Als der schwere Wagen zum Stehen gekommen ist, breitet sich Stille aus. Nur die Pferde schnauben und scharren mit den Hufen. „Gebt ihnen reichlich zu fressen und zu saufen, sie haben es verdient.“, ruft Gottfried Wassenberg den beiden Knechten zu. Er schaut die Strecke zurück, die sie gekommen sind. Unterhalb der baumlosen Höhe erstreckt sich hinter den kleinen Häusern von Bergen die grüne Main-Ebene. Irgendwo dort unten liegt die Stadt Frankfurt, die sie am frühen Morgen verlassen haben. Heimlich greift er an seinen prall gefüllten Geldbeutel. Er ist zufrieden. Auf der Buchmesse hat er fast seinen ganzen Bestand verkaufen können. Bibeln stehen zurzeit in Frankfurt hoch im Kurs. Das katholische Mainz ist nicht weit. Bei den Verlagen hat er sich anschließend mit neuen Büchern eingedeckt. Leipzig ist sein Ziel. Er kennt die Strecke wie seine Hosentasche. Oft genug hat er diese Reise schon gemacht. Hier wie dort und auch unterwegs ist er schon viele Jahre als Buchhändler bekannt. Auch er nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Auf geht es“, ruft er den Knechten zu. „Leipzig wartet.“
„Entrée“ steht auf einem kleinen Schild, „Eintritt zur Hohen Straße“. In dem großen Blech vor mir ist ihr Verlauf eingeschnitten. Wind und Wetter haben das Blech rostrot werden lassen, die Namen der Ortschaften sind nur noch Schatten ihrer selbst.
Die Sonne strahlt am Himmel. Immer wieder rollen Radler vorbei: einzeln, paarweise, Familien, Gruppen. An diesem Brückentag zieht das schöne Wetter die Menschen in die Natur, so wie mich. Hier beginnt meine Reise. Ich will der Route dieser Jahrtausende alten Straße folgen. In Abschnitten werde ich sie radeln und vielleicht irgendwann auch Leipzig erreichen. Doch wie heißt sie eigentlich? Die Völker, die im Laufe der Jahrhunderte hier lebten, gaben ihr unterschiedliche Namen. Mal wird sie als Altstraße bezeichnet, mal als Hohe Straße, mal als Via Regia, mal als Antsanvia. Die Verbindung der beiden Buchmesse-Städte Frankfurt und Leipzig ist dabei nur ein Teilabschnitt. Schon im Mittelalter verband dieser Weg Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens mit Kiew in der heutigen Ukraine. Mein erster Abschnitt ist die „Hohe Straße“, die hier beginnt.
Langsam rolle ich an, der Rückenwind gibt mir Schiebehilfe. Es ist Frühling. Der Raps steht in voller Blüte. Überall liegen gelbe Teppiche in der Landschaft. Gleich neben mir hüllt mich schon ein solcher mit seinem intensiven Duft ein. Es summt und brummt zwischen den Blüten. Ich freue mich schon auf den Rapshonig, den die eifrigen Bienen dort für mich sammeln.
Das Rad beschleunigt schnell, von der Höhe geht es erst mal in eine Senke. Ein steinernes Buch, mannshoch, aufgeklappt am Wegesrand, erinnert an die jüngste Tradition der Stadtschreiber von Bergen Enkheim. Ob es früher dort wohl auch schon Stadtschreiber gab, frage ich mich. |
Ich rolle vorbei auf ein kleines Wäldchen zu. Es ist die Große Loh. Ein Künstler hat eine Reihe paralleler Stelen errichtet. Sie symbolisieren die Blickachse zwischen Taunus und Mainebene und verbindet zwei markante Punkte in der Landschaft. Da ist zum einen der gewaltige Steinbruch am Taunushang und zum anderen hinter Hanau das Großkraftwerk Staudinger mit seinen Schloten und seinen beiden Kühltürmen.
