, die eben vorüberzogen. Dieser See muss doch ein idealer Rastplatz für Kraniche sein, denke ich mir. Am Bahndamm vor mir sitzt ein Mann mit Feldstecher. Als er ihn absetzt, spreche ich ihn an. „Nein“, sagt er, „Heute gibt es hier wenige Kraniche.“ Und ich erfahre, dass die Masse dieser Durchreisenden noch nicht im Hessenland angekommen ist. „Ja, letzte Woche, da waren rund 1000 hier. Sie lieben es, mit den Füßen im Wasser zu stehen.“ Mal schauen, ob ich in diesem Jahr den Zug der Kraniche mit erleben darf. Ich wünsche ihm noch einen schönen Tag und setze meine Reise fort. Hinter dem kleinen, dunklen See liegt Inheiden. Mein Blick fällt zwischen Herbstblattwerk auf einen weiteren See. Er sieht nicht abgestorben und moorig aus, eher im Gegenteil. Bunte Ferienhäuser zieren sein Ufer.
Schön wäre es, wenn jetzt wenigstens die Limesroute gut ausgeschildert wäre. Seit Echzell habe ich mich mehr oder minder an dem Radreiseführer orientiert. Das bedeutet für mich immer wieder anzuhalten, Karte rauskramen, aufblättern, neu orientieren und dann bisweilen doch auf gut Glück weiterzufahren. Dass ich jetzt bis Hungen auf einer viel befahrenen Landstraße radeln muss, ist nicht mein Fehler. Hier fehlt einfach ein Radweg. Die zahlreichen LKW-Fahrer freuen sich sicher auch nicht über den rot gekleideten Radfahrer, der sie zum Abbremsen zwingt.
Durch einen Verkehrskreisel hindurch erreiche ich Hungen und mit ihm eine vorbildliche Beschilderung des Limesradweges. Ich passiere die Römerstraße und die Limesstraße, welch ein Zufall, und komme wieder aufs freie Feld hinaus. Nach ein paar hundert Metern erreiche ich eine kleine Kreuzung. Die Ruhebank kommt mir gerade gelegen und eine Info-Tafel zum Limes gibt es auch. Hinter mir türmen sich Sandberge auf. Einige sind mit Planen bedeckt. Was ich erst als Bauschuttsammelstelle der Gemeinde Hungen halte, entpuppt sich als „Dirt Park“. Du weißt nicht, was ein Dirt-Park ist? Ich auch nicht! Also muss die Suchmaschine mit den zwei O wieder ran. Es ist eine BMX-Hindernisbahn. Auf zahlreichen Schildern werden die Regeln für die Benutzung angezeigt. Am wichtigsten: Nach einem Sturz sofort die Bahn räumen. „Sofern man kann“ denke ich laut und lache. Das Lachen bleibt mir gleich im Halse stecken. Wo bitte geht es weiter? Geradeaus endet der Weg im Feld. Keine Wegmarkierung ist zu sehen. Im Norden zieht sich ein bewaldeter Höhenzug entlang. Ich weiß, dass ich mich nordwestlich halten muss. Also radele ich hinter dem Dirt-Park erst mal auf einer Brücke über die Bundesstraße und dann? Weiter vorne ist ein Reiterhof. Ich halte auf ihn zu. Niemand zu sehen, außer einem osteuropäischen Bauarbeiter, der sich nicht auskennt. Also weiter auf Orientierungsfahrt Richtung Nordwesten. Ein Bauer im Jeep hilft mir schließlich weiter. Ich solle ihm nur folgen bis zu den Traktoren dort hinten. Von da ab führe ein betonierter Weg zu dem Aussiedlerhof und dort fände ich den Weg nach Bettenhausen. Im Aussiedlerhof frage ich einen betagten Mann im Rollstuhl nach dem Weg: „Geht es hier nach Bettenhausen?“ Antwort: „Jo“. „Immer gerade aus?“ Antwort: „Jo“. Klare Sprache. Und tatsächlich komme ich nach Bettenhausen. Sofort fallen mir wieder die Limeswegzeichen auf: schwarzer Wachturm auf weißem Grund. Sie führen mich im Zickzack durch den Ort.