Die Ruhebank neben den Stelen ist belegt, wie immer, ein beliebter Treffpunkt. Als wäre dies mir zu beweisen, begrüßt das Pärchen auf der Bank gerade in diesem Moment ankommende Radler mit einem fröhlichen "Hallo". Nun geht es wieder leicht bergan. Während linker Hand sich das Wäldchen hinzieht, fällt mein Blick rechter Hand in die Mainebene, die sich mit jedem Höhenmeter weiter öffnet. Aus dem Grün der Fläche stechen die hellen Fassaden der Wohnblocks von Bischofsheim hervor. |
Ein rotes Stoppschild, etwas versteckt im Schatten der Büsche, stoppt mich jäh. Ich muss die lange Reihe der Autos vorbeilassen, bevor ich die Landstraße überqueren kann. Dahinter steigt der Weg stetig an. Auf ein langes Feld folgt wieder ein Wäldchen. Es ist die Kleine Loh. Einige Ruhebänke stehen rechts und links am Waldrand, alle in Blickrichtung Frankfurt. Auch ich bleibe stehen und drehe mich um. Wow, die Skyline von Frankfurt! Und nicht nur das. Nach Nordwesten hin kann ich über Gronau hinweg, es kann aber auch Niederdorfelden sein, bis zum Taunuskamm schauen und nach Süden bis zum Odenwald. An ganz klaren Tagen kann man auch die Feste Otzberg sehen. Während sich nach Norden hin in der fruchtbaren Wetterau ein Feld an das andere reiht, erstreckt sich im Süden eine ausgedehnte Waldfläche. Nur hie und da lassen vereinzelt hohe Bauwerke oder die Ansammlung von ziegelroten Dächern erkennen, dass sich dort eine Stadt ausbreitet. Von hier oben scheint es so, als wäre das östliche Rhein-Main-Gebiet nur von Wald bedeckt. Ich denke mir die Bauwerke weg und kann mir vorstellen, dass der Buchhändler Gottfried Wassenberg vor vielen hundert Jahren den gleichen Eindruck hatte.
Wieder einmal zerschneidet eine Landstraße den Radweg, Diesmal habe ich gleich freie Fahrt. An einem alten Funkmast rolle ich vorbei. Ursprünglich diente er der US Army zu militärischen Zwecken. Jetzt haben sich die Sendeanlagen aller Mobilfunkanbieter auf den Plattformen zusammengerottet. Mit gut zweihundert Metern habe ich schon den höchsten Punkt dieses Streckenabschnitts erreicht. Jetzt geht es wieder leicht bergab.
Kurz danach hält mich eine rote Sesselgarnitur am Wegrand auf. Es ist die "Leseecke Wachenbuchen". Auch wenn die Sesselgarnitur nicht aus edlem Leder, sondern nur aus Holz ist, mache ich es mir bequem. Weit vor mir erblicke ich die Dächer von Wachenbuchen und noch weiter dahinter den Hahnenkamm, der die Vorhut des Spessarts bildet.
Kurz danach hält mich eine rote Sesselgarnitur am Wegrand auf. Es ist die "Leseecke Wachenbuchen". Auch wenn die Sesselgarnitur nicht aus edlem Leder, sondern nur aus Holz ist, mache ich es mir bequem. Weit vor mir erblicke ich die Dächer von Wachenbuchen und noch weiter dahinter den Hahnenkamm, der die Vorhut des Spessarts bildet.
Und weiter geht die Fahrt. Hinter dem Wäldchen taucht ein einsamer Baum auf. Neben den vielen Windrädern, die sich hinter ihm aufreihen, mag er klein erscheinen. Aber in seinem Schatten hat schon im 17. Jahrhundert der Buchhändler Gottfried Wassenberg eine Rast eingelegt. 600 Lenze soll diese Eiche zählen. Lausbaum nennt sich dieser Solitär. Das Wort Laus geht möglicherweise auf den Begriff Los zurück, der Grenzverläufe kennzeichnet. Auch das Alter ist umstritten. Seit ich vor 40 Jahren meine erste Arbeitsstelle in Hanau aufgenommen habe, kenne ich das markante vom Westwind geprägte Profil dieses Baumes. Ob die Radfahrer, die es sich gerade auf den neuen Ruheliegen bequem gemacht haben, wissen, dass auch schon Goethe und Napoleon und vielleicht auch Luther hier im heißen Sommer den kühlen Schatten des Baumes gesucht haben? Ich denke mir, dass er mir viele Geschichten erzählen würde, wenn er nur reden könnte. Auch von seinem Leid könnte er berichten. Im trockenen Sommer des Jahres 2018 brach ein großer Ast ab. Die Gemeinde Schöneck reagierte sofort. Zuerst wurde der Baum gesichert und abgesperrt. Dann wurde auf der angrenzenden Wiese ein Verweilort mit Liegen und Hängematten und kleinen Bäumen angelegt. Die neue Anlage wurde jüngst fertiggestellt und wird, wie ich sehen kann, dankbar angenommen.
Die Kastanien blühen. Wie Kerzen stehen die weißen Blütenstände auf den Ästen. Darüber drehen sich die Windräder. Der Südwestwind kommt Ihnen heute gerade recht. Die schmalen Schatten der Rotoren huschen über mich hinweg. Einhundert fünfundachtzig Meter ist solch ein Windrad hoch. Es versorgt 1500 Haushalte. Neun dieser Windräder reihen sich entlang des Radweges hintereinander. Auch von hier kann ich die Schlote des Kohlekraftwerkes Staudinger in der Mainebene sehen.
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Seine Tage sind gezählt, immer mehr Strom wird aus erneuerbarer Energie erzeugt. Mich stören diese Windräder nicht. Zulange habe ich unter den Emissionen von Kohlekraftwerken gelitten.

An der Galgenschaukel kann ich nicht einfach vorbeifahren. Die Schaukel bewegt sich leicht im Wind. Also aufgesetzt, ein paarmal hin und her geschaukelt und dabei den weiten Blick in die Mainebene genießen. Auch im Mittelalter war die Höhe so kahl und baumlos wie heute. Die Bäume waren schon lange abgeholzt und in den Kaminen von Frankfurt, Hanau und den am Rande der Hohen Straße liegenden Burgen und Schlösser verheizt. Goethe hat sicher irgendwo in seinen Werken auch schon den wunderschönen Weitblick von hier gepriesen. Die kahlen Höhen hatten für die Durchziehenden einen großen Nutzen: Sie ersparen ihnen nicht nur die sumpfigen Täler, sondern waren auch weitgehend sicher vor Wegelagerer und Räuber, denen keine Möglichkeit für einen Hinterhalt geboten wurde.
Ich erinnere mich an sommerliche Tage, an denen am späten Nachmittag schwarze Gewitterwolken über der Mainebene liegen. Wenn dann die Sonne tief im Westen steht, reicht der klare Blick bis nach Aschaffenburg, dreißig Kilometer weiter im Süden. Dort zeichnet sich dann der Schlot der Papierfabrik von Stockstadt am Horizont ab. Heute liegen keine Gewitterwolken über dem Main. Aber es ist klar genug für einen weiten Blick nach der einen wie nach der anderen Seite. Ich erkenne deutlich, wie die Hohe Straße auf der Wasserscheide verläuft. Es liegt nahe, zu vermuten, dass ihr Name auf die Höhenlage zurückzuführen ist. Aber tatsächlich steht hinter dem Wort Hohe der Begriff hoheitlich, welcher aussagt, dass diese Straße unter der Hoheit des Kaisers stand.
Ich erinnere mich an sommerliche Tage, an denen am späten Nachmittag schwarze Gewitterwolken über der Mainebene liegen. Wenn dann die Sonne tief im Westen steht, reicht der klare Blick bis nach Aschaffenburg, dreißig Kilometer weiter im Süden. Dort zeichnet sich dann der Schlot der Papierfabrik von Stockstadt am Horizont ab. Heute liegen keine Gewitterwolken über dem Main. Aber es ist klar genug für einen weiten Blick nach der einen wie nach der anderen Seite. Ich erkenne deutlich, wie die Hohe Straße auf der Wasserscheide verläuft. Es liegt nahe, zu vermuten, dass ihr Name auf die Höhenlage zurückzuführen ist. Aber tatsächlich steht hinter dem Wort Hohe der Begriff hoheitlich, welcher aussagt, dass diese Straße unter der Hoheit des Kaisers stand.
Wieder einmal muss ich eine Landstraße überqueren. Sie führt von Mittelbuchen nach Kilianstädten. Mir fällt auf, dass die Hohe Straße zwar immer auf der Höhe verläuft, dass die Ortschaften aber rechts und links im Tal liegen. Möglicherweise waren sie dort besser vor durchziehenden Heeren geschützt. Diese Straße benutzten natürlich nicht nur Kaufleute und adlige Würdenträger, sondern auch das Militär. Perfekt war der Schutz unten im Tal allerdings nicht. Im Dreißigjährigen Krieg zogen schwedische Truppen über die Hohe Straße. Die Menschenverluste in den Ortschaften entlang der Hohen Straße waren höher als anderswo und so mancher Weiler wie etwa Lützelbuchen östlich von Mittelbuchen wurde hernach nie wieder besiedelt.
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Hinter der Landstraße steigt der Weg wieder an. Auch wenn ich schon seit geraumer Zeit der Höhenlinie folge, ist der Weg wellig, folgt der hügeligen Landschaftsform. Von hier hat man einen ganz besonderen Fernblick nach vielen Seiten. Während hinter Hanau die beiden Kühltürme vom Staudinger grell in der Sonne leuchten, erhebt sich im Westen das Relief des Taunus über einem wogenden Getreidefeld. Die Türme des Kraftwerkes bilden einen Orientierungspunkt in der Mainebene, der mich seit dem Entrée begleitet.
Hinter einer ehemaligen Radaranlage stoße ich auf die nächste Leseecke. Ich finde es toll, wie der Verein Regionalpark Hohe Straße e.V. diese Strecke zu einem lebenden Freizeitpark ausgebaut hat. An der Zahl der Wanderer und Radfahrer merke ich, dass die Hohe Straße als Regionalpark gut angenommen wird. Von der Leseecke aus fällt mein Blick auf Windecken. Über die große Talbrücke wird seit einiger Zeit der Durchgangsverkehr um den Ort herumgeleitet.