Inzwischen bin ich im Hügelland angekommen. Zwischen Bettenhausen und Muschenheim steht auf der Höhe der stilisierte Nachbau eines Wachturms. Sicher habe ich von dort oben eine schöne Aussicht. Aber Kloster Arnsburg ist nah und dort möchte ich Vespern. Im Süden zeichnen sich die beiden Türme des „Wetterauer Tintenfasses“, der Burg Münzenberg, vor dem Horizont ab.
Eine kleine Brücke führt über einen noch kleineren Fluss. Es ist die Wetter, der Namensgeber der Wetterau. Ich habe das Kloster Arnsburg erreicht. Durch einen Tordurchgang hindurch geht es in den Innenhof. Um einen Brunnen gruppieren sich zahlreiche Gräber. Mich erschaudert es, als ich die Schrift auf den Grabplatten lese. Neben Gefallenen des 2. Weltkrieges liegen von der Gestapo ermordete Kriegsgefangene. Am Ausgang hängt eine Spendenbüchse für den Erhalt des Friedhofs. Ein Schein wandert hinein. Dieser Friedhof ist ein Gedenken an alle Opfer des Dritten Reiches. Es ist still in der gesamten Klosteranlage. Zwischen den Säulen der ehemaligen Kirche wächst Gras. Ein Mähroboter hält ihn kurz. Er verschnauft gerade an seiner Ladestation neben der Treppe zum Dormitorium. Das Kloster wurde 1174 als Benediktinerkloster gegründet. Es ist nicht das erste Gebäude, das an dieser Stelle stand. Bereits die Römer errichteten hier am Durchgang des Flusses durch den Limes ein großes Kastell. Wo heute dichter Wald steht, hatten sie eine breite Rodung angelegt. Die strategische Lage in der Nordspitze der Wetterau wiesen dem Kastell eine besondere Bedeutung zu. Nach dem Abzug der Römer zerfielen die Bauten. Kuno von Arnsburg errichtete an dieser strategischen Stelle seine Burg. Das war um das Jahr 800 herum. Nach 200 Jahren war die Burganlage wohl schon zu klein geraten. Unweit der ersten Burg wurde daher eine zweite errichtet. Seinem Enkelsohn Konrad II. und seiner Frau Luitgart war auch diese Burg nicht herrschaftlich genug. Im Tauschhandel mit dem Abt von Fulda überließen sie diesem die Burg und die gerade erst gestiftete Klosteranlage Arnsburg, das damals noch Altenburg hieß, und bauten sich auf dem Münzenberg eine neue Burganlage. Die Benediktinermönche waren fleißig, doch wohl nicht fleißig genug. Obwohl die verlassene Burg und die Ruinen des Römerkastell genügend Baumaterial boten, verließen sie bereits nach 20 Jahren wieder das Kloster. Recht schnell, schon wenige Monate nach dem Abzug der Benediktiner wurde die Anlage den Zisterziensern vom Kloster Eberbach übergeben. Über 600 Jahre bewirtschafteten sie das Kloster und zahllose Ländereien in der Wetterau. Das Kloster bezog Einnahmen aus mehr als 270 (!) Ortschaften. Im Jahr 1803 wurde schließlich das Kloster im Zuge der Säkularisation als Folge des Reichsdeputationshauptschlusses aufgelöst. Ganz schön viel Geschichte und ich könnte noch mehr erzählen, von dem Aufstand der Laienbrüder gegen die Mönche zum Beispiel, oder den Zerstörungen im 30-Jährigen Krieg, oder gar dem sehr unasketischen Wohlleben der Mönche mit Wein und Weib unter Abt Georg Heyl, aber das würde jetzt zu weit führen.