Hinter einer ehemaligen Radaranlage stoße ich auf die nächste Leseecke. Ich finde es toll, wie der Verein Regionalpark Hohe Straße e.V. diese Strecke zu einem lebenden Freizeitpark ausgebaut hat. An der Zahl der Wanderer und Radfahrer merke ich, dass die Hohe Straße als Regionalpark gut angenommen wird. Von der Leseecke aus fällt mein Blick auf Windecken. Über die große Talbrücke wird seit einiger Zeit der Durchgangsverkehr um den Ort herumgeleitet.
"Schaut da vorne, die Baumgruppe, da rasten wir", ruft Gottfried Wassenberg den Knechten zu. "Wir werden vom Hofmeister des Hanauer Grafen erwartet. Joseph Martin Brauer, der Bockenheimer Drucker, hat mir ein Paket für ihn mitgegeben. Ganz geheimnisvoll hat er getan. Aber mir schwant zu wissen, was da drinnen ist. Seit Monaten wird landauf, landab von der Hochzeit der lieblichen Tochter des Burgmannes gesprochen. Sie ist eine außergewöhnliche Schönheit und das Brautgeld sicher nicht von schlechten Eltern." Er lacht verschmitzt: "Der Drucker hat uns die Einladungen für die Hochzeit mitgegeben, da bin ich mir ganz sicher. Er hat das Paket gut versiegelt, damit niemand reinschaut." Dann ruft er noch hinterher „Und haltet eure langen Finger bei euch, wenn wir dort sind, denn an der Warte steht auch der Galgen, und da möchte ich euch nicht baumeln sehen.“
Auch ich rolle auf die Baumgruppe zu. Eine mächtige Linde überragt alle anderen. Es ist der Wartbaum. Bereits 1640 wurde er schriftlich erwähnt. Die exponierte Lage mit Weitblick führte nicht nur zur Errichtung eines Galgens, sondern im Laufe der Geschichte auch zu einer Ansammlung vielfältiger Ereignisse: Große Truppenaufmärsche im Dreißigjährigen Krieg, 1759 die Zusammenführung eines Heeres zur Befreiung der Stadt Frankfurt, 1814 die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig, 1897 als Feldherrenhügel beim Kaisermanöver in Anwesenheit von Wilhelm II und seiner Gattin Auguste Viktoria, weiterhin des Königs von Sachsen, dem König und der Königin von Italien, vom Großherzog und der Großherzogin von Hessen und nicht zu vergessen des Prinzregenten Luitpold von Bayern. Mit Sicherheit verfasste in seinem Schatten auch Johann Wolfgang von Goethe zärtliche Reime (aber von diesem war ja schon beim Lausbaum die Rede).
Rund um den Wartbaum ist ein kleiner Park angelegt. Merkwürdige Gesellen begrüßen mich dort, Holzstelen mit stilisiertem Kopf und großer Nase, farbig angelegt, die in die Landschaft schauen. Sie stehen für die Völkerschlacht bei Leipzig. Und die hölzerne Patrouille mit geschultertem Gewehr erinnert an die vielen Soldaten, die hier schon durchzogen. Auch diese Installationen, genauso wie die Richterbank, aber auch vorhin die Galgenschaukel oder die Lesebänke stammen übrigens aus der Werkstatt der "Künstlerischen Holzgestaltung Bergmann GmbH" aus dem sächsischen Zentendorf.
Hier am Wartbaum bin ich nie alleine. Jedes Mal, wenn ich herkomme, gibt es auch andere, die auf der Wiese picknicken oder mit ihren Kindern herumtollen. Heute halte ich mich nicht lange auf. Mein Tagesziel legt noch weit vor mir. Mit Schwung geht es weiter Richtung Osten.
Rund um den Wartbaum ist ein kleiner Park angelegt. Merkwürdige Gesellen begrüßen mich dort, Holzstelen mit stilisiertem Kopf und großer Nase, farbig angelegt, die in die Landschaft schauen. Sie stehen für die Völkerschlacht bei Leipzig. Und die hölzerne Patrouille mit geschultertem Gewehr erinnert an die vielen Soldaten, die hier schon durchzogen. Auch diese Installationen, genauso wie die Richterbank, aber auch vorhin die Galgenschaukel oder die Lesebänke stammen übrigens aus der Werkstatt der "Künstlerischen Holzgestaltung Bergmann GmbH" aus dem sächsischen Zentendorf.
Hier am Wartbaum bin ich nie alleine. Jedes Mal, wenn ich herkomme, gibt es auch andere, die auf der Wiese picknicken oder mit ihren Kindern herumtollen. Heute halte ich mich nicht lange auf. Mein Tagesziel legt noch weit vor mir. Mit Schwung geht es weiter Richtung Osten.
Wieder einmal muss ich eine Landstraße überqueren. Hier gilt es besonders aufzupassen, denn die Autos aus Ostheim kommen aus einer unübersichtlichen Kurve. Aber damit nicht genug. Auf der anderen Straßenseite führt der Radweg auf einem schmalen Fußweg über eine Eisenbahnbrücke. Hoffentlich kommt mir niemand entgegen. Selbst wenn ich das Rad vorschriftsgemäß schiebe, ist kein Gegenverkehr möglich. Zum Glück kommt mir niemand entgegen. Danach erreiche ich wieder den breiten geteerten Wirtschaftsweg.
Schnurgerade führt der Weg nach Osten. Wenn ich zurückschaue, sehe ich die Verlängerung dieser Linie bis zur Radaranlage, nur unterbrochen durch die versetzte Brücke über die Eisenbahnstrecke. Ich folge dem Weg. |

Vor mir taucht eine Stele auf. Beim Näherkommen entpuppt sie sich als eine Reihe von Eisenpfosten, die hintereinander aufgereiht stehen. Erst als ich auf ihrer Höhe bin, erkenne ich den Sinn. Es ist ein Strichcode. Leider habe ich nicht den geeigneten Scanner zur Hand, sodass ich mich an der kleinen Infotafel schlaumachen muss. Sequenz Rossdorf heißt diese Installation. Sie stellt sinnbildhaft die Verbindung dieser uralten Handelsroute mit dem heutigen computerbasierten Handel her.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem Verein Regionalpark Hohe Straße e.V. ein großes Lob aussprechen. Die Beschilderung der Strecke ist vorbildhaft. Nicht nur, dass mir der rote Pfeil an Abzweigungen den Weg weist. Auch die Kilometerangaben zwischen den einzelnen Stationen sind sehr sinnvoll.
Die nächste Station, gerade mal fünfhundert Meter weiter, ist durch Landschaftsfenster geprägt. Das sind mannshohe Stahlplatten mit einem schmalen Durchbruch. Mir wird dann ein besonders schöner Ausschnitt der umliegenden Landschaft gezeigt. Und manchmal gibt es auch eine Liveeinspielung, wenn genau in dem Moment, wo ich durch das Fenster schaue, ein Radfahrer mein Blickfeld kreuzt. Leider ist dieser schneller als der Auslöser meiner Kamera.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem Verein Regionalpark Hohe Straße e.V. ein großes Lob aussprechen. Die Beschilderung der Strecke ist vorbildhaft. Nicht nur, dass mir der rote Pfeil an Abzweigungen den Weg weist. Auch die Kilometerangaben zwischen den einzelnen Stationen sind sehr sinnvoll.
Die nächste Station, gerade mal fünfhundert Meter weiter, ist durch Landschaftsfenster geprägt. Das sind mannshohe Stahlplatten mit einem schmalen Durchbruch. Mir wird dann ein besonders schöner Ausschnitt der umliegenden Landschaft gezeigt. Und manchmal gibt es auch eine Liveeinspielung, wenn genau in dem Moment, wo ich durch das Fenster schaue, ein Radfahrer mein Blickfeld kreuzt. Leider ist dieser schneller als der Auslöser meiner Kamera.
Wieder einmal baumelt eine Schaukel im Wind. Diesmal ist es die Himmelsschaukel Rummelsberg. Hier endet die lange Gerade, was vermutlich an der Flurbereinigung liegt. Rechts geht es nach Butterstadt. Vielleicht führte die Hohe Straße früher auch durch diesen kleinen Ort. Auf jeden Fall waren schon die Römer hier zugange. Im Jahr 1902 fand man auf einem Feld eine hohe römische Säule. Sie wurde nach Hanau ins Museum gebracht. Leider fiel sie dem verheerenden Bombenangriff im März 1945 zum Opfer. 2006 wurde dann in Butterstadt eine originalgroße Nachbildung aufgestellt. Ein Abstecher lohnt sich.
Heute nehme ich den Abzweig nach links zum weiteren Verlauf meiner Strecke. Die Landschaftswellen werden ausgeprägter. Ich habe das Ronneburger Hügelland erreicht. Wieder einmal lädt mich eine Leseecke zur Rast ein.
Heute nehme ich den Abzweig nach links zum weiteren Verlauf meiner Strecke. Die Landschaftswellen werden ausgeprägter. Ich habe das Ronneburger Hügelland erreicht. Wieder einmal lädt mich eine Leseecke zur Rast ein.