Über das holprige Kopfsteinpflaster verlasse ich die Klosteranlage. Wieder vermisse ich die Beschilderung des Limesradweges. „Folgen Sie dem geteerten Weg hier hoch bis zur Straße. Auf der anderen Seite verläuft dann der Radweg Richtung Lich“, so die junge Frau, die ich um Rat fragte. Gesagt, getan. Es geht bergauf und es riecht nach Pilzen. Erst die Nässe und nun die Wärme, das lieben die Pilze. Ich sehe schöne Exemplare im Unterholz.
Der Wald zieht sich auf dem Höhenzug, den ich schon von Hungen aus gesehen hatte. In einem großen Bogen wendet sich der Limes in diesem Waldstück jetzt nach Südwesten. Es ist still im Wald, wunderbar still. Ab und zu kläfft ein Hund. Sanft segeln Blätter von den Bäumen. Es geht langsam bergauf. Schnurgerade führt der Weg für eine gefühlte Ewigkeit, dann muss ich mich neu orientieren. Durch die Bäume schimmert das Licht der Sonne. Ich bin mal wieder falsch abgebogen. Doch das macht mir nicht. Ich weiß, im Westen liegt mein Ziel und die Sonne zeigt mir den Weg. Ich lasse mich von der Stille vereinnahmen. |
Erst am Ende des langen Waldstücks stoße ich wieder auf Menschen: Pilzsucher und Spaziergänger. Hier knickt der Radweg mit dem Limes auch nach Süden ab. Über einen langen Hang rolle ich nach Grüningen hinab. Weit reicht der Blick über braune Felder und grüne Wiesen in die nördliche Wetterau.
„So, übers Feld wollen Sie. Dann müssen Sie dort hinter dem letzten Haus nach links.“ So ist das, wenn mal wieder die Beschilderung fehlt. Die alte Dame wollte mich über die Landstraße nach Pohlheim schicken. Doch das ist nicht mein Ziel. Ich will dem Limes weiter folgen bis nach Butzbach. Laut meiner Karte muss ich übers Feld. Doch dann muss ich feststellen, dass das eine schlechte Idee war. Der Feldweg führt mich zur Landstraße, dort wo ich nicht hin will. Weit über mir auf dem Bergrücken sehe ich jetzt den Turm der Burgruine. Dort in der Nähe führt der Radweg entlang. Hier unten im Tal ist es unbestritten schön. Aber ich will weiter, und das heißt jetzt bergauf. |
Schließlich erreiche ich eine kleine Landstraße. Die Burgruine liegt schon hinter mir. Der Verkehr ist mäßig und so rolle ich gemütlich wieder bergab. Immer schneller wird die Fahrt, dann sehe ich das Schild „Kleinkastel Holzheimer Unterwald“. Das quadratische Fundament ist befestigt. Moos überzieht die Steine, leuchtet sattgrün im Sonnenlicht. Buchen lassen ihre welken Blätter fallen.
Hinter dem Kleinkastel geht es wieder bergauf. Hier verläuft der Limes gut vier Kilometer wieder auf einem Bergrücken. Wieder fällt mir auf, wie die Römer für ihre Grenzsicherung strategisch wichtige Landschaftsformationen genutzt haben. Wo heute ein dichter Buchenwald steht, war damals alles kahl geschlagen für den weiten Blick auf das Gelände jenseits der Grenze. Der Limeswall ist hier gut erhalten. Ich folge ihm, bis er jäh abbricht. Die Trasse der Autobahn, der Sauerlandlinie, ist tief in den Berg eingegraben. Hoch auf der Brücke verfolge ich für einen Moment den starken Verkehr und denke daran, wie viele Wochen große Maschinen gebraucht haben, um diesen Einschnitt im Berg zu graben. Wie viele Sklaven haben dagegen wohl bei der Rodung des Grenzstreifens, der Errichtung des Palisadenzauns und später Aufschüttung des Walls über viele hundert Kilometer ihr Leben gelassen?
Schwere Gedanken, die mich durchwandern, dann tauche ich wieder in den Wald ein. Der dichte Bewuchs dämmt den Verkehrslärm und schluckt ihn schließlich gänzlich. Der Wald ist herbstlich bunt. Pilze schießen allenthalben aus dem Boden oder aus Baumstämmen, die gefällt und zerlegt schon lange am Wegesrand liegen.