Mich zieht es wieder weiter. Der Wirtschaftsweg schlägt Haken wie ein Hase. Ein Rentnerehepaar steht an einem Abzweig. „Wo bitte geht es nach Büdingen?“, fragen sie mich. „Folgen Sie doch einfach der Beschilderung Hohe Straße“, ist meine Antwort. Gut gesagt, aber falsche Antwort, denn an dieser Abzweigung steht nur ein Schild: Wotansweg. „Dann folgen Sie doch mir“, schlage ich Ihnen vor, und weiter: „Ich fahre auch nach Büdingen.“
"Haltet die Pferde zurück", ruft Gottfried Wassenberg nach vorne, "Es geht mal wieder bergab. Unten im Tal liegt Marköbel. Da bekommen die Rösser ein ordentlich Fuder Hafer und zu saufen. Aber vorher wollen wir uns noch in der kleinen Kapelle dort unten in der Senke den Segen für die weite Strecke holen. Auch wenn die Kapelle den katholischen Antonitern gehört, gäbe uns der protestantische Priester gerne seinen Segen. Denn seit der Hanauer Graf zum protestantischen Glauben konvertiert ist, haben die Mönche hier nichts mehr zu sagen, außer zu zahlen. Aber die Schweden haben den kleinen Weiler rund um die Kapelle ebenso wie Marköbel in Schutt und Asche gelegt. Der Priester kümmert sich im Moment mehr um seine Schafe in Marköbel, die gerade den Ort wieder aufbauen. Aber ihr könnt ja das Ave Maria auch ohne priesterlichen Beistand beten, hoffe ich jedenfalls.“
Nun geht es in schneller Fahrt in die Senke zum kleinen Weiler Hirzbach. Hinter dem Kapellenhof, einem biologisch orientierten Bauernhof, liegt etwas versteckt die Hirzbacher Kapelle. Rund eintausend Jahre Geschichte hat sie auf ihrem Buckel, wurde mehrfach umgebaut und umgewidmet. Nach der Säkularisierung vor zweihundert Jahren diente sie lange Zeit auch als Stall und Scheune. Der Förderverein Hirzbacher Kapelle rettete sie 1989 vor dem endgültigen Verfall und widmete sie in ein regionales Kulturzentrum um. Wer sich traut, kann sich dort auch trauen lassen. Ich bin erstaunt, dass man dieser romanischen Kapelle ihr Alter nicht ansieht.
Hinter Hirzbach überquere ich eine Landstraße und erreiche Marköbel. Wenn ich mir diesen kleinen Ort mit der hübschen Fachwerkkulisse anschaue, kann ich mir unschwer vorstellen, dass er vor zweitausend Jahren ein bedeutender und großer Umschlagplatz für Handelswaren war. Ein Römerkastell sicherte den Übergang der Via Regia nach Germanien. Auch im Mittelalter und in der Neuzeit mussten die durchziehenden Händler das Untertor passieren, ein markantes Gebäude aus dem 14. Jahrhundert, durch welches heute noch der Verkehr fließt. Da Marköbel die einzige Siedlung war, die nach Frankfurt direkt auf der Hohen Straße lag, florierte hier natürlich auch das Gastgewerbe, selbst als im 13. Jahrhundert die Marktrechte nach Gelnhausen vergeben wurden.
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Hier steht auch die Wiege des Regionalparks Hohe Straße. Ich telefoniere mit dem Bürgermeister, Herrn Göllner. Er freut sich über mein Interesse und erzählt mir die ganze Geschichte dieses Regionalparks. Darüber hinaus vermittelt er mir auch wichtige Kontakte zur Recherche der Geschichte und dem weiteren Verlauf der Hohen Straße über Büdingen hinaus.
Der Weg aus Marköbel heraus folgt der historischen Trasse. Es geht wieder bergauf. Die vielen Wagengespanne und Soldatenstiefel haben über die Jahrtausende hinweg einen Hohlweg in den Löss gegraben. Galgenhohl heißt dieser Weg und führte seinerzeit zum Galgen oberhalb des Ortes. |
Vor mir ragen zwei gläserne Stelen in den Himmel, dahinter ein kleiner Rastplatz. Die Bänke sind leider belegt. Ich würde gerne jetzt mein Picknick einnehmen. Es lohnt sich aber nicht zu warten, bis eine Bank frei wird, denn vor mir liegen schon andere auf der Lauer. Dennoch laufe ich über die Steinplatten auf die Stelen zu. Das Sonnenlicht bricht sich im Glas. Weitblick nennt sich diese Installation. Ich will sehen, ob der Blick zwischen den Stelen tatsächlich vom Frankfurter Messeturm bis zum Feldbergturm reicht. Er reicht. Ich kann beide Gebäude deutlich erkennen.
Kurz danach führt mich eine Brücke über die Autobahn. Welch ein Gegensatz: Hier oben der beschauliche Weg und unten der brausende Verkehr mit der nicht endenden Kette der Lastkraftwagen auf ihrem Weg von und zu den Logistikzentren. Selbst zu ihren besten Zeiten war der Verkehr auf der Hohen Straße übersichtlich. Auf meinem Weg wird es nun einsam. Gerade mal ein Pärchen zu Fuß begegnet mir auf den nächsten Kilometern.

Wieder kommt eine Leseecke. Hier, am Blick Marienborn, finde ich endlich den Platz für mein nachmittägliches Picknick. Von dem Öko-Gutshof Marienborn ist nur ein rotes Dach, versteckt zwischen Bäumen und Büschen, zu sehen. Dort stand im 13. Jahrhundert ein Kloster, das die Familie von Ysenburg 1673 in eine barocke Schlossanlage umwandelte. Es ist verbrieft, dass Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1769 hier gewesen ist. Das Schloss wurde im Jahr 1889 abgerissen, das Hofgut ist geblieben. Apropos Leseecke: Bei so vielen Leseecken hat Gottfried Wassenberg die Lektüre seiner mitgeführten Literatur auf seinem Weg bis Leipzig sicher vollständig gelesen.
Auf dem gegenüberliegenden Hügel erstreckt sich ein ausgedehnter Wald. Durch diesen verläuft der römische Limes, der neben dem Radweg über mehrere Kilometer als meterhoher Wall erhalten ist, eine Radstrecke, die ich immer wieder gerne fahre. Doch heute nicht.
Auf dem gegenüberliegenden Hügel erstreckt sich ein ausgedehnter Wald. Durch diesen verläuft der römische Limes, der neben dem Radweg über mehrere Kilometer als meterhoher Wall erhalten ist, eine Radstrecke, die ich immer wieder gerne fahre. Doch heute nicht.
Noch ein Stück geht es über freies Feld. Vor mir taucht ein großes Waldstück auf. Dann beginnt das Rad zu hoppeln. Unter meinen Reifen liegt des Radlers Lieblingsstraßenbelag, grobes Kopfsteinpflaster. Ich halte an und bin überrascht. Welch ein Fernblick. Weit hinter mir erkenne ich die Skyline von Frankfurt. Ich genieße diesen Moment, bevor ich mich einige hundert Meter über das schlechte Pflaster quäle. Dann tauche ich in den Wald ein.
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Nun bin ich völlig allein, kann meine Gedanken schweifen lassen. Das frische Blattwerk schluckt die Geräusche der Autobahn. Nur der Wind raschelt in den Baumkronen. Irgendwann knickt der Weg ab und verlässt die Wasserscheide. Es geht abwärts ins Tal. Am Waldrand erwartet mich ein großer stählerner Reifen. Es ist der Blick Ronneburg. Über einem leuchtend gelben Rapsfeld thront sie auch. Auf ihrem Burgfried hatten die Wächter gut im Blick, wer gerade auf der Hohen Straße unterwegs war.

"Zügelt die Pferde", ruft Gottfried Wassenberg nach vorne. "Hier geht es eine lange Strecke bergab und sie riechen schon den Hafer und den warmen Stall. Wenn sie zu schnell werden, können wir den Wagen nicht mehr halten. Da vorne liegt Diebach, unser Nachtquartier. Wir halten es wie die alten Römer: Am Abend ein gutes Mahl und ein Humpen Bier, das fördert den Schlaf zum Kraftsammeln, denn morgen liegt ein schwerer Tag vor uns. Der Reffenberg wird uns einiges abverlangen. Da müssen Mensch und Tier gut im Futter stehen.“ Er lächelt wieder einmal in sich hinein, denn er freut sich schon, die Maid im Gasthof wiederzusehen, die ihm auf dem Hinweg so sehr gefallen hat.
Kurz vor Diebach am Haag schrecke ich einen Storch auf. Eigentlich will er in Ruhe eine Feldmaus erhaschen und hat sie auch schon im Auge. Aber dann kommt so ein rotes Ding angeschossen, direkt auf ihn zu. Besser ist besser, denkt er sich wohl und hebt erschrocken ab. Sorry lieber Adebar. Ich habe dich auch zu spät gesehen.
Diebach am Haag war zur Zeit des Buchhändlers sicher ein kleiner aber für die Reisenden wichtiger Weiler. Hier konnten die Gespanne nochmals vor dem Aufstieg in den Vogelsberg gefüttert und getränkt werden. Und die Reisenden selbst konnten sich nochmals für den kommenden Tag versorgen. Ich rolle auf der alten Dorfstraße leicht abwärts, vorbei an alten Fachwerkfassaden mit schrägen Balken, die mich ihre Last der Jahrhunderte erspüren lassen. Ein mächtiger Kastanienbaum erhebt sich vor mir und lädt mich zu einer Rast in seinem Schatten ein. Diese Einladung nehme ich gerne an. Während ich hier sitze, ziehen vor meinem inneren Auge die Fuhrwerke vorbei, schwer beladen, die Pferde mit dampfenden Nüstern.