Schwere Gedanken, die mich durchwandern, dann tauche ich wieder in den Wald ein. Der dichte Bewuchs dämmt den Verkehrslärm und schluckt ihn schließlich gänzlich. Der Wald ist herbstlich bunt. Pilze schießen allenthalben aus dem Boden oder aus Baumstämmen, die gefällt und zerlegt schon lange am Wegesrand liegen.
Am Ende des langgestreckten Waldes erreiche ich schließlich Butzbach. Noch liegt es tief im Tal. Entlang gepflügter Felder, über die der Blick weit ins Land reicht, rolle ich ins Zentrum. Ein schönes Fachwerkensemble ziert den Marktplatz. Ob Georg Büchner vor zweihundert Jahren dieses Ensemble auch bewunderte, als er den Text des „Hessischen Landboten“zur hiesigen Druckerei brachte, ist nicht überliefert. Hier in Butzbach beendete ich meinen zweiten Teil der Limesroute. Genauer gesagt verlasse ich den Limes. Denn während dieser nun die Höhen des Taunus erklimmt, führt mich mein Weg quer durch die Wetterau zurück nach Echzell.
Immer wieder erhasche ich einen Blick auf die Türme der Burg Münzenberg. Ich habe sie in einem großen Kreis umfahren. Dieses markanteste Bauwerk der nördlichen Wetterau ist einen Besuch wert, zwar nicht heute, aber am gestrigen Sonntag. Hoch auf einem Felssporn liegt sie über der Landschaft. Rund um das Oval der Burganlage führt ein Wehrgang. Wieder kommen mir die Bilder in den Kopf. Vom Hoherodskopf im Vogelsberg im Osten, weiter entlang eines langen bewaldeten Bergrückens nördlich der Burg schweifte mein Blick dann nach Südwesten zu den Höhen des Taunus mit Feldbergturm und Altkönig, über weite Felder und eingestreute Dörfer, bis er wieder den Vogelsberg erreicht. Dieser Rundumblick an einem sonnigen Herbsttag war fantastisch. Ich habe unter der mächtigen Linde im Innenhof gesessen und das Kommen und Gehen der Besucher beobachtet. Der grüne Rasen und die gelben Herbstblätter standen in schönen Kontrast zum schwarzen Basaltstein und dem gelben und roten Sandstein der Ruinen. Es war ein Farbspiel, das seinen i-Punkt durch die rote Jacke einer Besucherin erhielt. Ein Ort zum Verweilen und Ruhen.
Ich blicke zurück auf die weite Ebene der Wetterau. Es ist ein Garten Eden, den schon die Römer zu schätzen wussten. Damals gab es über 300 Gutshöfe. Zu ihnen gehörten große Obstplantagen, in denen Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen und Pfirsiche gediehen. Ob sie auch schon Apfelwein kelterten, ist leider nicht überliefert. Auch dass ich in nahezu jedem Ort entlang der Route auf ein mittelalterliches Schloss gestoßen bin, ist ein beredtes Zeichen des Reichtums der Wetterau. Zum Schutz dieses Obst- und Gemüsegartens wichen die Römer von der schnurgeraden Grenzziehung ab und schlugen vom Taunus aus in weitem Bogen nach Norden und dann entlang der Ausläufer des Vogelsbergs wieder nach Süden, bis er auf den Main stieß.
|
Hinter mir liegen 106 Kilometer Reise in die Vergangenheit. Eine Grenze gab es, eine Grenze, welche die Bewegungsfreiheit von Menschen einschränkte. In Erlensee fährt ein kleiner städtischer Bus, der sogenannte Familienbus. Auf seiner Rückseite prangt neben einem freundlich lächelnden römischen Soldaten der Spruch: "Grenzen gab es früher". Ich wünsche mir, dass es so bleibt.
E N D E
2. Teil der Limesroute:
Entlang des „Nassen Limes“ und weiter bis zur Römerstadt Osterburken
und zu guter Letzt für den Überblick :