Diebach am Haag war zur Zeit des Buchhändlers sicher ein kleiner aber für die Reisenden wichtiger Weiler. Hier konnten die Gespanne nochmals vor dem Aufstieg in den Vogelsberg gefüttert und getränkt werden. Und die Reisenden selbst konnten sich nochmals für den kommenden Tag versorgen. Ich rolle auf der alten Dorfstraße leicht abwärts, vorbei an alten Fachwerkfassaden mit schrägen Balken, die mich ihre Last der Jahrhunderte erspüren lassen. Ein mächtiger Kastanienbaum erhebt sich vor mir und lädt mich zu einer Rast in seinem Schatten ein. Diese Einladung nehme ich gerne an. Während ich hier sitze, ziehen vor meinem inneren Auge die Fuhrwerke vorbei, schwer beladen, die Pferde mit dampfenden Nüstern.
Hinter Diebach geht es zuerst auf eine kleine Anhöhe zum Herrnhaag. Zwei große Gebäude stehen in der prallen Sonne, eins davon schön restauriert, das andere noch mit Baugerüst. Einst standen elf prächtige Gebäude wie diese beiden rund um das Brunnenhaus. Im 18. Jahrhundert lebten bis zu eintausend Angehörige der Herrnhuter Gemeinschaft in dieser Siedlung. Graf Ernst Casimir I lud mit seinem Toleranzedikt von 1712 Glaubensflüchtlinge in seine Grafschaft ein, damit sie sich hier niederlassen. Weil die Herrnhuter Gemeinschaft nicht bereit war, ihm den geforderten Untertaneneid zu leisten, lösten sie ihre Siedlung schon nach fünfzehn Jahren wieder auf. Danach diente die Siedlung vielen unterschiedlichen Zwecken und verfiel zunehmend. Seit einigen Jahren werden die Gebäude wiederhergerichtet.
Ein Schrank steht etwas unvermittelt am Wegesrand. Das passt doch gut zu den durchreisenden Buchhändlern auf der Hohen Straße. Der Schrank zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Nicht nur Bücher sehe ich, sondern auch kleine Figuren und Vasen. Ich lese: „Hallo, ich bin ein Umsonstschrank.“ und werde gleich eingeladen, schöne Dinge dort abzulegen für Menschen, die vielleicht Freude daran finden. Eine ungewöhnliche und gute Idee.
Ein Schrank steht etwas unvermittelt am Wegesrand. Das passt doch gut zu den durchreisenden Buchhändlern auf der Hohen Straße. Der Schrank zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Nicht nur Bücher sehe ich, sondern auch kleine Figuren und Vasen. Ich lese: „Hallo, ich bin ein Umsonstschrank.“ und werde gleich eingeladen, schöne Dinge dort abzulegen für Menschen, die vielleicht Freude daran finden. Eine ungewöhnliche und gute Idee.
Nun bin ich kurz vor meinem ersten Ziel. Auf der Höhe oberhalb von Vonhausen spielen Kinder an einer weiteren Installation. Durch eines der drei Landschaftsfenster wird mein Blick auf einen bewaldeten Bergkegel gerichtet. Etwas zerzaust sieht seine Spitze aus. Vor 30 Jahren hat ein Wintersturm dort oben gewütet. Die wenigen Steine, die von der Burg Hardeck noch dort ruhen, kann ich von hier aus nicht sehen. Die Burganlage aus dem zehnten Jahrhundert wurde bereits 1464 aufgegeben und im Siebenjährigen Krieg endgültig geschleift.
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Knapp 35 Kilometer habe ich seit dem Entrée hinter mir. Zu meinen Füßen liegt Büdingen. Ein Traktor zieht auf seinem Weg über das Feld eine Staubfahne hinter sich her. Der Mülleimer neben der Bank quillt über mit Pizza-Kartons und leeren Bier- und Weinflaschen. Hier haben wohl letzte Nacht ein paar Jugendliche eine Corona-Party gefeiert. Der Wind hat den Geruch der backfrischen Pizza noch nicht ganz davongetragen.
Ein paar Meter weiter verzweigt sich der Weg. Hier trennen sich die Wege von Gottfried Wassenberg und mir. Die Hohe Straße wird zurzeit noch ins Tal bis in die Altstadt von Büdingen hineingeführt, um dort zu enden. Ein zweites Schild weist nach rechts: Leipzig 425 km.